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Thema: "Er, der sich seit vielen Jahren allerlei Problemen Trumps angenommen hatte, ..." - "sich annehmen" verlangt ja den Genitiv, hier wohl "allerlei Probleme", aber das wäre nicht als Genitiv erkennbar. Ist also das Ausweich

  1. #1

    Standard "Er, der sich seit vielen Jahren allerlei Problemen Trumps angenommen hatte, ..." - "sich annehmen" verlangt ja den Genitiv, hier wohl "allerlei Probleme", aber das wäre nicht als Genitiv erkennbar. Ist also das Ausweich

    Ist also das Ausweichen auf den Dativ richtig?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Der Satz stand in einer Zeitung.

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden 9, Heuer
    Geändert von Danigold (23.05.2018 um 22:14 Uhr) Grund: Ergänzung des letztes Satzes

  2. #2

    Standard Valenz von 'sich annehmen'

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Wie Sie in Ihrer Frage richtig erläutern, gibt es im Sprachsystem zwischen den Konstituenten eines Satzes verschiedene Abhängigkeiten, wozu auch das Prinzip der Valenz zählt. Unter Valenz wird die Eigenschaft eines Verbs verstanden, die Konstituenten eines Satzes zu bestimmen und hinsichtlich ihrer Formeigenschaften festzulegen. Im Hinblick auf Ihre Frage bedeutet dies für den Teilsatz der sich seit vielen Jahren allerlei Problemen Trumps angenommen hatte konkret, dass die Nominalgruppe allerlei Probleme Trumps, insbesondere der Kasus der Nominalgruppe, vom Verb sich annehmen abhängig ist. Wie sie ebenfalls bereits festgestellt haben, fordert das reflexive Verb sich annehmen den Genitiv. Dies ist unter anderem an den angeführten Beispielen im Duden Universalwörterbuch erkennbar:

    Beispiel

    Die Stadt will sich verstärkt der Ausländerbetreuung annehmen.

    Mit allerlei Problemen steht die Ergänzung zu sich annehmen in Ihrem Beispiel jedoch nicht im Genitiv, sondern im Dativ. Dies kann möglicherweise auf einen Wandel der Valenz des Verbs zurückgeführt werden, der der allgemeinen Tendenz des Abbaus des deverbalen Genitivs, also des Genitivobjekts, folgt. Die Tendenz zum Abbau kann dadurch verstärkt werden, dass – wie am Beispiel allerlei Probleme zu erkennen – der Genitiv aufgrund formal identischer Formen im Flexionsparadigma, der sogenannten Synkretismen, nicht immer eindeutig erkennbar ist.
    Nominativ allerlei Probleme
    Genitiv allerlei Probleme
    Dativ allerlei Problemen
    Akkusativ allerlei Probleme
    Eine mögliche Erklärung für das Auftreten des Dativs in Ihrem Beispiel könnte nun sein, dass deshalb auf den Dativ zurückgegriffen wird, weil dieser im Gegensatz zum Genitiv überhaupt salient ist, d.h. als Kasusform erkennbar ist und somit offenbar eine bessere Möglichkeit bietet, den Status des Satzglieds als Ergänzung des Vollverbs sich annehmen erkennbar zu machen.

    Weder in der Dudengrammatik (Duden 4) noch im Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle (Duden 9) ist für den Fall synkretistischer Formen eine allgemeine Ausweichmöglichkeit auf einen anderen Kasus, wie hier auf den Dativ, vorgesehen. Grundsätzlich besteht in solchen Fällen jedoch die Möglichkeit, auf andere Merkmalsträger wie Artikel oder Adjektive zurückzugreifen, an denen der Kasus, hier der Genitiv, eindeutig bestimmbar ist.

    Beispiel

    der sich jeglicher Probleme Trumps angenommen hatte
    der sich allerlei möglicher Probleme Trumps angenommen hatte

    Wie Ihr Beispiel jedoch zeigt, scheint die Verwendung des Dativs in Verbindung mit sich annehmen im Sprachgebrauch vorzukommen. Eine Analyse von Sprachgebrauchsdaten kann daher an dieser Stelle hilfreich sein, um eventuelle Abweichungen von der präskriptiven Grammatik aufzuspüren.
     


    Sprachgebrauch


    Mit Hilfe der Applikation Cosmas II kann in den Sprachkorpora des Instituts für Deutsche Sprache eine Analyse durchgeführt werden. Dafür wird eine Suchanfrage nach sich + (…) + annehmen gestartet, wobei die ersten 100 der 4.767 Belege als Stichprobe einen Anhaltspunkt für das Auftreten der Formen liefern können.
    Eindeutig erkennbarer Genitiv: 52 Belege
    „Eine Seminarklasse wird sich dieses Themas annehmen: Wie können wir das Pro-Kopf-Steuereinkommen erhöhen, wie kann Amriswil attraktiver werden?“ (St. Galler Tagblatt 31.12.1998)
    Eindeutig erkennbarer Dativ: 16 Belege
    „Die grosse Liebe seiner (nichtbäuerlichen) Eltern zur Landwirtschaft, deren Hinführung zur Geschichte und zum Verständnis der Hintergründe, die Detailliebe seines Vaters seien die Motivation gewesen, sich diesem Thema anzunehmen“. (St. Galler Tagblatt 15.12.1998).
    Kasus nicht eindeutig erkennbar: 32 Belege
    „Das Bauordnungsamt des Kreises wird sich der Sache annehmen und den Ort unter Sicherheitsaspekten anschauen.“ (Nordkurier 21.04.2012)
    Wie an den Sprachgebrauchsdaten zu erkennen ist, ist der Genitiv der dominierend verwendete Kasus in Verbindung mit dem Verb sich annehmen. Die Belege für die Verwendung des Dativs zeigen jedoch gleichzeitig, dass dieser kein in Ihrem Beispiel einmalig verwendeter Kasus ist, sondern entgegen der ursprünglichen Valenz des Verbs mit Forderung nach dem Genitiv öfter auftritt, sogar in syntaktischen Kontexten, die im Gegensatz zu Ihrem Beispiel eine eindeutige Genitivmarkierung erlauben. Dies entspricht der im Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle beschriebenen Tendenz, dass die Verbergänzungen im Genitiv abnehmen. Dass stattdessen der Dativ verwendet wird, kann möglicherweise auf die Tendenz der Verwendung des Dativs als Normalkasus, beispielsweise bei Appositionen, zurückgeführt werden.
     


    Fazit: Eine Verwendung des Dativs im Falle synkretistischer Flexionsformen ist standardsprachlich nicht vorgesehen. Wie die Analyse der Sprachgebrauchsdaten zeigt, scheint der Dativ als Ergänzung zum Verb sich annehmen trotz standardsprachlich gefordertem Genitiv verwendet zu werden. Dies kann in ihrem Beispiel Er, der sich seit vielen Jahren allerlei Problemen Trumps angenommen hatte einerseits durch die Tendenz zur Veränderung der Valenz des Verbs sich annehmen erklärt, andererseits als das Umgehen einer nicht eindeutigen Kasuszuordnung verstanden werden.


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    Geändert von Mathilde Hennig (22.06.2018 um 16:23 Uhr)

  3. #3

    Standard Und wie formuliert die Schulgrammatik?

    Wenn ich die Antwort richtig verstanden habe, wäre nach präskriptiver Grammatik Fogendes korrekt:
    "Er, der sich seit vielen Jahren allerlei Probleme Trumps angenommen hatte, ..." Da dies (wohl nicht nur für mich) befremdlich klingt, haben Sie vorgeschlagen, "allerlei" zu ersetzen oder zu ergänzen. Das gibt dem Satz aber eine leicht veränderte Nuance - ich wüsste gern eine korrekte Formulierung des Originalsatzes.

  4. #4

    Standard Mangelnde Kasuskennzeichnung als Folge von Flexionsabbau

    Lieber Nutzer,

    ich fasse noch einmal zusammen: Wenn Sie exakt die vorliegende Formulierung verwenden wollen, also nicht auf semantisch zumindest nah am Ausgangsbeispiel liegende Alternativen zurückgreifen wollen, haben Sie keine andere Möglichkeit als die im Ausgangsbeispiel gewählte. Der Genitiv Plural von Problem lautet Probleme und allerlei weist keinerlei Kasuskennzeichnung auf. Sie haben also zwei Lexeme ohne erkennbare Genitivmarkierung. Wenn Sie nicht auf den Dativ ausweichen wollen und eine Formulierung mit salientem Genitiv wünschen, bleibt Ihnen also nichts anderes übrig, als auf einen Artikel, ein Adjektiv oder ein Substantiv zurückzugreifen, das den Genitiv klar kennzeichnet.
    Geändert von Mathilde Hennig (27.05.2018 um 18:52 Uhr)

  5. #5

    Standard Genitiv korrekt, auch wenn nicht salient?

    Danke - wenn ich aber keinen Wert auf einen salienten Genitiv lege und nicht auf den Dativ ausweichen will, kann ich demnach "der sich allerlei Probleme Trumps angenommen hatte" schreiben, ohne des Verstosses gegen die Grammatikregeln geziehen zu werden.

  6. #6

    Standard

    Ja, natürlich! Das ist regelkonform. Ein Zwang zu klarer Kasuskennzeichnung würde uns im Gegenwartsdeutschen vor unlösbare Aufgaben stellen.

  7. #7

    Standard Die Lösung allerlei Probleme ist schwierig.

    Wenn ich richtig verstehe, ist auch der objektive Genitiv in "Die Lösung allerlei Probleme ist schwierig" formal korrekt. Der Satz wirkt aber so falsch, dass sich die Umschreibung mit "von" aufdrängt oder – bisher nicht erwogen – der Ersatz von "allerlei", z. B. mit "Lösung vielfältiger Probleme".

  8. #8

    Standard Satzgliedgrenze

    Bei diesem Beispiel besteht im Gegensatz zu Ihrem Ausgangsbeispiel das Problem nun darin, dass aufgrund der Nichterkennbarkeit des Genitivs allerlei Probleme nicht klar als Genitivattribut erkennbar ist. Deshalb bietet sich zweifelsohne ein Ausweichen auf ein Präpositionalattribut oder ein anderes Artikelwort an.
    Geändert von Mathilde Hennig (23.06.2018 um 07:46 Uhr)

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