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Thema: Heißt es zur Bewertung eines Schülerberichts "...entspricht den Erwartungen in vollem Umfang" oder "...im vollen Umfang"?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Heißt es zur Bewertung eines Schülerberichts "...entspricht den Erwartungen in vollem Umfang" oder "...im vollen Umfang"?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Letztere Form stand auf einem Zeugnis.

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden

  2. #2
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    Gießen
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    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    In Ihrer Grammatikfrage wollen Sie wissen, welche der folgenden beiden Varianten aus grammatischer Perspektive korrekt ist:

    Beispiel

    1) Die Leistung entspricht den Erwartungen in vollem Umfang.
    2) Die Leistung entspricht den Erwartungen im vollen Umfang.


    Betrachten wir dazu die Unterschiede zwischen den beiden Formulierungsvarianten. In Variante 1 wird die Präposition in verwendet. Präpositionen sind nichtflektierbare Wörter, die sich dadurch auszeichnen, dass sie eine Nominalgruppe in einem bestimmen Kasus fordern, die in Ihrem Beispiel durch die Wortgruppe vollem/n Umfang realisiert wird. Das in Ihrer zweiten Variante verwendete Wort im ist aus dieser Präposition entstanden. Es handelt sich hierbei um eine Verschmelzung bestehend aus der Präposition in und dem bestimmten Artikel dem. Entsprechend besteht der Unterschied der beiden Varianten zunächst darin, dass in Beispiel 2 in der Verschmelzung zusätzlich der bestimmte Artikel vorhanden ist. Um den Unterschied der beiden Varianten deutlich zu machen, könnte man sie wie folgt umformulieren:

    Beispiel

    1a) Die Leistung entspricht den Erwartungen in einem vollen Umfang.
    2a) Die Leistung entspricht den Erwartungen in dem vollen Umfang.


    Mit diesen zwei Formulierungen geht eine unterschiedliche inhaltliche Nuancierung einher. Im Duden 9 Richtiges und gutes Deutsch heißt es diesbezüglich: „Man sollte den bestimmten Artikel […] verwenden, wenn mit dem Substantiv etwas Bestimmtes, etwas bereits im Rede- oder Textzusammenhang Genanntes oder etwas, was als bekannt vorausgesetzt ist, angesprochen wird.“

    Das bedeutet in Bezug auf Ihr Beispiel, dass sowohl die Verschmelzung als auch die einfache Präposition gewählt werden kann, damit jedoch unterschiedliche Aspekte einhergehen. Bei der Wahl der Verschmelzung wird besonders auf einen bestimmten, vorher bereits genannten Umfang Bezug genommen, während dies bei der Wahl der Präposition in ohne Artikel nicht der Fall ist.

    Neben diesem Aspekt unterscheiden sich die beiden Beispiele hinsichtlich der Flexion des Adjektivs voll, was in einem engen Zusammenhang zu dem vorher skizzierten Aspekt steht. Für das Deutsche werden zwei verschiedene Formen der Adjektivflexion unterschieden, nämlich die starke und die schwache Adjektivflexion. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Flexionsendungen, wie die folgende Tabelle exemplarisch für das Maskulinum zeigt:


    starke Flexion schwache Flexion
    Nominativ Singular voller volle
    Genitiv Singular vollen vollen
    Dativ Singular vollem vollen
    Akkusativ Singular vollen vollen

    Ob die starke oder schwache Flexion gewählt werden muss, hängt vom syntaktischen Umfeld des Adjektivs ab. Adjektive werden immer dann stark flektiert, wenn sie der Hauptmerkmalträger einer Nominalgruppe sind, d.h. wenn sie die Funktion des Wortes erfüllen, an dem sich die grammatischen Merkmale der Nominalgruppe eindeutig ablesen lassen. Hauptmerkmalträger ist ein Adjektiv dann, wenn vor ihm kein Artikelwort mit Endung steht. Steht vor dem Adjektiv jedoch ein Artikelwort mit Endung, dann ist das Adjektiv nicht der Hauptmerkmalträger und die schwache Flexion zu wählen.

    In Ihrer Variante 1 steht vor dem Adjektiv die Präposition in und damit kein Artikelwort. Entsprechend wird in diesem Beispiel die starke Flexion gewählt. In Ihrer zweiten Variante steht vor dem Adjektiv die Verschmelzung im. Da hier das Artikelwort in der Verschmelzung enthalten ist, muss das Adjektiv die schwache Endung tragen.

    Demnach sind beide Varianten aus sprachsystematischer Perspektive möglich.

     


    Sprachgebrauch


    Um zu überprüfen, welche Variante im Sprachgebrauch präferiert wird, wurde mithilfe von COSMAS II, der digitalen Belegsammlung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), und Google nach beiden Varianten gesucht. Das Ergebnis zeigt die nachfolgende Tabelle:


    Cosmas IIGoogle
    entspricht den Erwartungen in vollem Umfang ca. 3 Treffer ca. 1.740 Treffer
    entspricht den Erwartungen im vollen Umfang 0 Treffer ca. 651 Treffer
    in vollem Umfang ca. 16.056 Treffer ca. 1.340.000 Treffer
    im vollen Umfang ca. 1.948 Treffer ca. 502.000 Treffer

    Demnach wird von den Sprachbenutzern eindeutig die Variante mit der Präposition in + schwachem Adjektiv bevorzugt.

    Hinweis zu Googledaten: Die Sprachgebrauchsdaten werden mit dem wissenschaftlich fundierten Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache Mannheim COSMAS II erhoben und durch Googlebefunde ergänzt. Die ergänzende Googlesuche ist notwendig, da in der Textsammlung des IdS (DeReKo = Deutsches Referenzkorpus), obwohl diese inzwischen 24 Milliarden Wortformen umfasst, die gefragten Varianten häufig nur relativ selten vorkommen. Bei Google finden sich häufig deutlich mehr Treffer, die Zahlen sind aber aus den folgenden beiden Gründen mit Vorsicht zu genießen:

    1. Google unterscheidet nicht zwischen "echten" Sprachgebrauchstreffern und metasprachlichen Diskussionen. Die Frage zu downgeloadet/gedownloadet in unserem Forum bspw. ist auch ein Treffer bei Google. Insgesamt betrachtet machen die metasprachlichen Diskussionen aber in aller Regel den deutlich geringeren Anteil an den Gesamttreffern aus.

    2. Google bemüht sich um personalisierte und schnelle Suchergebnisse, die Treffergenauigkeit steht hier also nicht im Vordergrund. Dennoch - und deshalb wird hier trotz der genannten Einschränkungen auf Google zurückgegriffen - lassen sich doch Eindrücke über allgemeine Gebrauchstendenzen gewinnen.
     


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