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Thema: Weder die Bankangestellte noch der Dieb hört / hören die Sirenen.

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Weder die Bankangestellte noch der Dieb hört / hören die Sirenen.

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Diktat

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden

    Was wird häufiger gebraucht?

  2. #2

    Standard "Weder die Bankangestellte noch der Dieb hört/hören die Sirenen" - Singular oder Plural?

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachgebrauch

    Sie haben ganz Recht, wenn Sie danach fragen, welche der beiden Varianten häufiger vorkommt, denn diese Frage würden sich auch Grammatikautoren stellen. Wissenschaftliche Nachschlagewerke zur Grammatik verfahren heute nämlich deskriptiv, d. h. sie untersuchen den tatsächlichen Sprachgebrauch und versuchen, aus den empirischen Ergebnissen Grammatikregeln abzuleiten, die dann in den Grammatiken erscheinen. Tendenziell gilt also: Was die meisten Sprachbenutzer sagen oder schreiben, kann nicht völlig falsch sein.

    Zu Ihrem konkreten Fall äußert sich zum Beispiel der Wahrig-Band „Fehlerfreies und gutes Deutsch“, und zwar heißt es dort, dass das Prädikat überwiegend im Plural steht, wenn es auf ein Subjekt folgt, das aus zwei Subjektteilen im Singular besteht, die durch die Konjunktion weder ... noch miteinander verbunden sind. Konkret: Am Anfang Ihres Satzes steht das Subjekt Weder die Bankangestellte noch der Dieb. Dabei stehen die beiden Subjektteile die Bankangestellte und der Dieb jeweils für sich genommen im Singular und sie sind durch weder ... noch miteinander verbunden. Darauf folgt das Prädikat hört bzw. hören. Aber ist das wirklich so, dass in solchen Fällen der Plural überwiegt, und wenn ja: Was bedeutet „überwiegen“ hier eigentlich genau?

    Um dies herauszufinden, haben wir eine eigene Recherche in COSMAS II, dem digitalen Zeitungstextarchiv des Instituts für deutsche Sprache, durchgeführt. Für die Untersuchung wurden 100 Sätze aus bundesdeutschen Tageszeitungen aus dem Jahr 2011 herangezogen, die Ihrem Satz grammatisch entsprechen (zwei mit weder ... noch verbundene Subjektteile im Singular, denen das Prädikat folgt). Von diesen 100 Sätzen wiesen tatsächlich die mit Abstand meisten, nämlich 91, ein Prädikat im Plural auf. Nur bei neun Sätzen stand das Prädikat im Singular.

    Beispiel

    Weder Soini (48) noch der konservative Parteichef Jyrki Katainen (39) wollten sich über mögliche Koalitionspartner äußern. (Nürnberger Nachrichten, 19.04.2011)

    Weder der Gutachter noch die Staatsanwaltschaft ließ sich jedoch überzeugen, dass H. während des Überfalls schuldunfähig war. (Mannheimer Morgen, 05.07.2011)
     


    Sprachsystem

    Grundsätzlich herrscht unter den Grammatikautoren aber nicht unbedingt Einigkeit, was derartige Zweifelsfälle betrifft. Die Dudengrammatik etwa „erlaubt“ beide Varianten, da sie zwei verschiedene Erklärungsmöglichkeiten für die Konstruktion sieht:

    1. Die beiden Subjektteile, die durch weder ... noch miteinander verbunden sind, werden sozusagen „zusammenaddiert“ und gelten dadurch insgesamt als Plural. Im Fall von weder ... noch kann man sagen, dass die Subjektteile zusammengenommen und gemeinsam ausgeschlossen werden, d. h. was im weiteren Verlauf des Satzes über die Subjektteile ausgesagt wird, trifft auf beide gemeinsam nicht zu. Da sich das Prädikat (bzw. das finite Verb, also der Teil des Prädikats, der die Numerusmarkierung trägt) im Deutschen hinsichtlich des Numerus mit dem Subjekt abstimmen muss, steht es bei dieser Betrachtungsweise auch im Plural (vgl. Duden-Kongruenzregel II, § 1602). Demnach ist Ihre Variante Weder die Bankangestellte noch der Dieb hören die Sirenen zulässig und richtig.

    2. Man kann Ihren Satz aber auch so betrachten, als ob er ursprünglich aus zwei Sätzen bestanden hätte, die dann zu einem Satz zusammengezogen wurden. Beim Zusammenziehen ist dann identisches Wortmaterial einmal weggefallen, u. a. auch einmal das finite Verb hört.

    Weder die Bankangestellte [hört die Sirenen] noch der Dieb hört die Sirenen.

    Für solche zusammengezogenen Sätze gilt, dass sich das finite Verb hinsichtlich des Numerus mit dem ihm näher stehenden Subjektteil abstimmt, also in Ihrem Fall mit der Dieb. Dieser steht bekanntlich im Singular und so kann hier auch das finite Verb im Singular stehen. Das bedeutet, dass die Variante Weder die Bankangestellte noch der Dieb hört die Sirenen ebenfalls zulässig ist.

    In der Grammatik von Peter Eisenberg wird sogar nur die Singular-Variante anerkannt, da sich die Prädikation seiner Ansicht nach auf jeden Subjektteil einzeln bezieht und nicht auf beide zusammengenommen. Für Eisenberg heißt es also nur Weder Helga noch Renate gewinnt und nicht Weder Helga noch Renate gewinnen, während Duden und Wahrig beides zulassen.

    Fazit: Selbst unter Sprachwissenschaftlern sind Zweifelsfälle wie der Ihre nicht vollständig geklärt, was sich an zum Teil widersprüchlichen Aussagen in grammatischen Nachschlagewerken zeigt. Beide Varianten kommen allerdings im tatsächlichen Sprachgebrauch vor und sind grammatisch begründbar, weshalb Sie sich ruhig der Sichtweise anschließen dürfen, die am ehesten Ihrem Sprachgefühl entspricht. Wie die Untersuchung der Zeitungstexte ergeben hat, wird derzeit in der deutschen Standardsprache aber offenbar der Plural beim finiten Verb bevorzugt, wenn es auf die mit weder ... noch verbundenen Subjektteile folgt.
     


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