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Thema: "im Nachkriegsdeutschland" oder "in Nachkriegsdeutschland"?

  1. #1

    Standard "im Nachkriegsdeutschland" oder "in Nachkriegsdeutschland"?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Editieren in der Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_THTR-300)

    Google ergibt massig Treffer für beides - oft sogar innerhalb desselben Textes - z.B. https://www.hsozkult.de/publicationr...ezbuecher-6992

    "Im Deutschland" würde niemand sagen: "Es gibt keine Minnesänger mehr im Deutschland?" - nein: "Es gibt keine Minnesänger mehr IN Deutschland".

    Warum dann aber "Sprache im Nachkriegsdeutschland", oder im relevanten WP-Artikel "eines der größten technischen Debakel im Nachkriegsdeutschland"?

    // Edit:
    Unter "Wieso sagen alle "IM Irak..." schreiben Sie:

    Bei den meisten Staatennamen handelt es sich jedoch um Neutra. Diese werden, sofern sie nicht durch Attribute ergänzt sind, ohne Artikel gebraucht.
    Klar. "Nachkriegsdeutschland" ist aber doch keine Ergänzung durch ein Attribut - oder doch?

    Andere Wortverbindungen mit "Deutschland" scheinen stark zu schwanken:
    - "in Hitlerdeutschland", aber (wohl) "im Adenauerdeutschland".
    - "in Mitteldeutschland", aber "im Küstendeutschland"
    - und "im Wirtschaftswunderdeutschland", "im Bonzendeutschland", "im Bürokratendeutschland", ...
    Hat es etwas mit "stehenden Begriffen" zu tun - m.a.W. also doch, ob das Kompositum (noch) als "mit Attribut" empfunden wird oder (schon) als eine Einheit? Und gibt es daher tendenziell eine "Entwicklung" vom "im" (=mit Artikel) zum "in" (=ohne Artikel), wenn sich Begriffe wie "Nachkriegsdeutschland" immer mehr als stehende Wendung durchsetzen?

    H.M.
    Geändert von hmmueller (18.04.2019 um 09:39 Uhr)

  2. #2

    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Bei Ihrer Frage geht es um den Artikelgebrauch bei Komposita mit -deutschland als Zweitglied.
    In

    Beispiel

    In Mitteldeutschland

    wird kein Artikel gebraucht; auf die Präposition in folgt unmittelbar das Kompositum.
    In

    Beispiel

    Im Hitlerdeutschland

    wird der bestimmte Artikel -m gebraucht; er ist mit der Präposition in verschmolzen.
    Ein bestimmter Artikel wird in der Regel verwendet bei:
    - Vorerwähnung

    Beispiel

    Peter hat ein Auto bestellt. Er hat das Auto nun bekommen
    .
    - Vorinformation

    Beispiel

    Hat Peter den Eingriff gut überstanden?

    - Kennzeichnung durch Attribuierung

    Beispiel

    Das ist der größte Tag in seinem Leben.

    - Sachliche Einmaligkeit

    Beispiel

    Der Pabst besucht Deutschland.

    - Generalisierungen

    Beispiel

    Die Katze benötigt verschiedene Kletter-, Versteck- und Aussichtsplätze.

    - in festen Wendungen

    Beispiel

    die Nase hoch tragen

    - bei geografischen Eigennamen

    Beispiel

    der Großglockner, der Ärmelkanal, der Rhein

    (alle Beispiele stammen aus der Dudengrammatik)

    Für Ihre Frage dürfte eine Kombination der Erklärungsfaktoren sachliche Einmaligkeit, feste Wendung und geografischer Eigenname relevant sein.
     


    Sprachgebrauch


    Mit einer Sprachgebrauchsanalyse kann Ihre Vermutung bestätigt werden, dass es "etwas mit stehenden Begriffen zu tun hat".
    So finden sich im Kernkorpus des DWDS (= Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache) die folgenden Treffer für ein Kompositum mit -deutschland und im:

    Beispiel

    Die Zeit, 12.03.1982, Nr. 11:
    Es wäre schwierig gewesen, im Nachkriegsdeutschland als deutscher Jude wieder Fuß zu fassen.
    Sinn und Form, 1985, Nr. 2, Bd. 37:
    Er hatte gedacht, daß die neuen Formen der Repression, unter denen sein Volk zu leiden gehabt hat und noch leidet, der Zustand von Angst (ganz wie im Nazideutschland konnte man jederzeit auch für ein kleines Vergehen inhaftiert werden, man war jederzeit in Lebensgefahr) und Rechtlosigkeit (sein Vater, ein Anwalt, hat seinen Beruf deswegen aufgegeben), eine Angelegenheit der Geschichte Ugandas sei, wie sie sonst nur noch in Ländern wie Chile und Brasilien zu finden ist.
    Friedrich, Carl Joachim: Totalitäre Diktatur, Stuttgart: Kohlhammer 1957, S. 77:
    Im Januar 1924 betrug die Gesamtmitgliedschaft der italienischen faschistischen Jugendorganisationen 60941, im Juli 1937 dagegen 6 052 581, im Hitlerdeutschland betrug die Gesamtzahl Ende 1932 nach der staatlichen Statistik 107856, zu Anfang 1939 dagegen 7 728 259.

    Das sind insgesamt nur wenige Treffer (34), bei denen es ganz offensichtlich um ein spezifisches Deutschland geht, sodass die Verwendung eines bestimmten Artikels hier naheliegt.
    Die Verwendung ohne Artikel ist offenbar die neutralere Form (1734 Treffer). Hier finden sich vor allem Komposita wie Norddeutschland und Süddeutschland, allerdings aber auch den anderen Beispielen vergleichbare Verwendungen wie:

    Beispiel

    Baudissin, Wolf von u. Baudissin, Eva von: Spemanns goldenes Buch der Sitte. In: Zillig, Werner (Hg.), Gutes Benehmen, Berlin: Directmedia Publ. 2004 [1901], S. 3315:
    Die letztere Kategorie ist in Reichsdeutschland als ungewöhnlich zu bezeichnen, während die Heroldsämter einiger anderen Länder in sehr umfassendem und nicht gerade erbaulichem Maße sich damit zu befassen haben.

     


    Fazit:
    Mit dem bestimmten Artikel wird offensichtlich angezeigt, dass es sich um einen sehr spezifischen Begriff von -deutschland handelt. Eine solche Kennzeichnung kann aber nicht als obligatorisch angesehen werden.

  3. 03.05.2019 23:38


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