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Thema: Heißt es "der Abschied zweier Liebender" oder "der Abschied zweier Liebenden"?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Heißt es "der Abschied zweier Liebender" oder "der Abschied zweier Liebenden"?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Gedichtanalyse

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden

    "von zwei" würde ja den Dativ fordern, gilt das für "zweier" auch? Außerdem gibt es "Liebender" in der Plural-Deklination des Wortes "Liebende" ja eigentlich gar nicht... Hilfe!!!

  2. #2

    Standard Heißt es "der Abschied zweier Liebender" oder "der Abschied zweier Liebenden"?

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    Sprachsystem

    Es stimmt, dass die Präposition von den Dativ „regiert“, weshalb es der Abschied von zwei Liebenden heißt. Von zwei Liebenden ist hier ein präpositionales Attribut zu der Abschied, während zweier Liebender/n ein Genitivattribut ist. Die Kardinalzahlen zwei und drei verfügen nämlich über Genitivformen, die wie die Genitivformen starker Adjektive mit der Endung –er gebildet werden (z. B. die Auswirkungen kalter Winter, die Nachteile billiger Flugtickets und ebenso nach Aussage zweier Zeugen). Nun steht ein Genitivattribut immer als Ganzes im Genitiv, d. h. das auf zweier folgende Wort muss ebenfalls im Genitiv stehen. Es fragt sich nur, welche Form in Ihrem Fall die richtige ist: Liebender oder Liebenden?

    Zunächst einmal ist festzuhalten, dass beides Genitivformen sein können, d. h. Liebenden ist nicht notwendigerweise ein Dativ. Das hängt damit zusammen, dass Liebende ein substantiviertes Partizip ist, das sich wie ein Adjektiv verhält. Das Besondere an Adjektiven ist nun, dass sie je nach syntaktischer Umgebung stark oder schwach flektiert (dekliniert, gebeugt) werden. Dies gilt auch für substantivierte Adjektive und Partizipien, wie die folgende Tabelle zeigt.

    starke Adjektivflexion schwache Adjektivflexion
    Nominativ Liebende (die) Liebenden
    Genitiv Liebender (der) Liebenden
    Dativ Liebenden (den) Liebenden
    Akkusativ Liebende (die) Liebenden

    Adjektive werden schwach flektiert, wenn ihnen ein Artikelwort vorangeht, das selbst über eine deutlich erkennbare Kasusmarkierung verfügt (wie z. B. der bestimmte Artikel in der Tabelle). Geht dem Adjektiv dagegen kein solches Artikelwort voraus, wird es entsprechend der Tabelle stark flektiert.

    Doch was bedeutet das für Ihren Zweifelsfall? Zweier wird von der Dudengrammatik als „Kardinalzahladjektiv“ eingestuft und auch Liebende verhält sich, wie gesagt, wie ein Adjektiv. Die Wortgruppe besteht also im Prinzip aus zwei hintereinander stehenden Adjektiven. Ein Artikelwort ist hingegen nicht in Sicht, was bedeutet, dass zweier die Funktion des „Hauptmerkmalträgers“ übernehmen muss, erkennbar an der starken Endung. Nun gilt für hintereinander stehende Adjektive die Regel, dass sie parallel flektiert werden, d. h. sie werden entweder alle stark oder alle schwach flektiert. Und da zweier stark flektiert ist, wird auch Liebende hier stark flektiert. Demnach heißt es der Abschied zweier Liebender.
     


    Sprachgeschichte

    Dass aber auch die Kombination zweier Liebenden häufig zu finden ist (vgl. den Punkt „Sprachgebrauch“), hängt wohl einmal mehr mit der allgemeinen Tendenz zur Monoflexion zusammen. Laut der Genitivregel der Dudengrammatik steht eine Nominalgruppe (also eine Wortgruppe mit einem Substantiv oder eben einem substantivierten Adjektiv als Kern) bereits dann im Genitiv, wenn sie ein adjektivisches Wort und ein Wort mit der Genitivendung –s oder –r enthält. Beide Kriterien werden in Ihrem Beispiel bereits von zweier erfüllt, weshalb die deutliche Genitivmarkierung mit der Endung –r an Liebender von manchen Sprechern/Schreibern als überflüssig empfunden wird. Für sie ist es ausreichend, den Kasus innerhalb einer Wortgruppe wie dieser nur noch an einem Wort deutlich zu markieren (Monoflexion), während das andere Wort bzw. die anderen Wörter die schwache Endung erhalten können.
     


    Sprachgebrauch

    Tatsächlich ist die schwache Adjektivflexion nach zweier recht verbreitet, auch wenn die starke Flexion immer noch häufiger ist. In den als standardsprachlich geltenden Zeitungstexten des Instituts für Deutsche Sprache ist die Kombination „zweier Liebender“ 82-mal zu finden (= 64,6 %), „zweier Liebenden“ aber auch 45-mal (= 35,5 %).

    Bei Google nähern sich die beiden Varianten sogar noch weiter an: „zweier Liebender“ ist hier aktuell 91.700-mal verzeichnet (= 53,7 %) und „zweier Liebenden“ 79.100-mal (= 46,3 %). Bei einer Verteilung von 50:50 spricht man in der Sprachwissenschaft von „freier Variation“, d. h. beide Varianten sind gleich gebräuchlich und insofern auch gleich „richtig“. Dem kommt die Verteilung bei Google bereits ausgesprochen nahe.
     


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