Ergebnis 1 bis 2 von 2

Thema: was ist richtig: es ist 19 Grad oder es sind 19 Grad?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard was ist richtig: es ist 19 Grad oder es sind 19 Grad?

     

  2. #2
    Registriert seit
    03.07.2014
    Ort
    Gießen
    Beiträge
    271

    Standard Kongruenz bei Temperaturangaben

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Ihre Grammatikfrage betrifft die Kongruenz zwischen dem finiten Verb und dem Subjekt des Satzes. Zu diesem Zweifelsfall finden Sie bereits einen Foreneintrag unter: http://www.grammatikfragen.de/showth...highlight=grad

    In diesem Beitrag wird auf die grundlegende Regel verwiesen, dass das finite Verb eines Satzes immer kongruent mit dem Subjekt des Satzes sein muss. Das bedeutet, dass das nach Person und Numerus flektiert Verb hinsichtlich dieser grammatischen Kategorien mit dem Subjekt des Satzes übereinstimmen muss. Dazu ein Beispiel:

    Beispiel

    Er (= Nominativ, Singular, Maskulinum, 3. Person) liest (= 3 Person Singular Präsens Aktiv Indikativ) ein Buch.


    Das Beispiel zeigt, dass das Subjekt er und das finite Verb liest jeweils beide im Singular stehen und darüber hinaus die dritte Person artikulieren. Nun stellt sich mit Bezug auf Ihr Beispiel die Frage, welches Wort bzw. welche Wortgruppe kongruent mit dem Verb sein sein muss. Betrachten wir dazu die Struktur des Satzes näher:

    Ihr Beispielsatz erinnert formal an einen sogenannten Kopulasatz. Kopulasätze werden mit den Verben sein, werden, bleiben gebildet. Darüber hinaus gehört zu einem Kopulasatz ein Adjektiv oder eine Nominalgruppe im Nominativ, welche hinsichtlich der grammatischen Eigenschaften mit einem anderen Satzglied übereinstimmt. Dieses weitere Satzglied schreibt der genannten Person bzw. dem Gegenstand eine Eigenschaft zu. Ein typisches Beispiel für einen solchen Kopulasatz wäre:

    Beispiel

    Peter wird Arzt.


    Bei diesem Beispielsatz liegt das Kopulaverb wird vor. Dieser Satz ist so aufgebaut, dass zunächst eine Person (hier: Peter) genannt wird, der dann anschließend eine Eigenschaft (hier: Arzt-Sein) zugeschrieben wird. Das Subjekt stimmt dabei hinsichtlich des Kasus und des Numerus mit der Nominalgruppe im Nominativ, mit der dem Subjekt Eigenschaften zugeschrieben werden, überein:

    Beispiel

    Peter (= Nominativ, Singular, Maskulinum) wird Arzt (= Nominativ, Singular, Maskulinum).


    Das finite Verb ist in solchen Sätzen kongruent mit derjenigen Wortgruppe, die im Nominativ steht und der eine Eigenschaft zugeschrieben wird.

    Nun bereitet die Analyse Ihres Beispielsatzes als Kopulasatz jedoch Schwierigkeiten. Diese liegen darin begründet, dass es sich bei Kopulasätzen um Gleichsetzungssätze handelt. Bei diesen stehen die beiden Nominalgruppen im Nominativ in der Regel im selben Numerus. Das heißt, dass einem Subjekt im Singular eine Eigenschaft im Singular zugeschrieben, einem Subjekt im Plural eine Eigenschaft im Plural, wie im obigen Beispiel. Es werden in der Regel also keine Dinge gleichgesetzt, die nicht im selben Numerus stehen. Von dieser Regel gibt es jedoch Ausnahmen, wie das folgende Beispiel der Dudengrammatik zeigt:

    Beispiel

    Besonders Rechtschreibfehler (=Plural) waren ihm immer ein Gräuel (=Singular). (Dudengrammatik, Randnummer 1632)


    Analysiert man Ihr Beispiel als Kopulasatz, dann müsste dort ebenfalls eine Ausnahme vorliegen, denn das Wort es steht im Singular, während 19 Grad im Plural zu stehen scheint. Ob es wirklich im Plural steht, wird in einem späteren Absatz noch erläutert.

    Ein weiterer Unterschied zu den typischen Kopulasätzen ist, dass an der Position, wo prototypisch das Subjekt des Satzes steht, das Wort es steht. Dabei handelt es sich jedoch nicht um das Pronomen es, welches auf bereits genannte Gegenstände verweist, sondern um ein unpersönliches es. Dieses verweist auf nichts in der Welt, sondern steht nur formal an der Position, an der sonst das Subjekt stehen würde. Das Vorliegen eines lediglich formalen Subjekts verursacht, dass bei der Gleichsetzung das Subjekt des Satzes und die Nominalgruppe, die eine Eigenschaft zuschreibt, sich im Numerus unterscheiden, da das unpersönliche es ausschließlich im Singular vorkommt. Der Satz weist somit keine prototypische Kopulastruktur auf. Was bedeutet das jedoch für die Wahl des Numerus des Verbs?

    Dafür gibt es zwei mögliche Interpretationen:

    Lesart 1: Es ist das Subjekt des Satzes.

    Bei dieser Lesart wird angenommen, dass es das Subjekt des Satzes ist, auch wenn dies auf inhaltlicher Ebene problematisch ist, denn hier bekommt nicht ein Gegenstand, sondern ein formales Subjekt eine Eigenschaft zugeschrieben. In diesem Fall würde das Subjekt des Satzes im Singular stehen und das finite Verb müsste entsprechend angepasst werden. Der Satz lautet dann:

    Beispiel

    Es ist 19 Grad.


    Lesart 2: Das Subjekt des Satzes ist 19 Grad.

    Nimmt man an, dass es nicht das Subjekt des Satzes sein kann, kann diese Aufgabe nur von der Wortgruppe 19 Grad übernommen werden. Dabei stellt sich jedoch die Frage, in welchem Numerus sie steht. Formal betrachtet steht das Substantiv Grad nämlich im Singular, inhaltlich jedoch weist die Zahl 19 daraufhin, dass es nicht nur ein Grad ist, was für eine Plurallesart sprechen würde. Diesbezüglich heißt es in der Dudengrammatik, dass die Pluralflexion häufig bei Maß- und Mengenbezeichnungen unterlassen wird. (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 270) Da es sich bei Grad also um eine Maßangabe handelt, besteht die Möglichkeit, diese nicht in den Plural zu setzen, obwohl sie aus einer semantischen Perspektive im Plural stehen müsste. Was bedeutet dies aber nun für den Zweifelsfall? Im Duden 9 Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle wird eine passende Regel formuliert:
    „Bei einer pluralischen Gradangabe muss auch das Verb im Plural stehen.“
    Demnach müsste das Verb in Ihrem Beispielsatz im Plural stehen und es entsprechend heißen:

    Beispiel

    Es sind 19 Grad.


    Ihr Zweifelsfall entsteht also dadurch, dass nicht eindeutig ist, mit welchem Substantiv das finite Verb kongruent sein muss und darüber hinaus auch nicht ganz eindeutig ist, in welchem Numerus die jeweiligen Substantive stehen.
     


    Sprachgebrauch


    Um zu überprüfen, welche Variante im Sprachgebrauch präferiert wird, wurde mithilfe von COSMAS II, der digitalen Belegsammlung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), und Google nach beiden Varianten gesucht. Dabei ergab sich folgendes Ergebnis:

    COSMAS IIGoogle
    Es ist 19 Grad. 0 Treffer ca. 1.130 Treffer
    Es sind 19 Grad. 0 Treffer ca. 519 Treffer
    Es ist 30 Grad. ca. 8 Treffer ca. 13.000 Treffer
    Es sind 30 Grad. ca. 9 Treffer ca. 3.460 Treffer

    Treffer in Cosmas II
    Es + sind + Kardinalzahl + Grad 14 Treffer
    Es + ist + Kardinalzahl + Grad 15 Treffer

    Bei diesen Varianten zeigt sich eine Tendenz hin zur Wahl des Singulars bei den Google-Treffern, während die Treffer bei Cosmas II nahezu identisch sind. Der Singular scheint vor allem dann bevorzugt zu werden, wenn auf das Wort Grad ein Adjektiv wie warm oder kalt folgt. In dieser Variante muss der Singular stehen, da hier das Adjektiv warm/kalt mit dem Wort es gleichgesetzt wird und diese sich nicht im Numerus unterscheiden. Da hier also das Subjekt im Singular steht, muss es auch das finite Verb. Die Angabe der Gradzahl ist dabei lediglich ein Attribut und hat keinen Einfluss auf die Kongruenz von Subjekt und finitem Verb.

    Um solche Beispielfälle rauszurechnen, wurde die Stichprobe erneut eingeschränkt. Dabei wurden nun nur die Treffer in Cosmas II berücksichtigt, die strukturell Ihrem Beispiel gleichen. Diese erneute Analyse führte zu folgendem Ergebnis:

    Treffer in Cosmas II
    Es + sind + Kardinalzahl + Grad 14 Treffer
    Es + ist + Kardinalzahl + Grad 2 Treffer
    Es sind 30 Grad. 8 Treffer
    Es ist 30 Grad. 2 Treffer

    Betrachtet man nur diese Beispiele, dann zeigt sich, dass für Ihren Beispielsatz die Wahl des Plurals im Sprachgebrauch leicht überwiegt, wobei die Stichprobe hier relativ gering ist. Demnach würde die folgende Variante basierend auf den vorliegenden Daten von den Sprachbenutzern bevorzugt werden:

    Beispiel

    Es sind 19 Grad.


    Hinweis zu Googledaten: Die Sprachgebrauchsdaten werden mit dem wissenschaftlich fundierten Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache Mannheim COSMAS II erhoben und durch Googlebefunde ergänzt. Die ergänzende Googlesuche ist notwendig, da in der Textsammlung des IdS (DeReKo = Deutsches Referenzkorpus), obwohl diese inzwischen 24 Milliarden Wortformen umfasst, die gefragten Varianten häufig nur relativ selten vorkommen. Bei Google finden sich häufig deutlich mehr Treffer, die Zahlen sind aber aus den folgenden beiden Gründen mit Vorsicht zu genießen:

    1. Google unterscheidet nicht zwischen "echten" Sprachgebrauchstreffern und metasprachlichen Diskussionen. Die Frage zu downgeloadet/gedownloadet in unserem Forum bspw. ist auch ein Treffer bei Google. Insgesamt betrachtet machen die metasprachlichen Diskussionen aber in aller Regel den deutlich geringeren Anteil an den Gesamttreffern aus.

    2. Google bemüht sich um personalisierte und schnelle Suchergebnisse, die Treffergenauigkeit steht hier also nicht im Vordergrund. Dennoch - und deshalb wird hier trotz der genannten Einschränkungen auf Google zurückgegriffen - lassen sich doch Eindrücke über allgemeine Gebrauchstendenzen gewinnen.

     

    Umfrage zum Umgang mit dieser Antwort

    War diese Antwort hilfreich für Sie? Wie gehen Sie damit um?
    Helfen Sie unserem Forschungsteam von der Universität Gießen dabei herauszufinden, wie eine solche Grammatik benutzt wird, welche Erläuterungen interessant sind und wie Sie damit umgehen. Durch die Beantwortung unseres Fragebogens tragen Sie dazu bei, die Qualität unserer Antworten und die Qualität von Grammatiken zu verbessern!

    Umfrage öffnen


Ähnliche Themen

  1. Es sind 30 Grad. / Es ist 30 Grad.
    Von rudi im Forum Fragen zur Grammatik
    Antworten: 2
    Letzter Beitrag: 16.06.2015, 09:53
  2. Antworten: 1
    Letzter Beitrag: 03.03.2012, 10:39

Lesezeichen

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein