Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
Meine Schwester ist Deutsch-Referendarin und ein Schüler fragte sie nach der Bestimmung dieses Satzgliedes.
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Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
Meine Schwester ist Deutsch-Referendarin und ein Schüler fragte sie nach der Bestimmung dieses Satzgliedes.
Da eine Frage zur Satzanalyse keine Grammatikfrage in unserem Sinne ist (d.h. keine Frage zu einem grammatischen Zweifelsfall, sondern eine Frage zur Satzanalyse), wird hier auf unser übliches Antwortschema mit den Icons verzichtet. Wir möchten Sie dennoch bitten, unseren kurzen Fragebogen zur Bewertung unserer Antwort auszufüllen.
Die Frage, ob es sich bei dem Reflexivpronomen sich um ein Teil des Prädikats oder um ein eigenständiges Satzglied handelt, wird in verschiedenen Grammatiken unterschiedlich beantwortet. Es handelt sich um verschiedene Meinungen zu einem Sachverhalt.
Die Dudengrammatik argumentiert für eine einheitliche Behandlung der Einordnung des Reflexivpronomens als Prädikatsbestandteil oder Satzglied und räumt letztlich einer Behandlung als Satzglied den Vorrang ein.
Eine skalare Verortung einzelner Verben zwischen dem Pol „Prädikatsbestandteil“ und dem Pol „Satzglied“ auf der Basis verschiedener Kriterien erscheint jedoch vorzugswürdig, da nicht alle Argumente für oder gegen eine Behandlung als Satzglied oder Prädikatsbestandteil auf alle Verben und Reflexivpronomen (einheitlich) zutreffen.
Bei der skalaren Verortung einzelner Verben, werden diese in drei Gruppen eingeteilt:
NAHE Prädikatsbestandteil < --------------------------------------------------------> NAHE Satzglied
Echt-reflexive Verben --------------- reflexive Verbvarianten ------------ reflexiv gebrauchte Verben
Die Unterscheidung wird auf dieser Seite erklärt: http://www.grammatikfragen.de/showth...flexivpronomen
In Bezug auf Ihr Beispiel mit dem Verb „(sich) entfernen“ können folgende Kriterien Aufschluss darüber geben, wo sich in diesem Fall eingeordnet werden kann:
1. Kriterium: Die semantische Rolle
Objekte sind nicht semantisch leer, sondern bringen etwas zum Ausdruck – nehmen eine semantische Rolle ein. Semantischen Rollen sind u.a. Agens (handelnde Person), Patiens (von einer Handlung betroffene Person) oder Benefizient (Nutznießer einer Handlung). Bei „Sie entfernt sich vom Unfallort.“ ist sie Agens (handelnde Person). Die Annahme, dass sich Patiens (von der Handlung betroffene Person) ist, wirkt konstruiert, da sich beide Pronomen auf eine (reale) Person beziehen und es sich um eine aktive, willentliche Handlung handelt, was eine Besetzung der Agens-Rolle vorzugswürdig erscheinen lässt. Dieses Kriterium spricht also dafür, dass es sich um einen Teil des Prädikats handelt, da sich hier semantisch leer – bedeutungsleer – ist.
2. Kriterium: Die Verschiebbarkeit
Hier ist zu fragen, ob das Reflexivpronomen im Satz die Stellungsmöglichkeiten eines gewöhnlichen pronominalen Objekts hat. Grundsätzlich zeichnen sich Satzglieder dadurch aus, dass sie im Vorfeld stehen können. Das bedeutet, dass sie in die Position vor dem finiten/konjugierten Verb verschoben werden können (Beispiel 1).
.Beispiel
Beispiel 1:
1a. Der Hund bring ihm/dem Kind den Ball/ihn.
1b. Ihm bringt der Hund den Ball.
1c. Ihn bringt der Hund dem Kind
In Ihrem Beispielsatz ist keine Vorfeldfähigkeit von sich gegeben (Beispiel 2).
Beispiel
Beispiel 2:
2a. Sie entfernt sich vom Unfallort.
2b. Sich entfernte sie/die Fahrerin vom Unfallort.*
Dieses Kriterium rückt das Sich in Ihrem Beispiel also weiter vom Pol „Satzglied“ weg und verschiebt es weiter zum Pol „Prädikatsbestandteil“.
3. Kriterium: Ersetzbarkeit durch ein nominales Objekt
Wenn sich das Reflexivpronomen durch eine Nominalgruppe ersetzen lässt, die im Satz ein Satzglied/Objekt wäre, würde das für eine Nähe zum Objekt sprechen und dabei das Argument nach Kriterium 1 (keine eigene semantische Rolle) abschwächen. In Ihrem Beispiel kann sich durch eine Nominalgruppe, die die Funktion eines Objekts hat, ersetzen werden (Beispiel 3).
Beispiel
Beispiel 3:
3a. Sie entfernte sich vom Unfallort.
3b. Sie entfernte den Zeugen/Beweismaterial vom Unfallort.
Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Bedeutung von entfernen in Beispiel 3a der von weggehen oder verschwinden entspricht, während die Bedeutung von entfernen in Beispiel 3b der von wegbringen oder beseitigen nahe steht. Somit kann zwar der Austausch mit einem nominalen Objekt erfolgen, jedoch nur bei einer – wenn auch leichten – Bedeutungsverschiebung. Somit kann dieses Kriterium nicht zwingend als Argument für eine Behandlung als Satzglied herangezogen werden. Letztlich kann das Ergebnis dieses Test aber als Gegenargument für den Befund nach Kriterium 1 herangezogen werden, was einer eindeutigen Einordnung als Prädikatsbestandteil entgegensteht.
Somit stellt sich das Sich in Ihrem Beispiel als reflexive Verbvariante (siehe Skala) dar, bei der die Einteilung als Objekt oder Prädikatsbestandteil nicht eindeutig erfolgen kann. Da es sich jedoch um eine Skala handelt, muss dies auch nicht zwingend sein. Jedoch kann wohl von einer deutlichen Nähe zu den echt-reflexiven Verben und dem Pol „Prädikatsbestandteil“ gesprochen werden.
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'sich entfernen' ist ein reflexives Verb.
Sie > Subjekt
entfernte sich > Prädikat
vom Unfallort. > Lokaladverbiale
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Eine Antwort ist hier nicht ohne Weiteres möglich (siehe Erklärung).
Für Schulzwecke ist der Duden-Ansatz besser, denn wenn wie anfangen den Schülern, die gerade Satzglieder kennen lernen sollen, diese komplizierten Streitigkeiten zweier Grammatiklager zu erklären, versteht kein Kind mehr ein Wort.
Trotzdem war es für mich sehr interessant, Deinen Artikel zu lesen, Emmerich.
"Somit stellt sich das Sich in Ihrem Beispiel als reflexive Verbvariante (siehe Skala) dar, bei der die Einteilung als Objekt oder Prädikatsbestandteil nicht eindeutig erfolgen kann."
Beim echten reflexiven Verb "sich entfernen" ist "sich" eindeutig ein Teil des Verbs; es gehört demnach als Satzteil zum Prädikat.
http://www.mein-deutschbuch.de/lerne...id=33#echteref
Bei unechten reflexiven Verben ist das "sich" eindeutig ein Objekt.
http://www.mein-deutschbuch.de/lerne...=33#unechteref