Hierzu sollen zunächst die Begriffe der „unmarkierten Reihenfolge“ und der „markierten Reihenfolge“ eingeführt werden.
Die Sequenzierung der einzelnen Satzglieder im Deutschen unterliegt der Strukturierung durch die
Satzklammer. Die
Satzklammer besteht besteht aus einem linken und einem rechten Satzklammerteil. Die linke Satzklammer wird obligatorisch immer vom finiten Verb des Satzes besetzt (bei Verbletztsätzen vom Subjunktor). Je nach Satzart kann die rechte Satzklammer frei bleiben oder muss realisiert werden. So kann die rechte Satzklammer bei Verberstsätzen und Verbzweitsätzen frei bleiben, bei Verbletztsätzen ist ihre Realisierung dagegen obligatorisch.
Anhang 76
Graphik aus Grammis; siehe: http://hypermedia.ids-mannheim.de/ca..._wort=markiert
Die Stellungsfelder ergeben sich aus der relativen Position zum linken und rechten Satzklammerteil: Das Vorfeld, das Mittelfeld und das Nachfeld.
Anhang 74
Graphik aus Grammis; siehe: http://hypermedia.ids-mannheim.de/ca..._wort=markiert
Bei Verberstsätzen bleibt regulär das Vorfeld unbesetzt. Die Besetzung des Nachfeldes ist in allen drei Satzarten fakultativ.
Dieser Struktur folgend haben sich im Deutschen
„Grundreihenfolgen“, in welchen Feldern welche Satzglieder regulär stehen, konstituiert. Diese werden als „unmarkiert“ bezeichnet.
Sequenzierungen von Satzgliedern, die nicht den „Normalreihenfolgen“ entsprechen, wirken auffällig und werden als
„markiert“ bezeichnet.
Die folgenden Beispiele entsprechen der
Grundreihenfolge.
Vorfeld | LSK | Mittelfeld | RSK | Nachfeld |
Oma | hat | gestern in Berlin ihren Geburtstag | gefeiert. | - |
In Berlin | hat | Oma gestern ihren Geburtstag | gefeiert. | - |
Ihren Geburtstag | hat | Oma gestern in Berlin | gefeiert. | - |
Diese Beispiele weichen von der Grundreihenfolge ab. Ihre Sequenzierung ist also
„markiert“.
Vorfeld | LSK | Mittelfeld | RSK | Nachfeld |
Oma | hat | in Berlin ihren Geburtstag | gefeiert, | gestern. |
Oma | hat | gestern ihren Geburtstag | gefeiert, | in Berlin. |
Wie Sie in den obigen Beispielen sehen konnten, können die Satzglieder in Ihrer Reihenfolge variieren. Dennoch gilt die Sequenzierung als unmarkiert. Dies hängt damit zusammen, dass es in Bezug auf die Sequenzierung im Mittelfeld nicht die eine Grundregel gibt, sondern ein Set an Prinzipien, die mitunter in Konkurrenz zueinander stehen.
Im Folgenden sollen
die Grundprinzipien der Sequenzierung im Mittelfeld dargestellt werden. Diese sind regelhafte Tendenzen der Sequenzierung und keine rigiden „Vorschriften“ der Sequenzierung im präskriptiven Sinne.
1.) Komplemente vor Supplementen
2.) Kernkomplemente vor Nicht-Kernkomplementen
3.) Grundregel Kernkomplemente: Subjekt vor Akkusativobjekt vor Genitiv-/Dativobjekt vor Präpositionalobjekt
4.) Form der Konstituente der Kernkomplemente: Personalpronomina vor Nominalgruppen
5.) Semantische Rollen der Kernkomplemente: Belebtheit vor Unbelebtheit
6.) Informationsstruktur des Mittelfeldes
1. Komplemente vor Supplementen
[Exkurs: Komplemente/ Supplemente
Komplemente sind Satzglieder, die vom Verb (bzw. seiner Valenz) gefordert werden. Üblicherweise handelt es sich bei Komplementen um Subjekte und Objekte (Dativ-/Akkusativ-/Genitiv-/Präpositionalobjekte), aber auch Adverbiale können vom Verb gefordert sein.
Beispiel
Sie wohnt in Gießen.
*Sie wohnt. (Das Lokaladverbial „in Gießen“ kann nicht getilgt werden, da das Verb „wohnen“ ein solches verlangt. Ohne das Adverbial wird der Satz ungrammatisch.)
Supplemente dagegen werden nicht vom Verb gefordert. Sie können i.d.R. weggelassen werden.
Beispiel
Sie wohnt
schon lange in Gießen.
Sie wohnt
mit ihrer Freundin in Gießen. (Die Supplemente "schon lange" bzw. "mit ihrer Freundin" können weggelassen werden, ohne dass der Satz ungrammatisch wird.)]
Komplemente stehen im Mittelfeld tendenziell vor Supplementen.
Beispiel
Du hast
dich in letzter Zeit auffallend verändert.
Oma hat
ihren Geburtstag gestern in Berlin gefeiert.
2. Kernkomplemente vor Nicht-Kernkomplementen
Bei den vom Verb geforderten „Mitspielern“, den Komplementen, differenziert man weiterführend nach
Kernkomplementen und
Nicht-Kernkomplementen. Als Kernkomplemente gelten:
Subjekte, Akkusativobjekte, Dativobjekte, Genitivobjekte und Präpositionalobjekte. Nicht-Kernkomplemente sind dagegen Prädikativa und Adverbiale.
Im Mittelfeld stehen Kernkomplemente in der Regel vor Nicht-Kernkomplementen.
Beispiel
Um kurz vor 17 Uhr standen
lange Schlangen vor den Kassen.
Lange Schlangen => Subjekt, Kernkomplement
vor den Kassen => Lokaladverbial, Nicht-Kernkomplement
3. Grundregel Kernkomplemente: Subjekt vor Akkusativobjekt vor Genitiv-/Dativobjekt vor Präpositionalobjekt
Die Sequenzierung der Kernkomplemente erfolgt regelhaft nach dem Muster:
Subjekt >> Akkusativobjekt >> Dativ/Genitiv-Objekt >> Präpositionalobjekt
Beispiel
Der EU-Bildungsrat beschloss
die Auszubildenden den Studenten gleichzustellen.
Die Auszubildenden: Akkusativ-Objekt
Den Studenten: Dativ-Objekt
Beispiel
Deshalb ordnet
die alte Poetik das Epigramm der lyrischen Gattung zu.
Die alte Poetik: Subjekt
Das Epigramm: Akkusativ-Objekt
Der lyrischen Gattung: Dativ-Objekt
Beispiel
Die Sportlerin bezichtigt
ihre Kollegin des Betrugs.
Ihre Kollegin: Akkusativ-Objekt
Des Betrugs: Genitiv-Objekt
4.) Form der Konstituente der Kernkomplemente: Personalpronomina vor Nominalgruppen
Wenn Kern-Komplemente pronominal (als Personal- oder Reflexivpronomen) realisiert werden, hat dies eine unmittelbare Auswirkung auf die Sequenzierung des Mittelfelds: Die in 3) festgehaltene Regel (Subjekt vor Akkusativobjekt vor Genitiv-/Dativobjekt vor Präpositionalobjekt) wird durch die Pronomina teilweise aufgehoben, wie folgende Beispiele illustrieren:
Beispiel
Sie hatte
ihm das Geld versprochen.
Ihm: Dativ-Objekt
Das Geld: Akkusativ-Objekt
(Regel, dass Akkusativ-Objekte vor Dativ-Objekten stehen, greift nicht mehr!)
Beispiel
Wenn es
uns jemand verrät.
Es: Akkusativ-Objekt
Uns: Dativ-Objekt
Jemand: Subjekt
(≠ Subjekt vor Akkusativobjekt vor Dativobjekt)
5. Semantische Rollen der Kernkomplemente: Belebtheit vor Unbelebtheit
Ein weiterer Faktor, der die Grundreihenfolge der Kernkomplemente im Mittelfeld (Subjekt vor Akkusativobjekt vor Dativ-/Genitivobjekt vor Präpositionalobjekt) beeinflussen kann, sind die
semantischen Rollen der Kernkomplemente in Bezug auf
Belebtheit.
Die Träger belebter Rollen sind handlungsfähig und stehen vor den Trägern nicht belebter Rollen. Eine belebte Rolle haben nicht nur Lebewesen inne, sondern auch beispielsweise (vom Mensch geschaffene) Institutionen.
Beispiel
Das neue Streikgesetz soll
den Arbeitern das Streikrecht nehmen.
Den Arbeitern: Dativ-Objekt, belebt
Das Streikrecht: Akkusativ-Objekt, nicht belebt
(≠Akkusativobjekt vor Dativobjekt)
Beispiel
Die Zeugin schilderte
dem Richter den Sturz der Frau.
Dem Richter: Dativ-Objekt, belebt
Den Sturz der Frau: Akkusativ-Objekt, nicht belebt
(≠Akkusativobjekt vor Dativobjekt)
6. Informationsstruktur des Mittelfeldes
Das Mittelfeld ist für die Informationsstruktur besonders wichtig: Einerseits kann durch die relative Freiheit der Sequenzierung im Mittelfeld dieses besonders gut für die kommunikative Gewichtung genutzt werden. Andererseits bietet das Mittelfeld (im Gegensatz zum Vorfeld, in dem nur ein Satzglied stehen kann) quantitativ mehrere Satzglieder, wodurch das Potential an Umstellungen und somit
kommunikativer Strukturierung größer ist als in den anderen Feldern.
Beispiel
(1) Oma hat in Berlin gestern ihren Geburtstag gefeiert.
(2) Oma hat ihren Geburtstag gestern in Berlin gefeiert.
Durch die Umstellung der Satzglieder im Mittelfeld wird die Informationsstruktur jeweils verändert. Der Sprecher kann das
Element mit dem stärksten Informationsgewicht an das Ende des Mittelfelds setzen. In den Beispielen (1) und (2) wird jeweils ein anderer Fokus gesetzt und ein anderes Satzglied kommunikativ betont: Einmal wird der Geburtstag betont (1), einmal der Ort der Feier (in Berlin, (2)).
Eine graphische Übersicht soll die genannten Grundregeln und Einflussfaktoren der Sequenzierung des Mittelfeldes zusammenfassen. Die Graphik erhebt nicht den Anspruch, alle möglichen Faktoren zu beinhalten. Das Prinzip der Informationsstruktur kann in der Graphik nicht mitaufgenommen werden.
Anhang 75
Es ist also relativ schwierig, die Regelhaftigkeiten der Topologie im Mittelfeld des Deutschen genau zu bestimmen. Zu dieser Problematik schreibt die Duden-Grammatik treffend: „Im Einzelfall ist es oft schwierig auszumachen, welche Faktoren für die vorliegende Satzgliedfolge den Ausschlag gegeben haben. Deutsch ist hier flexibel, aber zumindest für Menschen, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, nicht sehr transparent.“ (Duden Grammatik, §1353) Es muss bei der Behandlung Ihres Beispiels also stets bedacht werden, wie undurchsichtig die Sequenzierung im Einzelfall sein kann.
Abschließend sollen nun die Grundprinzipien der Sequenzierung im Mittelfeld auf Ihr Beispiel angewandt werden.
Beispiel
(1) Die Massenmedien haben sehr stark die Welt verändert.
(2) Die Massenmedien haben die Welt sehr stark verändert.
Die von Ihnen aufgeführte Variante 2 folgt Prinzip 1:
Komplemente vor Supplementen.
Beispiel
Die Massenmedien haben die Welt sehr stark verändert.
„Sehr stark“ ist ein modales Adverbial, das vom Verb nicht gefordert wird. Es kann getilgt werden, ohne dass der Satz ungrammatisch werden würde.
Beispiel
Die Massenmedien haben die Welt verändert.
Demzufolge folgt die von Ihnen vorgeschlagene Variante 2 den strukturellen Prinzipien und kann demzufolge als
„unmarkiert“ betrachtet werden.
Variante 1
Beispiel
Die Massenmedien haben sehr stark die Welt verändert.
folgt dem Prinzip, dass Komplemente Supplementen voranstehen, nicht. Das modale Adverbial „sehr stark“ steht hier vor dem Akkusativ-Objekt „die Welt“. Diese Sequenzierung kann allerdings aus
informationsstrukturellen Gründen (Prinzip 6) bewusst gewählt worden sein, um den Fokus und die kommunikative Gewichtung auf das letzte Element des Mittelfeldes, das Akkusativ-Objekt „die Welt“, zu legen. Variante 1 kann somit als
„markiert“ bezeichnet werden.
Beispiel
Die Massenmedien haben sehr stark die Welt verändert, aber nicht meine Persönlichkeit. (Ich lese immer noch „echte“ Zeitung und keine Online-News.)
Ähnliche Beispiele:
Beispiel
(1) Lisa hat
ihren Schwarm freundlich angelächelt. [Grundreihenfolge Komplemente vor Supplementen eingehalten; Akkusativobjekt („ihren Schwarm“) vor modalem Adverbial („freundlich“)]
(2) Lisa hat
freundlich ihren Schwarm angelächelt. [Abweichung von der Grundreihenfolge; Supplement hier vor Komplement: modales Adverbial („freundlich“) vor Akkusativobjekt („ihren Schwarm“)]
(2') Lisa hat freundlich ihren Schwarm angelächelt, seinen Sitznachbarn mit ihren Blicken aber sorgfältig gemieden.
Beispiel
(1) Der Experte hat
den Computer sehr schnell eingerichtet. [Grundreihenfolge Komplemente vor Supplementen eingehalten; Akkusativobjekt („den Computer“) vor modalem Adverbial („sehr schnell“)]
(2) Der Experte hat
sehr schnell den Computer eingerichtet. [Abweichung von der Grundreihenfolge; Supplement hier vor Komplement: modales Adverbial („sehr schnell“) vor Akkusativobjekt („den Computer“)]
(2') Der Experte hat
sehr schnell den Computer eingerichtet, beim Tablet brauchte er aber ewig.