Sie schildern hier zwei Alternativen, wie der Satz verstanden werden kann. Grundsätzlich erscheinen zwei - oder sogar drei - Lesarten möglich. Dass mehrere Lesarten möglich sind, hängt letztlich davon ab, welche Teilsätze durch
und koordiniert werden und als gleichrangig beschrieben werden.
Variante 1:
Bei der ersten Lesart koordiniert
und die beiden Nebensätze: A ist wahr, wenn B und C beide wahr sind (siehe Beispiel 1).
Beispiel
Beispiel 1:
A = B ∧ C |
B |
C |
w |
w |
w |
f |
w |
f |
f |
f |
w |
f |
f |
f |
Variante 2:
Bei der zweiten Lesart koordiniert
und zwei gleichrangige Hauptsätze. Es handelt sich dabei um eine Koordinationsellipse, bei der „Auf Antrag kann X gestattet werden“ (A) im zweiten Hauptsatz nicht versprachlicht wird (Beispiel 2).
Beispiel
Beispiel 2:
Auf Antrag kann X gestattet werden (=A), wenn Voraussetzung B erfüllt ist und [auf Antrag kann X gestattet werden (=A),] wenn Voraussetzung C erfüllt ist.
Im zweiten Hauptsatz wird also der in eckigen Klammern gesetzte Text nicht wiederholt, weil er auf der Basis des Kontextes rekonstruiert werden kann.
Beispiel 2 kann durch zwei separate Wahrheitstabellen dargestellt werden (Beispiele 3 und 4).
Variante 3 mit oder:
In der Logik wird davon ausgegangen, dass eine Oder-Verknüpfung auch dann erfüllt ist, wenn sowohl B als auch C erfüllt sind (Beispiel 5).
Beispiel
Beispiel 5:
A = B ∨ C |
B |
C |
w |
w |
w |
w |
w |
f |
w |
f |
w |
f |
f |
f |
Das gilt auch für den alltäglichen Sprachgebrauch (Beispiel 6).
Beispiel
Beispiel 6:
Ein Fußballspielabbruch kann erfolgen, wenn die Witterungsbedingungen das Weiterspielen unmöglich machen (=X) oder der Schiedsrichter bedroht wird (=Y).
X und Y heben sich nicht gegenseitig auf, sodass das Spiel auch abgebrochen werden kann, wenn X und Y jeweils vorliegen.
Mit dieser letzten Variante ergeben sich also insgesamt 3 Varianten, die letztlich aber vom Inhalt der Bedingungen und Schlussfolgerung abhängen.
Geht man von Beispiel 5 und Variante 3 aus, stellt sich die Frage, wann ein Schreiber/Sprecher die von Ihnen beschriebene Variante 2 mit dem Inhalt von Beispiel 2 und 3 meinen und ein Leser/Hörer diese verstehen könnte. Mit der Variante 2 könnte man sicher den Fall beschreiben, in dem A vorliegt, wenn B vorliegt und A auch dann vorliegt, wenn C vorliegt, A jedoch nicht vorliegt, wenn B und C gleichzeitig vorliegen. Ist jedoch der Fall nach Variante 3 bzw. Beispiel 5 gemeint, stellt sich die Frage, warum man Variante 2 wählen sollte, wo doch letztlich die Verwechselungsgefahr mit Variante 1 bzw. Beispiel 1 gegeben ist. Zudem ist nämlich fraglich, warum der Schreiber das Risiko der Verwechselung von Variante 1 und 2 nur aufgrund einer Ellipse (Beispiel 2) in Kauf nehmen sollte. Letztlich spricht – natürlich in Abhängigkeit von der Logik und Semantik des Sachverhalts – einiges für Variante 1.
Gegen Variante 1 spricht aber, dass dem Schreiber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den Inhalt von Beispiel 1 auszudrücken (siehe Beispiele 7, 8, 9 und 10).
Beispiel
Beispiel 7:
A liegt vor, wenn B und C vorliegen.
Beispiel 8:
A liegt vor, wenn sowohl B als auch C vorliegen.
Beispiel 9:
A liegt vor, wenn B vorliegt und zudem C gegeben ist.
Beispiel 10:
A liegt vor, wenn B und C gemeinsam/beide vorliegen.
Letztlich sollten Sie aber bedenken, dass Sprache in Bezug auf die Verwendung von Worten nie eindeutig ist und unter Zuhilfenahme von Faktoren wie Kontext, Wissen und Konventionen entschlüsselt werden muss. Manche Varianten machen die eine oder andere Lesart wahrscheinlicher, können aber ohne den Inhalt nie zweifelsfrei das eine oder andere ausdrücken. Im Handlungsfeld des Rechts herrscht wahrscheinlich ein hohes Bedürfnis nach Präzision. Daher könnte es sein, dass es Konventionen gibt, wie die Beispiele 1, 3, 4 und 5 durch die Varianten 1, 2 und 3 regelmäßig ausgedrückt werden.
Grundsätzlich lässt sich wohl sagen, dass man sich aufgrund der sprachlichen Form weder auf die eine oder die andere Lesart festlegen kann. Sprachliche Mittel können immer nur eine Lesart andeuten, die dann durch das Wissens über die realen Sachverhalte, den sprachlichen Kontext und weitere Ressourcen der Deutung von Rezipienten abgesichert werden muss.
In der Rechtswissenschaft begegnet Ihnen dies sicher sehr oft, wenn Gesetzestexte in Kommentaren ausgelegt werden.