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Thema: kann man "sieht man doch den anmut"sagen ?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard kann man "sieht man doch den anmut"sagen ?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    ich versuche ein Gedicht zu schreiben

  2. #2
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    03.07.2014
    Ort
    Gießen
    Beiträge
    271

    Standard Genus Anmut

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Sie fragen, ob der folgende Satz aus grammatischer Perspektive richtig ist:

    Beispiel

    Sieht man doch den Anmut.


    Dabei können zwei Fragen untersucht werden:
    1. Kann das finite Verb sieht an erster Stelle stehen?
    2. Ist die Form den Anmut in Ihrem Beispiel korrekt?

    Ad 1: Im Deutschen steht das finite Verb, also das Verb, das nach Person und Numerus flektiert worden ist, gewöhnlich an zweiter Stelle im Satz. Man spricht deswegen von einem Verbzweitsatz. In dieser unmarkierten Variante würde Ihr Satz entsprechend lauten:

    Beispiel

    Man sieht doch den Anmut.


    Abweichend gibt es jedoch für das Deutsche auch noch Verberst- und Verbletztsätze. Verberstsätze können beispielsweise bei Ausrufen auftreten, wie in:

    Beispiel

    Bist du aber groß geworden!
    Hat der aber ein großes Auto!


    In Ihrem Beispielsatz könnte ein solcher Ausruf vorliegen, der betonen soll, dass die Anmut offenkundig ist. Generell gilt jedoch zu berücksichtigen, dass in lyrischen Texten zum Teil andere Regeln als für Alltagstexte gelten, sodass die Wortstellung ohnehin häufig freier ist, was nicht zuletzt auch mit der Wahl des Metrums zusammenhängt.

    Ad 2: Es stellt sich außerdem die Frage, ob der Akkusativ von Anmut den Anmut heißt. Schlägt man das Wort im Duden Universalwörterbuch nach, dann lässt sich feststellen, dass Anmut im heutigen Sprachsystem ein Femininum ist. Entsprechend müsste die Form die Anmut lauten und der Satz entsprechend heißen:

    Beispiel

    Sieht man doch die Anmut.


     


    Sprachgeschichte


    Betrachtet man diesen Zweifelsfall jedoch historisch, lässt sich feststellen, dass in früheren Epochen des Deutschen auch das maskuline Substantiv Anmut gab.

    Im Maskulinum hat dieses Substantiv jedoch eine andere Bedeutung als das heutige feminine Substantiv. Es bedeutete damals laut Grimm’schen Wörterbuch so viel wie die Begier, die Lust oder der an etwas gesetzte Mut. Das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache von Friedrich Kluge ergänzt diese Bedeutungen noch um die Aspekte das Verlagen bzw. das, was jemanden in den Sinn kommt. Mit der maskulinen Verwendungsweise werden somit Empfindungen eines Subjekts ausgedrückt. Das heute gebräuchliche feminine Substantiv hingegen drückt keine Empfindung des Subjekts, sondern eine Eigenschaft dessen aus, sodass sich die Bedeutung des Worts verschoben hat. Dies lässt sich auch durch zeitweise Überschneidungen des Gebrauchs belegen. So wird im Grimm’schen Wörterbuch das folgende Beispiel Johann Wolfgang von Goethes angeführt:

    Beispiel

    „er belebt durch seinen anmut jede gesellschaft, in der er sich befindet.“


    In diesem Beispiel wird das Wort Anmut als Maskulinum verwendet, jedoch in der heutigen Bedeutungsweise. Pfeifer hält in seinem etymologischen Wörterbuch fest, dass das Maskulinum noch vereinzelt bis ins 18. Jahrhundert auftritt, aber bereits im 16. Jahrhundert zunehmend von der femininen Form verdrängt wird.
     


    Sprachgebrauch


    Um zu überprüfen, ob das maskuline Substantiv heute noch gebraucht wird und wie oft dies im Vergleich zur femininen Variante ist, wurde mithilfe von COSMAS II, der digitalen Belegsammlung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), und Google nach beiden Varianten gesucht. Dabei ergab sich folgendes Ergebnis:

    COSMAS IIGoogle
    den Anmut ca. 13 Treffer ca. 3.050 Treffer
    die Anmut ca. 876 Treffer ca. 69.800 Treffer

    Aus diesen Daten geht hervor, dass die feminine Variante erheblich frequentierter auftritt. Dabei muss jedoch auch bedacht werden, dass die Form die Anmut sowohl Nominativ Singular Femininum, als auch Akkusativ Singular Femininum sein kann, während den Anmut nur Akkusativ Singular Maskulinum ist. Unter den Treffern für das Maskulinum befinden sich dabei auch solche, die eine Eigenschaft des Subjekts bezeichnen und nicht seine Empfindung, wie beispielsweise:

    Beispiel

    Auch die 74-Jährige hat sich den Anmut junger Jahre bewahren können. (NKU12/OKT.08160 Nordkurier, 23.10.2012; Bei so viel Geschmeidigkeit hat das Alter keine Chance)

    Eine solche Produktivität hatte die Selecao bei der WM bislang nicht gezeigt, weniger noch den Anmut, der dem Vortrag innewohnte. (U06/JUN.04819 Süddeutsche Zeitung, 24.06.2006, S. 43; Ronaldo glänzt gegen Japan)


    Hinweis zu Googledaten: Die Sprachgebrauchsdaten werden mit dem wissenschaftlich fundierten Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache Mannheim COSMAS II erhoben und durch Googlebefunde ergänzt. Die ergänzende Googlesuche ist notwendig, da in der Textsammlung des IdS (DeReKo = Deutsches Referenzkorpus), obwohl diese inzwischen 24 Milliarden Wortformen umfasst, die gefragten Varianten häufig nur relativ selten vorkommen. Bei Google finden sich häufig deutlich mehr Treffer, die Zahlen sind aber aus den folgenden beiden Gründen mit Vorsicht zu genießen:

    1. Google unterscheidet nicht zwischen "echten" Sprachgebrauchstreffern und metasprachlichen Diskussionen. Die Frage zu downgeloadet/gedownloadet in unserem Forum bspw. ist auch ein Treffer bei Google. Insgesamt betrachtet machen die metasprachlichen Diskussionen aber in aller Regel den deutlich geringeren Anteil an den Gesamttreffern aus.

    2. Google bemüht sich um personalisierte und schnelle Suchergebnisse, die Treffergenauigkeit steht hier also nicht im Vordergrund. Dennoch - und deshalb wird hier trotz der genannten Einschränkungen auf Google zurückgegriffen - lassen sich doch Eindrücke über allgemeine Gebrauchstendenzen gewinnen.
     


    Fazit: Vor diesem Hintergrund ist Ihr Satz je nach intendierter Bedeutung möglich, gebräuchlicher wäre heute jedoch die folgende Variante:

    Beispiel

    Sieht man doch die Anmut.


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