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Thema: Heißt es: „schuf sich ein Standbein" oder „schaffte sich ein Standbein"?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Heißt es: „schuf sich ein Standbein" oder „schaffte sich ein Standbein"?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Beim Schreiben eines Artikels

  2. #2

    Standard schuf/schaffte sich ein Standbein

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    Sprachsystem

    Hier stellt sich die Frage, ob das Verb schaffen im gegebenen Zusammenhang – sich ein (zweites) Standbein schaffenstark oder schwach flektiert (konjugiert, gebeugt) wird. Für sich genommen gibt es schaffen nämlich in beiden Varianten, allerdings mit unterschiedlichen Bedeutungen.

    In der Bedeutung ‚erfolgreich zum Abschluss bringen, bewerkstelligen, bewältigen‘ wird schaffen schwach flektiert (ich schaffe – ich schaffte – ich habe geschafft).

    Beispiel

    Er schaffte die Kurzdistanz in der einmaligen Weltrekordzeit von 9,79 Sekunden.

    Nur noch eine halbe Stunde, dann ist endlich Feierabend und ein gutes Stück Arbeit geschafft. (Internetbelege)


    Stark flektiert (ich schaffe – ich schuf – ich habe geschaffen) wird schaffen dagegen, wenn es die Bedeutung ‚neu entstehen lassen, hervorbringen‘ hat.

    Beispiel

    Gott schuf die Katze, damit der Mensch einen Tiger zum Streicheln hat. (Victor Hugo)


    In Ihrem Fall passt vermutlich eher die letztgenannte Bedeutung, so dass die Variante schuf sich ein (zweites) Standbein vorzuziehen wäre.

    Das Duden-Universalwörterbuch unterscheidet daneben aber noch eine weitere Bedeutung ‚entstehen, zustande kommen lassen, zustande bringen‘, in der schaffen tendenziell als starkes Verb eingestuft wird, aber auch schwach vorkommt.

    Beispiel

    In einigen Fällen lag das Problem auch in der Grafik-Hardware verborgen und das Herabsetzen der Grafik-Beschleunigung schuf Abhilfe.

    Ein falsch behandelter Granitboden wirkte immer verschmutzt und ungepflegt, was Mietern und Objekteigner gleichermaßen missfiel. Ein Münchener Dienstleister schaffte Abhilfe. (Internetbelege)


    Wenn man für die Kombination sich ein (zweites) Standbein schaffen diese Bedeutung von schaffen annimmt, ist also auch die starke Form schuf zu bevorzugen, während die schwache Form schaffte aber nicht als falsch zu bewerten ist.
     


    Sprachgeschichte

    Die Brüder Grimm unterscheiden in ihrem Wörterbuch ebenfalls zwischen schaffen mit starken Formen und schaffen mit schwachen Formen, wobei sie für schaffe – schuf – geschaffen im Wesentlichen die Bedeutung ‚schöpfen‘ annehmen, während das Verb in allen anderen Bedeutungen die schwachen Formen aufweist. Andererseits stellen sie aber auch fest, dass sich die Formen etwa durch falsche Analogiebildungen immer wieder miteinander vermischten, d. h., dass besonders im Mittelhochdeutschen gelegentlich schwache Formen standen, wo von der Bedeutung her die starken zu erwarten gewesen wären, und umgekehrt. In Anbetracht dieser Schwankungen und gegenseitigen Einflussnahmen ist es kaum verwunderlich, dass auch heute noch Unsicherheiten bestehen, was die Wahl der passenden Form von schaffen betrifft.
     


    Sprachgebrauch

    In COSMAS II, der digitalisierten Zeitungssammlung des Instituts für deutsche Sprache, geht die Tendenz von schaffen im Zusammenhang mit einem Standbein eher zur starken Form hin (57 Funde von schuf(en) = 78 % gegenüber 16 Funden von schaffte(n) = 22 %).

    Beispiel

    Mit dem Verkauf von Brillen schuf sich der Uhrmacher- und Optikermeister ein zweites Standbein.

    Die Familie Lehner schaffte sich mit dem 2004 errichteten Reitstall neben der Landwirtschaft ein zweites Standbein, hat 30 sehr gut ausgelastete Einstellplätze, kümmert sich um die Fütterung der Pferde. (Beispiele aus COSMAS II)


    Eine Google-Suche fördert indes Interessantes zu Tage: Gibt man dort „schuf/schaffte er sich ein zweites Standbein“ ein, so zeichnet sich ein starker Trend zu schuf hin ab (69 Funde = 92 % gegenüber 6 Funden von schaffte = 8 %). Gibt man aber „schuf/schaffte sie sich ein zweites Standbein“ ein, so überwiegt schaffte bei weitem (2710 Funde = 99 %, aber nur 30-mal schuf = 1 %). Angesichts der insgesamt weitaus höheren Fundzahlen beim femininen Pronomen kann hier über gesellschaftspolitische Zusammenhänge nur spekuliert werden – genauso wie über die vertauschten Zahlenverhältnisse bei schuf und schaffte.
     


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