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Thema: Analyse: "..., nachdem er wegen Verschuldens einer Scheidung beklagt worden war,..."

  1. #1
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    Standard Analyse: "..., nachdem er wegen Verschuldens einer Scheidung beklagt worden war,..."

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Lektüre: "Wir sind doch Schwestern" Anne Gesthuysen

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    E-Valbu, Duden Universal Wörtebuch, Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch-Französisch

    Ich verstehe die zwei aufeinander folgenden Genitive nicht.
    Handelt es sich um das Verschulden einer Scheidung und dann wäre der zweite Genitiv attributiv zum susbstantiviertem Verb "Verschulden" oder aber regiert das Verb beklagen den Genitiv und dann wäre "Scheidung" Genitivobjekt von diesem Verb.

    Ich bedanke mich schon im Voraus für Ihre Antwort.

  2. #2

    Standard Valenz des Verbs "beklagen" - Genitivobjekt oder Präpositionalgruppe

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem

    Sie thematisieren in Ihrem Beispiel die Funktionen der beiden Genitive wegen Verschuldens und einer Scheidung. Sie haben für Ihr Beispiel zwei Lesarten vorgeschlagen. Zum einen haben Sie einer Scheidung als Genitivattribut zu der Präpositionalgruppe wegen Verschuldens als Möglichkeit angegeben. Zum anderen könnte der Genitiv einer Scheidung auch dadurch bedingt sein, dass das Verb beklagen möglicherweise ein Objekt im Genitiv regiert (fordert).
    Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, soll zunächst der Satzbauplan zu beklagen betrachtet werden. Ein Satzbauplan zeigt alle vom Verb geforderten Ergänzungen an. Dabei ist zu unterscheiden zwischen obligatorischen Ergänzungen, welche immer zur Vervollständigung des Satzes vorkommen müssen, und zwischen fakultativen Ergänzungen. Fakultative Ergänzungen sind ebenfalls vom Verb gefordert, müssen aber nicht zwangsläufig realisiert werden. Die Dudengrammatik (Duden Band 4) gibt unter §1455 alle möglichen Satzbaupläne des Deutschen an. Darunter ist für den Satzbauplan Subjekt + Akkusativobjekt + Genitivobjekt + Prädikat folgendes Beispiel angeführt:
    Die Zeugen beschuldigten den Mann des Diebstahls (Beispiel aus der Dudengrammatik)
    Laut Dudengrammatik handelt es sich bei genitivregierenden Verben in der Regel um juristische Verben wie beispielsweise verdächtigen, beschuldigen, anklagen. Zu dieser Kategorie an Verben gehört auch das Verb beklagen.

    Das Verb beklagen kann folglich ein Genitivobjekt regieren. Bevor jedoch die Frage besprochen wird, ob es sich bei den Genitiven in Ihrem Satz um Genitivobjekte in diesem Sinne handelt, soll zunächst geklärt werden, ob es sich bei dem Genitivobjekt um eine fakultative oder obligatorische Ergänzung handelt. Dazu soll eine Recherche mit dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) Aufschluss darüber geben, welche der drei Ergänzungen obligatorisch sind.
    Die Beispiele zeigen, dass es sich bei Subjekt und Akkusativobjekt um obligatorische Ergänzungen handelt. Die ersten 400 Beispiele zeigten kein Beispiel mit Genitivobjekt, weshalb es sich dabei um eine fakultative Ergänzung handeln muss. Folglich enthält ein Satz mit beklagen ein Agens, also einen Handelnden beziehungsweise Beklagenden, welcher als Subjekt fungiert. Darüber hinaus muss der Adressat des Beklagens genannt werden. Der Adressat wird als Akkusativobjekt angeschlossen. Der Gegenstand der Klage stellt somit eine fakultative Ergänzung dar. Diese Ergänzung wird zwar ebenfalls vom Verb regiert, muss aber nicht zwangsläufig realisiert werden.
    Im Folgenden soll nun geklärt werden, ob die fakultative Ergänzung neben Genitivobjekt auch in einer anderen Form realisiert werden kann. Dazu wird das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm herangezogen. Der Eintrag zu beklagen zeigt, dass die reflexive Form sich beklagen sowohl eine Präpositionalgruppe als auch ein Genitivobjekt regieren konnte:
    sich der Sache beklagen
    des beklaget sich alt und jungk.
    (froschmeus. C 6b)
    sich über etwas beklagen
    und es werden sie beweinen und sich über sie beklagen die könige auf erden.
    offenb. Joh. 18, 9
    Laut §536 der Dudengrammatik lassen sich auch heute die meisten Genitivobjekte in Form einer Präpositionalgruppe realisieren. So ist es auch in Ihrem Beispiel der Fall. Sie haben den Gegenstand der Klage mit einer von wegen eingeleiteten Präpositionalgruppe angeschlossen:
    er wurde wegen Verschuldens einer Scheidung beklagt
    Da laut Dudengrammatik beide Varianten gleichermaßen möglich sind, soll nun Ihr Beispiel zur Vereinfachung zunächst in einen Satz im Aktiv überführt werden. Die Ersatzprobe soll zeigen, dass sowohl der Anschluss als Präpositionalgruppe als auch der Anschluss als Genitivobjekt möglich sind:
    Hans beklagt ihn wegen Verschuldens einer Scheidung.
    Hans beklagt ihn des Verschuldens einer Scheidung.
    Ihr Ausgangsbeispiel steht nun im Passiv. Bei der Überführung von einem Aktivsatz in einen Passivsatz kann das Subjekt des Aktivsatzes (in diesem Fall Hans) weggelassen werden. Das Akkusativobjekt des Aktivsatzes wird dann zum Subjekt des Passivsatzes. Das Genitivobjekt beziehungsweise die Präpositionalgruppe bleibt bezüglich der semantischen Rolle unverändert. Diese Wortgruppe stellt weiterhin den Gegenstand der Klage dar und kann auch im Passiv präpositional oder als Genitivobjekt realisiert werden:
    Er wurde wegen Verschuldens einer Scheidung beklagt.
    Er wurde des Verschuldens einer Scheidung beklagt.
    Die Beispiele zeigen die Austauschbarkeit von Genitivobjekt und einer Präpositionalgruppe.
    Nachdem nun die Valenz des Verbs beklagen ausführlich dargestellt wurde, sollen im Folgenden die beiden Genitive in Ihrem Beispiel näher betrachtet werden. Laut der Dudengrammatik (Duden Band 9) regieren Präpositionen den Kasus der nachfolgenden Wortgruppe bzw. des nachfolgenden Wortes. Die Präposition wegen regiert den Genitiv. Der Genitiv Verschuldens ist folglich bedingt durch die Kasusrektion von wegen:
    wegen Verschuldens
    wegen Regens
    Der zweite Genitiv des Satzes einer Scheidung ist demnach bedingt durch die Funktion als Genitivattribut zur übergeordneten Wortgruppe wegen Verschuldens. In Ihrem Beispiel liegt folglich kein Genitivobjekt vor, da Sie den Gegenstand der Klage alternativ als Präpositionalgruppe realisiert haben.
     


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  3. #3
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