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Thema: Heißt es "Der Bericht darf nur in vollständigem Wortlaut wiedergegeben werden" oder "... im vollständigen Wortlaut..."?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Heißt es "Der Bericht darf nur in vollständigem Wortlaut wiedergegeben werden" oder "... im vollständigen Wortlaut..."?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Dieser Satz soll auf alle Berichte der Firma auf der Titelseite angeführt werden.

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Internetrecherche, Suche in ihrem Forum, Duden

    Unter http://www.duden.de/rechtschreibung/Wortlaut wird als Beispiel: eine Rede im [vollen] Wortlaut veröffentlichen
    Dieses Beipiel würde dann für "...im vollständigen Wortlaut..." sprechen. Vom Gefühl her würde ich aber eher "... in vollständigem Wortlaut..." verwenden. Täuscht hier das Sprachgefühl aufgrund der umgangsprächlichen Unschärfe?

  2. #2

    Standard Nominalgruppenflexion und Artikelgebrauch

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Ihre Frage bezieht sich auf die Flexion der Nominalgruppe vollständiger Wortlaut im Beispielsatz Der Bericht darf nur in vollständigem Wortlaut/ im vollständigen Wortlaut wiedergegeben werden. Die Nominalgruppe vollständiger Wortlaut ist hier Teil einer Präpositionalgruppe, bei der die Präposition in den Kasus der Nominalgruppe regiert. In beiden Varianten steht die Nominalgruppe daher im Dativ.

    Der Unterschied zwischen den beiden Varianten besteht in der Flexion. Durch die Flexion können Wörter verschiedener Wortarten an die syntaktische Umgebung angepasst werden. Substantive und Adjektive werden dekliniert und sind dadurch im Kasus und Numerus veränderlich, sodass sie mit den jeweiligen Bezugswörtern kongruent sind. Adjektive sind zudem im Genus veränderlich und können sich so dem Bezugswort anpassen.

    Während Substantive hinsichtlich ihres Flexionsmusters festgelegt sind, können Adjektive sowohl stark als auch schwach flektiert werden. Der Unterschied dabei ist, dass bei der starken Deklination der Kasus in den meisten Fällen erkennbar ist, während das schwache Flexionsmuster aus vielen gleichen Formen besteht. Grundsätzlich wird nach der Dudengrammatik (Duden 4) ein Adjektiv dann schwach flektiert, wenn ihm ein Artikelwort mit Flexionsendung vorangeht, ansonsten wird es stark flektiert.
    Weitere Informationen zur Adjektivdeklination sind folgender Antwort zu entnehmen: https://grammatikfragen.de/showthrea...jektiv_flexion
    Dies ist nun in Bezug auf den Beispielsatz Der Bericht darf nur in vollständigem/ im vollständigen Wortlaut wiedergegeben werden von Bedeutung. Bei der Variante in vollständigem Wortlaut geht der Nominalgruppe kein Artikelwort voran, weshalb hier stark flektiert wird. Bei im vollständigen Wortlaut wird dementsprechend schwach flektiert, da mit im als Verbindung aus der Präposition in und dem Artikel dem der Dativ gekennzeichnet ist.

    Ihre Frage bezieht sich also auf den Artikelgebrauch. Genauer ist die Frage, ob bei dem Ausdruck in vollständigem Wortlaut/ im vollständigen Wortlaut ein Artikel verwendet wird oder nicht. Wird kein Artikel verwendet, spricht man vom sogenannten Nullartikel. Dieser Nullartikel unterliegt laut der Dudengrammatik (Duden 4) bestimmten Gebrauchsbedingungen. So ist ein Nullartikel bei Substantiven im Singular dann möglich, wenn ihnen das semantische Merkmal „zählbar“ fehlt. Ob dieses semantische Merkmal vorhanden ist, ist unter Umständen schwierig zu entscheiden. Es kann daher auf den Grundsatz zurückgegriffen werden, dass Substantive mit dem Merkmal „zählbar“ in den Plural gesetzt werden können. Da dies bei Wortlaut der Fall ist, ist das Merkmal der Zählbarkeit gegeben, womit die Bedingungen für einen Nullartikel nicht erfüllt sind.

    Dem entspricht auch das Beispiel eine Rede im [vollen] Wortlaut veröffentlichen, das im Duden Universalwörterbuch aufgeführt ist. Eine Analyse von Sprachgebrauchsdaten kann aber an dieser Stelle dazu dienen, Präferenzen in der Verwendung der Formen zu erkennen.
     


    Sprachgebrauch


    Mit Hilfe von Cosmas II kann in den Sprachkorpora des Instituts für deutsche Sprache eine Analyse von Sprachgebrauchsdaten durchgeführt werden. Diese liefert folgende Ergebnisse:
    In vollständigem Wortlaut: 3 Belege
    Im vollständigen Wortlaut: 24 Belege
    Da dies eine sehr geringe Anzahl von Belegen ist, die sehr vage Rückschlüsse zulässt, kann eine Google-Anfrage aufschlussreich sein. Diese Belege sind aus zweierlei Gründen kritisch zu beurteilen, da Google nicht zwischen Sprachgebrauchsdaten und metasprachlichen Diskussionen unterscheidet und zudem nicht die Treffgenauigkeit, sondern personalisierte und schnelle Suchergebnisse im Vordergrund stehen. Trotzdem können die Belege als grobe Anhaltspunkte dienen. Die Suchanfrage liefert folgende Ergebnisse:
    In vollständigem Wortlaut: 670 Belege
    Im vollständigen Wortlaut: 15.600 Belege
    Sowohl die Analyse der Sprachgebrauchsdaten als auch die Google-Suchanfrage liefern mehr Ergebnisse für die Variante im vollständigen Wortlaut. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass auch die Variante in vollständigem Wortlaut verwendet wird.
     


    Fazit: Sowohl die Überlegungen zum Sprachsystem als auch die Ergebnisse der Sprachgebrauchsanalyse zeigen, dass prinzipiell beide Formen möglich sind. Da jedoch das semantische Merkmal der Zählbarkeit gegeben ist, liegt die Bedingung für den Nullartikel bei dem Beispiel in vollständigem Wortlaut/ im vollständigen Wortlaut nicht vor. Dies stützten auch die Erkenntnisse aus der Sprachgebrauchsanalyse, wo die Form im vollständigen Wortlaut deutlich häufiger verwendet wird. Das Beispiel aus dem Duden Universalwörterbuch sowie die hohe Anzahl an Belegen aus der Google-Anfrage können zudem ein Indiz dafür sein, dass es sich hier um eine Idiomatisierung der Formulierung handeln könnte.


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