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Thema: Den Feuerwehrleuten liefen am Morgen die Tränen über das Gesicht. Ist "über das Gesicht" advberbiale Bestimmung des Ortes oder Präpositionalobjekt?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Den Feuerwehrleuten liefen am Morgen die Tränen über das Gesicht. Ist "über das Gesicht" advberbiale Bestimmung des Ortes oder Präpositionalobjekt?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Diskussion in der Familie

    Wir sind eher zu dem Ergebnis gekommen, dass es eine adverbiale Bestimmung ist. Sind uns da aber nicht ganz sicher.
    Vielen Dank im Voraus für Ihre Hilfe.

  2. #2

    Standard

    Da es sich bei einer Frage zur Satzgliedbestimmung um keinen den Sprachgebrauch betreffenden grammatischen Zweifelsfall handelt, wird hier auf unser auf Zweifelsfälle ausgerichtetes Antwortschema mit den Icons verzichtet. Wir möchten Sie dennoch bitten, unseren kurzen Fragebogen zur Bewertung unserer Antwort auszufüllen.

    Die funktionale Bestimmung der Aufgaben von Präpositionalgruppen (= Wortgruppen mit einer Präposition, hier: über das Gesicht) im Satz gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Schulgrammatik.
    In der Schulgrammatik wird vorzugsweise mit Frageproben gearbeitet. Laut der schulgrammatischen Frageprobe handelt es sich um ein Adverbial, wenn mit einem Frageadverb gefragt wird (wann? wo? etc.) und um ein Objekt, wenn mit einem die Präposition beinhaltetenden Fragepronomen gefragt wird (worauf? wofür? etc.). Die Frageprobe könnte hier möglicherweise für eine Bestimmung als Präpositionalobjekt sprechen, da die Frage Worüber laufen die Tränen? eventuell als angemessener empfunden werden könnte als die Frage Wo laufen die Tränen? Zu einem wirklich eindeutigen Ergebnis verhilft uns diese Probe noch nicht.
    Es scheint uns deshalb sinnvoll zu sein, zunächst der Frage nachzugehen, was 'Objekt' und 'Adverbial' eigentlich generell bedeuten.

    Objekte und Subjekte sind die unmittelbaren "Mitspieler" einer Handlung oder eines Vorgangs. Als "Mitspieler" ist das Objekt sehr eng an das jeweilige Verb gebunden. Adverbiale dagegen situieren das durch das Verb und seine Mitspieler ausgedrückte Ereignis, sie drücken sozusagen die näheren Umstände aus, unter denen das Ereignis (die Handlung, der Vorgang...) stattfindet. Die enge Bindung des Objekts zum Verb führt dazu, dass das Verb die formalen Eigenschaften des Objekts bestimmt, d.h., das Verb legt sozusagen fest, ob es ein Kasusobjekt (Akkusativobjekt, Dativobjekt oder Genitivobjekt) oder ein Präpositionalobjekt (und wenn ja, mit welcher Präposition) in seiner Umgebung haben möchte. Deshalb können wir hier nie frei wählen: Für das Verb lieben brauchen wir immer ein Akkusativobjekt, das wir nicht einfach durch ein Dativobjekt oder ein Präpositionalobjekt austauschen können, das Verb warten verlangt ein Präpositionalobjekt mit der Präposition auf (Ich warte auf Godot) und nicht etwa ein Akkusativobjekt oder ein Präpositionalobjekt mit der Präposition für. Dass für Adverbiale die enge Bindung an das Verb und die Festlegung der formalen Eigenschaften nicht gelten, erkennen wir daran, dass wir Adverbiale relativ beliebig mit verschiedenen Verben kombinieren und dabei verschiedene formale Realisierungsvarianten des Adverbials (Adverb, Präpositionalgruppe, Nebensatz) wählen können: Ich liebe ihn schon immer/seit langer Zeit; Ich warte schon immer/seit langer Zeit auf ihn.

    Die Einsicht, dass die enge Bindung des Objekts an das Verb über die festgelegten formalen Eigenschaften des Objekts erkennbar ist, kann nun in verschiedene Proben "übersetzt" werden. Die wichtigste Probe ist die Austauschbarkeit der Präposition: Wenn es sich um ein Präpositionalobjekt handelt, kann die Präposition nicht ausgetauscht werden (Ich warte auf Godot, nicht: *Ich warte für Godot), bei präpositionalen Adverbialen dagegen kommen je nach Semantik des Adverbials verschiedene Präpositionen in Frage: Ich warte auf/vor/neben dem Bahnhof.
    Die enge Bindung an das Verb führt bei Präpositionalobjekten auch dazu, dass das Objekt auch nebensatzförmig realisiert werden kann, wobei ein Pronominaladverb (hier: darauf) den Objektsatz quasi vorweg nimmt: Ich warte darauf, dass Godot kommt. Das geht bei Adverbialen nicht: *Ich warte davor, dass der Bahnhof...??

    Wie lassen sich die allgemeinen Überlegungen zur Unterscheidung von Präpositionalobjekt und präpositionalem Adverbial nun auf unseren Zweifelsfall anwenden?
    Zwar scheint die Präposition über eng an das Verb liefen gebunden zu sein, da wir nicht sagen würden Die Tränen liefen auf dem Gesicht oder Die Tränen liefen zwischen Augen und Wangen. Andererseits ist das Verb laufen (ohne die Tränen) durchaus mit den verschiedensten Präpositionen kombinierbar: Die Läuse liefen ihr in die Ohren, Die Maus lief gegen die Wand. Eindeutig nicht anwendbar ist die für ein Präpositionalobjekt sprechende Probe 'Pronominaladverb + Objektsatz': *Die Tränen liefen darüber, dass ...???

    Wir haben nun festgestellt, dass die Proben eher gegen eine Einordnung von über das Gesicht als Präpositionalobjekt sprechen, um ein völlig frei hinzugefügtes Adverbial scheint es sich aber auch nicht zu handeln. Woran liegt das? Unseres Erachtens hat dies damit zu tun, dass sich der Ausdruck jmdm. laufen die Tränen über das Gesicht verfestigt, konventionalisiert (wir nennen das in der Sprachwissenschaft 'idiomatisiert') hat. Davon zeugt die hohe Frequenz des gemeinsamen Vorkommens von liefen die Tränen und über das Gesicht / übers Gesicht / über die Wangen: Im Recherchesystem COSMAS II gibt es insgesamt 50 Belege für liefen die Tränen. Von diesen 50 Belegen enthalten 20 Belege eine der genannten Präpositionalgruppen. Beeindruckend ist die hohe Trefferquote in google: Dort finden sich insgesamt 352.000 Treffer für die Tränen liefen, was bereits ein Indiz dafür ist, dass die Tränen und liefen sehr häufig zusammen vorkommen (wir sprechen dann von einer 'Kollokation'). Davon enthalten 82.900 Fundstellen eine der genannten Präpositionalgruppen mit Gesicht oder Wange. Auch hier kann man also auf der Basis der hohen Frequenz des gemeinsamen Vorkommens davon sprechen, dass es sich um eine konventionalisierte Wendung handelt.

    Was hat das nun wiederum mit unserer Ausgangsfrage zu tun? Wir halten es nicht für einen Zufall, dass sich die Analyse des Beispiels als so schwierig erweist, sondern meinen, dass das mit dem idiomatischen Charakter der Wendung zu tun hat. Wir vertreten die (sicherlich gewöhnungsbedürftige) Auffassung, dass sich die klassische schulgrammatische Satzgliedanalyse nicht für solche konventionalisierten Ausdrücke eignet. Wenn der gesamte Ausdruck jmdm. laufen die Tränen über das Gesicht synonym steht für weinen, welchen Sinn macht es dann, wenn ich den Ausdruck in seine Bestandteile zerlege und diesen Bestandteilen Satzgliedfunktionen zuweise? Wir sprechen ja auch nicht davon, dass etwa weinst aus Subjekt und Prädikat besteht (etwa: wein = Prädikat, st = Subjekt).
    Die klassische Satzgliedanalyse eignet sich für Sätze mit Strukturformaten, die beliebig lexikalisch gefüllt werden können (etwa: Ich warte auf Godot/auf die große Liebe/darauf, dass endlich der Frühling kommt...). Hier kann ich die Struktur sinnvoll in ihre Bestandteile zerlegen und nach dem Beitrag der einzelnen Strukturteile zum Gesamtsatz fragen. Wenn dagegen ein Satz eine idiomatisierte Wendung enthält - was man im vorliegenden Fall ja sehr gut an der Austauschbarkeit mit dem einfachen Verb weinen sowie an der hohen Frequenz der Kollokation erkennt - , sollte man diese Wendung nicht zerstückeln.

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    Geändert von Jacqueline Weiß (22.09.2015 um 11:24 Uhr)

  3. #3

    Standard Präpositionalobjekt

    Den Feuerwehrleuten liefen am Morgen die Tränen über das Gesicht.

    Den Feuerwehrleuten > Dativobjekt (Wem?)

    liefen > Prädikat

    am Morgen > Temporaladverbiale (Wann?)

    Tränen > Subjekt (Wer oder was?)

    über das Gesicht. > Präpositionalobjekt (Worüber?)


    Das Fragewort lautet "Worüber?" nicht "Wohin?".

  4. 15.01.2019 05:33

    Grund
    Kein Zusammenhang zur Frage

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