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Thema: Heißt es "die Interessen sämtlicher Beteiligter" oder "sämtlicher Beteiligten"

  1. #1
    Christoph Gast

    Standard Heißt es "die Interessen sämtlicher Beteiligter" oder "sämtlicher Beteiligten"

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
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    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Google

    Heißt es korrekt:
    "Eine Lösung, die den Interessen sämtlicher Beteiligter gerecht wird" oder
    "Eine Lösung, die den Interessen sämtlicher Beteiligten gerecht wird"?

    Vielen Dank und beste Grüße,
    Christoph

  2. #2

    Standard Heißt es "die Interessen sämtlicher Beteiligter" oder "sämtlicher Beteiligten"?

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem

    Den Nachschlagewerken von Duden und Wahrig zufolge sind beide Varianten möglich. Bei sämtlicher Beteiligter/Beteiligten handelt es sich zunächst einmal um ein Genitivattribut zu den Interessen, also um eine beigefügte Wortgruppe, die insgesamt im Genitiv steht und die die Interessen näher beschreibt. Ob es hier aber Beteiligter oder Beteiligten heißen muss, hängt davon ab, wie man das Wörtchen sämtlich klassifiziert.

    Ein Genitivattribut besteht mindestens aus einem Substantiv (Nomen) im Genitiv, das durch verschienene andere Wörter, z.B. Artikelwörter oder Adjektive, erweitert werden kann. In Ihrem Fall ist dieses Kernsubstantiv allerdings ein substantiviertes Partizip II, was zu den Schwierigkeiten bei der Wahl der Endung beiträgt. Das Partizip II ist eine von einem Verb abgeleitete Wortform, die jedoch wie ein Adjektiv flektiert (dekliniert, gebeugt) werden kann.

    Beispiel

    beteiligen (Verb) – beteiligt (Partizip II, unflektiert) – die beteiligten Personen (Partizip II, flektiert) – die Beteiligten (substantiviertes Partizip II, flektiert)


    Nun gibt es im Deutschen zwei Arten der Adjektivflexion: die starke und die schwache. Bei der starken Adjektivflexion wird mit Hilfe der Flexionsendungen deutlicher zwischen den Kasus (Fällen) unterschieden als bei der schwachen Adjektivflexion. Diese beiden Arten der Flexion weist auch das Partizip II auf – sogar, wenn es substantiviert ist. Die folgende Tabelle zeigt die starken und schwachen Formen des substantivierten Partizips II.

    starke Adjektivflexion schwache Adjektivflexion
    Nominativ Beteiligte (die) Beteiligten
    Genitiv Beteiligter (der) Beteiligten
    Dativ Beteiligten (den) Beteiligten
    Akkusativ Beteiligte (die) Beteiligten

    Da die schwachen Pluralformen des Adjektivs bzw. des Partizips alle dieselbe Endung –en haben, muss das vorangehende Artikelwort die Aufgabe der Kasusmarkierung übernehmen (in der Tabelle ist es der bestimmte Artikel). Oder umgekehrt: Wenn dem Adjektiv bzw. dem Partizip ein Artikelwort mit einer deutlichen Flexionsendung vorausgeht, genügt es, beim Adjektiv die schwache Endung –en anzuhängen. An dieser Stelle kommt sämtlich wieder ins Spiel: Die Dudengrammatik weist sämtlich nämlich den Status eines Artikelworts zu, das in Ihrem Beispiel mit seiner starken Endung –er ausreicht, um den Genitiv deutlich anzuzeigen. Das folgende Partizip II kann daher die schwache Endung –en erhalten (sämtlicher Beteiligten).

    Das abschließende Urteil ist hier aber offenbar noch nicht gefallen, denn im Nachschlagewerk „Fehlerfreies und gutes Deutsch“ von Wahrig wird sämtlich auch als Adjektiv angesehen, was völlig andere Auswirkungen auf das folgende Partizip hat. Betrachtet man die Wortgruppe sämtlicher Beteiligter/n nämlich als eine Art Adjektivreihe ohne Artikelwort, dann werden alle Adjektive gleich (parallel) flektiert. Das bedeutet: In einer Adjektivreihe ohne Artikel übernimmt das erste Adjektiv die Funktion des Artikelworts, die deutliche Kasusmarkierung. Demnach wird das erste Adjektiv stark flektiert (sämtlicher) und alle weiteren Adjektive (bzw. Partizipien) ebenfalls (Beteiligter). Das Ergebnis davon wäre in Ihrem Fall also sämtlicher Beteiligter.

    Fazit: Das Wort sämtlich ist bis heute nicht ganz eindeutig einer Wortart zuzuordnen. Betrachtet man das Verhalten auf sämtlich folgender Adjektive und Partizipien, so kann man es entweder den Artikelwörtern oder den Adjektiven zuordnen, was von verschiedenen Nachschlagewerken zur deutschen Grammatik auch beides getan wird. Durch diese Zwischenstellung zwischen Artikelwort und Adjektiv entstehen Schwankungen, die im Genitiv Plural besonders stark sind. Letztlich bedeutet das aber auch, dass keine der von Ihnen aufgeführten Varianten „falsch“ ist.
     


    Sprachgeschichte

    Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird sämtlich noch als Adjektiv geführt, zumal es früher offenbar noch häufiger zwischen Artikel und Substantiv gesetzt wurde. Diese attributive Position können nur Adjektive einnehmen, Artikelwörtern ist sie dagegen verwehrt.

    Beispiel

    (1) [die sämtliche armee] ist geschlagen

    (2) die mutter ertrug den verlust ihres gatten und [des sämmtlichen vermögens] mit weiser standhaftigkeit


    Heute ist diese Verwendungsweise selten geworden. Vereinzelte Fälle treten der Dudengrammatik zufolge zwar noch in der juristischen Fachsprache auf („Den Gemeinden ist es freigestellt, einzelne oder [die sämtlichen Mitglieder] des Ausschusses als ständige Mitglieder einzusetzen.“ Dudengrammatik, S. 322), in den meisten Fällen steht sämtlich mittlerweile aber anstelle eines Artikels – daher die Tendenz, es als Artikelwort aufzufassen.
     


    Sprachgebrauch

    Duden und Wahrig stellen fest, dass im Plural nach sämtlich- die schwache Adjektivflexion vorherrscht, besonders im Nominativ und im Akkusativ (sämtliche Beteiligten). Im Genitiv Plural sei die starke Flexion etwas verbreiteter, aber trotzdem noch seltener als die schwache. Eine Suche nach „sämtlicher Beteiligten“ und „sämtlicher Beteiligter“ in COSMAS II, der Zeitungstextsammlung des Instituts für deutsche Sprache, scheint dies zu bestätigen: „sämtlicher Beteiligten“ bringt es hier auf 17 Treffer, „sämtlicher Beteiligter“ dagegen „nur“ auf 14. Die Datenmenge ist dabei allerdings so gering, dass man allenfalls von einer Tendenz sprechen kann. Der Vorteil von COSMAS II gegenüber Google ist, dass man in COSMAS II genau nach der gewünschten Konstruktion suchen kann (also nach Beteiligten/r als substantiviertes Partizip und nicht als Attribut). Dies ist bei Google nicht möglich, da bei einer Google-Suche nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung unterschieden wird, d.h. es werden auch Konstruktionen mit beteiligen/r als Attribut angezeigt. Da sich substantivierte Partizipien aber prinzipiell wie attributive Adjektive verhalten, können auch die Google-Daten genutzt werden. Interessanterweise liegt hier die parallel starke Konstruktion vorn: „sämtlicher Beteiligter/beteiligter“ hat 11.900 Treffer, „sämtlicher Beteiligten/beteiligten“ dagegen nur 6.130, was eine Zweidrittelmehrheit für „sämtlicher Beteiligter“ bedeutet.
     


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