Sie thematisieren in Ihrem Beispiel die Funktionen der beiden Genitive
wegen Verschuldens und
einer Scheidung. Sie haben für Ihr Beispiel zwei Lesarten vorgeschlagen. Zum einen haben Sie
einer Scheidung als Genitivattribut zu der Präpositionalgruppe
wegen Verschuldens als Möglichkeit angegeben. Zum anderen könnte der Genitiv
einer Scheidung auch dadurch bedingt sein, dass das Verb
beklagen möglicherweise ein Objekt im Genitiv regiert (fordert).
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, soll zunächst der Satzbauplan zu
beklagen betrachtet werden. Ein Satzbauplan zeigt alle vom Verb geforderten Ergänzungen an. Dabei ist zu unterscheiden zwischen obligatorischen Ergänzungen, welche immer zur Vervollständigung des Satzes vorkommen müssen, und zwischen fakultativen Ergänzungen. Fakultative Ergänzungen sind ebenfalls vom Verb gefordert, müssen aber nicht zwangsläufig realisiert werden. Die Dudengrammatik (Duden Band 4) gibt unter §1455 alle möglichen Satzbaupläne des Deutschen an. Darunter ist für den Satzbauplan Subjekt + Akkusativobjekt + Genitivobjekt + Prädikat folgendes Beispiel angeführt:
Die Zeugen beschuldigten den Mann des Diebstahls (Beispiel aus der Dudengrammatik)
Laut Dudengrammatik handelt es sich bei
genitivregierenden Verben in der Regel um
juristische Verben wie beispielsweise
verdächtigen,
beschuldigen,
anklagen. Zu dieser Kategorie an Verben gehört auch das Verb
beklagen.
Das Verb
beklagen kann folglich ein Genitivobjekt regieren. Bevor jedoch die Frage besprochen wird, ob es sich bei den Genitiven in Ihrem Satz um Genitivobjekte in diesem Sinne handelt, soll zunächst geklärt werden, ob es sich bei dem Genitivobjekt um eine fakultative oder obligatorische Ergänzung handelt. Dazu soll eine Recherche mit dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) Aufschluss darüber geben, welche der drei Ergänzungen obligatorisch sind.
Die Beispiele zeigen, dass es sich bei
Subjekt und
Akkusativobjekt um
obligatorische Ergänzungen handelt. Die ersten 400 Beispiele zeigten kein Beispiel mit
Genitivobjekt, weshalb es sich dabei um eine
fakultative Ergänzung handeln muss. Folglich enthält ein Satz mit
beklagen ein
Agens, also einen Handelnden beziehungsweise Beklagenden, welcher als Subjekt fungiert. Darüber hinaus muss der Adressat des Beklagens genannt werden. Der
Adressat wird als Akkusativobjekt angeschlossen. Der Gegenstand der Klage stellt somit eine fakultative Ergänzung dar. Diese Ergänzung wird zwar ebenfalls vom Verb regiert, muss aber nicht zwangsläufig realisiert werden.
Im Folgenden soll nun geklärt werden, ob die fakultative Ergänzung neben Genitivobjekt auch in einer anderen Form realisiert werden kann. Dazu wird das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm herangezogen. Der Eintrag zu
beklagen zeigt, dass die reflexive Form
sich beklagen sowohl eine Präpositionalgruppe als auch ein Genitivobjekt regieren konnte:
sich der Sache beklagen
des beklaget sich alt und jungk. (froschmeus. C 6b)
sich über etwas beklagen
und es werden sie beweinen und sich über sie beklagen die könige auf erden. offenb. Joh. 18, 9
Laut §536 der Dudengrammatik lassen sich auch heute die meisten
Genitivobjekte in Form einer Präpositionalgruppe realisieren. So ist es auch in Ihrem Beispiel der Fall. Sie haben den Gegenstand der Klage mit einer von
wegen eingeleiteten Präpositionalgruppe angeschlossen:
er wurde wegen Verschuldens einer Scheidung beklagt
Da laut Dudengrammatik beide Varianten gleichermaßen möglich sind, soll nun Ihr Beispiel zur Vereinfachung zunächst in einen Satz im Aktiv überführt werden. Die Ersatzprobe soll zeigen, dass sowohl der Anschluss als Präpositionalgruppe als auch der Anschluss als Genitivobjekt möglich sind:
Hans beklagt ihn wegen Verschuldens einer Scheidung.
Hans beklagt ihn des Verschuldens einer Scheidung.
Ihr Ausgangsbeispiel steht nun im Passiv. Bei der Überführung von einem Aktivsatz in einen Passivsatz kann das Subjekt des Aktivsatzes (in diesem Fall
Hans) weggelassen werden. Das Akkusativobjekt des Aktivsatzes wird dann zum Subjekt des Passivsatzes. Das Genitivobjekt beziehungsweise die Präpositionalgruppe bleibt bezüglich der semantischen Rolle unverändert. Diese Wortgruppe stellt weiterhin den Gegenstand der Klage dar und kann auch im Passiv präpositional oder als Genitivobjekt realisiert werden:
Er wurde wegen Verschuldens einer Scheidung beklagt.
Er wurde des Verschuldens einer Scheidung beklagt.
Die Beispiele zeigen die Austauschbarkeit von Genitivobjekt und einer Präpositionalgruppe.
Nachdem nun die Valenz des Verbs
beklagen ausführlich dargestellt wurde, sollen im Folgenden die beiden Genitive in Ihrem Beispiel näher betrachtet werden. Laut der Dudengrammatik (Duden Band 9) regieren Präpositionen den Kasus der nachfolgenden Wortgruppe bzw. des nachfolgenden Wortes. Die Präposition
wegen regiert den Genitiv. Der Genitiv
Verschuldens ist folglich bedingt durch die Kasusrektion von
wegen:
wegen Verschuldens
wegen Regens
Der zweite Genitiv des Satzes
einer Scheidung ist demnach bedingt durch die Funktion als Genitivattribut zur übergeordneten Wortgruppe
wegen Verschuldens. In Ihrem Beispiel liegt folglich kein Genitivobjekt vor, da Sie den Gegenstand der Klage alternativ als Präpositionalgruppe realisiert haben.
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