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Thema: Frage zum Konjunktiv I bzw. II

  1. #1

    Standard Frage zum Konjunktiv I bzw. II

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Beim Üben

    Hallo Grammatik-Freunde,
    ich bin gerade dabei, meine Konjunktiv-Defizite aus der Welt zu schaffen und bin auf folgendes Problem gestoßen:
    Zunächst: Ich habe verstanden, dass bei der Wiedergabe von Redebeiträgen der KI benutzt wird. Deckt sich dieser mit dem Indikativ Präsens, wählt man den KII.
    Sind die Formen des KII wiederum identisch mit dem Indikativ Präteritum, wählt man die Umschreibung mit "würde".
    So weit alles ok. Aber: Wie verhält es sich mit diesem Satz:
    Die Lehrerin sagt: "Die Kinder sollen mehr lesen".

    Wiedergabe: Die Lehrerin sagt, dass die Kinder mehr lesen sollen. (Deckt sich mit dem Indikativ, also KII)
    KII: Die Lehrerin sagt, dass die Kinder mehr lesen sollten. (Deckt sich doch mit jetzt auch mit Indikativ Präteritum)

    Hier passt doch die "Würde-Form" überhaupt nicht. Wo ist denn mein Denkfehler? Offenbar sehe ich die Lösung vor lauter Grammatiktabellen und Regeln nicht

    Über eine Hilfe würde ich mich sehr freuen.
    davidino

    P.S Kann es sein, dass es bei "sollten" bleibt, weil sollen ein Modalverb ist?
    Geändert von davidino (28.01.2017 um 10:45 Uhr)

  2. #2

    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Sie haben die grundsätzlichen Gebrauchsbedingungen für die verschiedenen Konjunktivformen in der Redewiedergabe gut zusammengefasst. Wir stimmen auch Ihrer Einschätzung zu, dass in Ihrem Beispiel die würde-Form nicht geeignet wäre:

    Beispiel

    *Die Lehrerin sagt, dass die Kinder mehr lesen sollen würden.

    Wir können die folgenden Erklärungszusammenhänge bemühen:
    1. Synkretismus: Sie haben richtig erklärt, dass eine Form nicht gut geeignet ist, etwas auszudrücken, wenn sie mit einer Form für eine andere Funktion identisch ist. In der Linguistik nennen wir dieses Problem Synkretismus. Es ist völlig richtig, dass die Konjunktiv-Form sollte synkretistisch ist mit der Form des Präteritum Indikativ. Ein Synkretismus-Problem ergibt sich daraus aber erst, wenn es in der Sprachverwendung deshalb zu uneindeutigen Aussagen kommt. Das ist im vorliegenden Fall nicht gegeben: Der Satz

    Beispiel

    Die Lehrerin sagt, dass die Kinder mehr lesen soll(t)en.

    hat keinen Vergangenheitskontext. Vom Sprechzeitpunkt der Lehrerin aus gesehen ist die Tätigkeit des Lesens vielmehr zukünftig. Es besteht deshalb bei der Lektüre des Satzes keine Verwechslungsgefahr mit dem Indikativ Präteritum. Fazit: Ob eine Form vermieden werden sollte, weil sie synkretistisch ist, hängt vom Verwendungszusammenhang ab.
    2. Modalverben: Wie Sie ja auch bereits festgestellt haben, ist sollen ein Modalverb. Modalverben werden in der Tat in der Regel nicht mit der würde-Form verbunden. Zwar können wir diese Verbindung nicht ganz ausschließen:

    Beispiel

    Er behauptete, er würde das dürfen.
    Sie sagte, sie würde das übernehmen wollen.

    Aber sicherlich ist das nur sehr begrenzt möglich.
    3. Redewiedergabe: Es ist aus linguistischer Sicht nicht unbedingt notwendig, so streng zwischen direkter und indirekter Rede zu unterscheiden, wie es bspw. in der Schule gehandhabt wird, vgl. dazu den folgenden Beitrag:
    http://www.grammatikfragen.de/showth...=2505#post2505
    Für die Kommunikation ist zunächst wichtig, dass eine wiedergegebene Rede als solche ausreichend gekennzeichnet wird. Wenn ich zum Beispiel formuliere:

    Beispiel

    Er sagt, er kommt morgen.

    so ist die Aussage ausreichend als wiedergebene Rede erkennbar, obwohl weder ein Nebensatz noch ein Konjunktiv verwendet wird. So ist auch in Ihrem Beispielsatz die Redewiedergabe als solche transparent, auch wenn aus Gründen des Synkretismus auf den Konjunktiv verzichtet wird. Wie streng mit den Regeln der Konjunktivverwendung in der Redewiedergabe umgegangen wird, ist also streng genommen keine grammatische Frage, sondern eine Frage der Norm und Konvention. So wird in unterschiedlichen Verwendungsbereichen (bspw. Alltag, Schule, Journalismus) unterschiedlich damit umgegangen.

    Fazit: Es ist richtig, dass sich zu Ihrem Beispiel keine völlig eindeutige Konjunktivform bilden lässt, das ist aber aufgrund der weiteren Kontextualisierung als Redewiedergabe sowie aufgrund des nicht vorhandenen Vergangenheitskontextes unproblematisch.
     

  3. #3

    Standard

    Hallo, Frau Hennig,
    danke für die ausführliche Antwort. Sicherlich ist es beim üblichen Gebrauch beim Sprechen kein Problem, bei einer Textwiedergabe sieht es ja dann doch schon mal anders aus. Die Ausnahmeregel bei den Modalverben war mir rein grammatikalisch ausgedrückt so noch nicht bekannt.
    Vielen Dank nochmals, Ihr
    davidino

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