Zunächst einmal möchte ich mich auf den Teil Ihrer Frage bezüglich der indirekten Rede konzentrieren.
Allgemein kann man die indirekte Rede durch drei Merkmale kennzeichnen. Diese formalen Mittel der Kennzeichnung sind:
1. Der Konjunktiv
2. Redeeinleitende Verben
3. Die Nebensatzform
Wichtig ist, dass
keines dieser Mittel obligatorisch für die Kennzeichnung der indirekten Rede ist. Jedoch ist gewöhnlich mindestens eines der Mittel vorhanden, um die indirekte Rede als solche zu kennzeichnen.
Hieraus resultiert logischerweise, dass auch nicht alle drei Mittel gleichzeitig bedient werden müssen.
1. Der Konjunktiv
In der indirekten Rede wird in der Regel der Konjunktiv I gebraucht. Aber auch der Konjunktiv II kann für die indirekte Rede verwendet werden, insbesondere dann, wenn die Form des Konjunktiv I nicht eindeutig (=gleichlautend mit dem Indikativ) ist.
Beispiel
Ich habe ihm gesagt: „Ich arbeite bis 16 Uhr.“
Ich habe ihm gesagt, ich arbeite bis 16 Uhr. --> Konjunktiv I und Indikativ sind gleichlautend
Ich habe ihm gesagt, ich würde bis 16 Uhr arbeiten. --> Ausweichung auf würde-Konjunktiv
2. Redeeinleitende Verben
Gewöhnlich ist die indirekte Rede von einem übergeordneten Verb des Sagens abhängig. Diese Verben des Sagens werden als „redeeinleitende Verben“ bezeichnet.
Beispiel
Er
sagte, dass er mein Freund ist/sei.
Ein Mann vor meiner Haustür
behauptete, er sei von der Polizei.
Die Angeklagte
betonte, dass der Tod ihres Mannes nicht ihre Schuld ist/sei.
Der Augenzeuge
berichtet, dass die Angeklagte zur Tatzeit in das gemeinsame Haus gegangen ist/sei.
Der Richter
fragt, ob der Zeuge mit der Angeklagten verwandt oder verschwägert ist/sei.
3. Die Nebensatzform
Die indirekte Rede steht in Form von
eingeleiteten Nebensätzen (dass, ob, etc.)…
Beispiel
Er sagte mir,
dass er sie besucht habe.
..oder in Form von
uneingeleiteten Nebensätzen
Beispiel
Er sagte mir, er habe sie besucht.
Auf Ihr Beispiel angewandt,
Beispiel
Sie sagt: „Wenn es morgen regnet, fahre ich mit der Bahn.“
kann man also von den oben genannten Mitteln der Kennzeichnung von indirekter Rede Gebrauch machen. In Ihrer vorgeschlagenen Variante sind alle Mittel der Kennzeichnung bedient worden:
Beispiel
Sie sagt, dass sie mit der Bahn fahre, wenn es morgen regnet/ regne.
Anhang 37
Wie oben schon erklärt, sind die Mittel nicht obligatorisch. Durch das redeeinleitende Verb und die Nebensatzform ist bereits hinreichend deutlich, dass es sich um eine Redewiedergabe handelt. Daher kann theoretisch ganz auf den Konjunktiv verzichtet werden.
Beispiel
Sie sagt, dass sie mit der Bahn fährt, wenn es morgen regnet.
Sie können den Konjunktiv natürlich auch gebrauchen.
Beispiel
Sie sagt, dass sie mit der Bahn fahre, wenn es morgen regnet/regne.
In der Variante mit Konjunktiv sind Sie sich unsicher, ob Sie den Konjunktiv auch im Nebensatz
Beispiel
„wenn es morgen regnet“
realisieren müssen.
Dies kann in Abhängigkeit von dem übergeordneten Satz betrachtet werden: Verwenden Sie im übergeordneten Satz Indikativ
Beispiel
Sie sagt, dass sie morgen mit der Bahn fährt
ist auch im untergeordneten Satz der Indikativ (stilistisch) vorzuziehen.
Beispiel
Sie sagt, dass sie mit der Bahn fährt, wenn es morgen regnet.
Verwenden Sie im übergeordneten Satz Konjunktiv
Beispiel
Sie sagt, dass sie mit der Bahn fahre
sollte im untergeordneten Satz auch der Konjunktiv verwendet werden.
Beispiel
Sie sagt, dass sie mit der Bahn fahre, wenn es morgen regne
Insgesamt mögliche Varianten Ihres Beispielsatzes wären also:
Beispiel
a) Sie sagt, dass sie morgen mit der Bahn fährt, wenn es morgen regnet.
b) Sie sagt, dass sie morgen mit der Bahn fahre, wenn es morgen regne.
Nun möchte ich auf den zweiten Teil Ihrer Frage, wann welcher Konjunktiv gebraucht wird, zurückzukommen.
Wie weiter oben schon zum
Konjunktiv I beschrieben, ist sein Funktionsbereich
die indirekte Rede. Aber auch der Konjunktiv II kann für die indirekte Rede verwendet werden, insbesondere dann, wenn die Form des Konjunktiv I nicht eindeutig (= mit dem Indikativ gleichlautend) ist.
Beispiel
Die Professorin meinte, dass es gut sei / wäre, wenn man übe, bevor man eine Klausur schreibe / schriebe.
Der Funktionsbereich des
Konjunktiv II ist
Irrealität / Potenzialität.
Beispiel
Wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flügel hätt, flög ich zu dir…
Hätte der Hund nicht… pausiert, hätte er den Hasen gehabt.
Auch hier wird auf den würde-Konjunktiv zurückgegriffen, wenn die Konjunktiv-Form nicht eindeutig ist.
Beispiel
Hätten wir als Kinder keine Erziehung, würden wir verwahrlosen.
statt
Beispiel
Hätten wir als Kinder keine Erziehung, verwahrlosten wir. (verwahrlosten= Indikativ Präteritum und Konjunktiv II)
Abschließend möchte ich noch auf Ihre These eingehen, man verwende den Konjunktiv II in der indirekten Rede, um starke Zweifel an der Aussage zu markieren.
Hierzu zunächst ein paar Beispiele:
Beispiel
1. Ihr Ehemann behauptet, er habe sie nicht betrogen.
Ihr Ehemann behauptet, er hätte sie nicht betrogen.
2. Die Angeklagte sagt aus, sie habe zum Tatzeitpunkt ihre Mutter besucht.
Die Angeklagte sagt aus, sie hätte zum Tatzeitpunkt ihre Mutter besucht.
3. Die Angeklagte betonte, dass eine solche Tat für sie unvorstellbar ist.
Die Angeklagte betonte, dass eine solche Tat für sie unvorstellbar sei.
Die Angeklagte betonte, dass eine solche Tat für sie unvorstellbar wäre.
4. Der Verdächtige gibt an, er habe keinen Zugang zu den Datenbanken der Geheimorganisation.
Der Verdächtige gibt an, er hätte keinen Zugang zu den Datenbanken der Geheimorganisation.
Im Informationsportal des Instituts für deutsche Sprache "Grammatik in Fragen und Antworten" findet sich zu dem funktionalen Gebrauch des Indikativs, Konjunktiv I und II in der indirekten Rede Folgendes: (vgl.
http://hypermedia.ids-mannheim.de/ca...icht?v_id=3540)
1. Indikativ
Mittels Indikativ werde die Glaubwürdigkeit der Originaläußerung und damit auch der jeweiligen Quelle als unangezweifelt dargestellt.
Beispiel
Eine wissenschaftliche Untersuchung
legte dar, dass die Krankheit ADHS endogene und exogene Ursachen
hat.
Die Richterin
beanstandete, dass die Stellenausschreibung nur an Frauen gerichtet
war.
2. Konjunktiv I
Der Konjunktiv I sei die
Standardform der indirekten Rede. „Mit der Wahl der Konjunktiv-Präsens-Form wird dabei, eben weil sie dem Standard genügt, keineswegs eine Distanzierung vom Inhalt des Wiedergegebenen zum Ausdruck gebracht. Man äußert sich einfach neutral und unauffällig.“
Beispiel
Der Zeuge
behauptet, er
habe die Angeklagte zum Tatzeitpunkt am Tatort
gesehen.
Die Mutter der Angeklagten
versichert, ihre Tochter sei zum Tatzeitpunkt mit ihr zusammen
gewesen.
3. Konjunktiv II
Mittels Konjunktiv II stelle man ausdrücklich klar, dass man keinerlei Verantwortung für die Richtigkeit des Wiedergegebenen zu übernehmen gedenkt. Dies könnte mit einer stärkeren Distanzierung einhergehen.
Beispiel
Schalom
räumte indes
ein, dass die Autonomiebehörde stärker gegen die antiisraelische Hetze
vorginge. [die tageszeitung, 16.07.2003, S. 10]
Der Staatssekretär
gab aber auch
zu, daß nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung
gestanden hätten, um ein solches Verbot durchzusetzen.[Frankfurter Allgemeine, 1993]
Es ist jedoch zu bemerken, dass nicht jeder Konjunktivbeleg auf diese Weise funktioniert. Die redeeinleitenden Verben in den o.g. Beispielen (z.B. einräumen, behaupten, zugeben, etc.) unterstützen von Vornherein eine stärkere Distanzierung zum wiedergegebenen Inhalt. In diesen Fällen ist Ihre These vertretbar.
Jedoch besteht nach wie vor die Regel, dass die Form gewählt werden muss, die klar als Konjunktiv erkennbar ist. Wenn in der indirekten Rede der Konjunktiv I nicht eindeutig erkennbar ist, wird auf den Konjunktiv II zurückgegriffen. Der Konjunktiv II drückt in diesem Falle keine weitere Distanzierung aus. Dementsprechend kann
nicht jede Konjunktiv II Form distanzierender funktionieren als jede Konjunktiv I Form.