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Thema: "...,und bedient sich dabei auch noch anderer Leute Eigentum." Müsste "Eigentum" hier nicht im Genitiv stehen?

  1. #1
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    Standard "...,und bedient sich dabei auch noch anderer Leute Eigentum." Müsste "Eigentum" hier nicht im Genitiv stehen?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Bei der Lektüre von "Epochenwende" von Meinhard Miegel; List Taschenbuch (sehr gut!)

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden 9 - Helbig & Buscha

    "Anderer Leute" ist ein vorangestellter (sachsischer) Genitiv bei "Eigentum", das seinerseits Genitivobjekt bei "bedient sich" ist.

  2. #2

    Standard Einfluss eines vorangestellten Genitivattributs auf das Flexionsverhalten des Substantivs

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    Das grammatische Problem bei Ihrem Zweifelsfall ist vielleicht komplizierter, als es zunächst den Anschein hat. Richtig ist in jedem Fall, dass das reflexive Verb sich bedienen ein Genitivobjekt fordert – in Ihrem Beispiel ist das anderer Leute Eigentum. Dabei hängt Eigentum direkt von bedient sich ab, außerdem es ist aber noch um eine weitere Nominalgruppe im Genitiv (anderer Leute) erweitert, die näher definiert, um wessen Eigentum es sich handelt. Anderer Leute ist hier somit ein vorangestelltes (possessives) Genitivattribut. Welchen Einfluss die Stellung des Genitivattributs auf das Flexionsverhalten von Eigentum hat, wird deutlich, wenn man im Vergleich dazu die entsprechende Konstruktion mit nachgestelltem Genitivattribut heranzieht.

    Beispiel

    (1) ... und bedient sich dabei auch noch [[anderer Leute] [Eigentum]].

    (2) ... und bedient sich dabei auch noch [[des Eigentums] [anderer Leute]].


    Warum wird nun in Beispiel 2 das Genitiv-s an Eigentum angehängt, in Beispiel 1, das Ihrem Fund entspricht, aber nicht? Das hängt mit zwei Regeln zusammen, die z. B. in der Dudengrammatik beschrieben werden. Die allgemeinere Regel besagt zunächst, dass Substantive tendenziell keine Kasusendung tragen, wenn sie nicht von einem Artikel oder einem Adjektiv begleitet werden (vgl. Dudengrammatik, S. 964). In Beispiel 2 wird Eigentum vom bestimmten Artikel des begleitet, so dass Eigentum hier folglich das Genitiv-s erhält. Zudem formuliert die Dudengrammatik speziell für den Genitiv eine „Genitivregel“ (S. 968), der zufolge eine Nominalgruppe nur dann im Genitiv stehen kann, wenn sie a) mindestens ein adjektivisch flektiertes Wort und b) mindestens ein Wort mit der Genitivendung –s oder –r enthält. Auch diese Bedingungen erfüllt die Nominalgruppe des Eigentums, denn auch der bestimmte Artikel des zählt zu den „adjektivisch flektierten Wörtern“. Es ist also festzuhalten, dass die Beispielkonstruktion 2 mit nachgestelltem Genitivattribut völlig unproblematisch ist: Alles spricht dafür, das Genitiv-s an Eigentum anzuhängen. Das Genitivattribut anderer Leute hat hier indes keinen Einfluss auf das Flexionsverhalten von Eigentum.

    In Beispiel 1 liegt der Fall jedoch etwas anders: Hier tritt das vorangestellte Genitivattribut an die Stelle des bestimmten Artikels des, der komplett wegfällt. Nun mag die Nominalgruppe anderer Leute zwar in sich die Bedingungen für den Genitiv (siehe oben) erfüllen, trotzdem kann eine ganze Nominalgruppe im Genitiv dem Substantiv offenbar nicht seinen adjektivisch flektierten Begleiter ersetzen. Das vorangestellte Genitivattribut kann demnach zwar die Position des bestimmten Artikels einnehmen, aber keine so enge Bindung mit dem Substantiv eingehen wie der Artikel. Wie auch aus der obigen Darstellung von Beispiel 1 hervorgeht, steht Eigentum in Ihrem Fall also allein, was bedeutet, dass es die Genitivregel nicht erfüllen kann. Ohne adjektivisch flektierten Begleiter erhält Eigentum entsprechend den Dudenregeln gewöhnlich kein Genitiv-s.

    Ein weiterer möglicher Erklärungsansatz ist, dass die Konstruktion anderer Leute Eigentum als Ganze im Sprachgebrauch bereits zu einer derart festen Wendung geworden ist, dass sie auch im Genitiv nicht (mehr) flektiert wird.
     


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