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Thema: Textstelle in einem Aufsatz: "Dieses Gut (manchmal auch "Schloß" R. genannt) ist der Ausgangspunkt einer im Staatsarchiv M. dokumentierten Streitsache, deren Anlaß und Ablauf hier geschildert werden sollen."

  1. #1
    wreikaw Gast

    Standard Textstelle in einem Aufsatz: "Dieses Gut (manchmal auch "Schloß" R. genannt) ist der Ausgangspunkt einer im Staatsarchiv M. dokumentierten Streitsache, deren Anlaß und Ablauf hier geschildert werden sollen."

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Ich habe Zweifel, ob es nicht richtig "geschildert werden soll" heißen muß.

  2. #2

    Standard Kongruenz von Subjekt und finitem Verb

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    Sprachsystem

    Man kann Ihren Zweifelsfall aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und dadurch zu unterschiedlichen Ansichten darüber gelangen, ob es nun ..., deren Anlass und Ablauf hier geschildert werden soll oder sollen heißt. Aus Sicht der Sprachwissenschaft sind beide Varianten begründbar und somit grundsätzlich „erlaubt“.

    Das Problem im vorliegenden Nebensatz ..., deren Anlass und Ablauf hier geschildert werden soll(en) hängt mit der Kongruenz zwischen Subjekt und finitem Verb zusammen. Es ist sozusagen eine Grundregel der deutschen Sprache, dass das finite Verb (also der Teil des Prädikats, der die Numerusmarkierung trägt – in Ihrem Fall also soll(en)) mit dem Subjekt hinsichtlich des Numerus abgestimmt wird. Normalerweise bereitet das den Sprechern auch gar keine Schwierigkeiten: Steht das Subjekt im Singular, muss auch das finite Verb in den Singular gebracht werden, und genauso im Plural. Die Herstellung von Kongruenz läuft also quasi automatisch ab. Es gibt allerdings Subjekte, bei denen nicht so leicht zu entscheiden ist, ob sie nun im Singular oder im Plural stehen, was natürlich auch die Herstellung von Kongruenz mit dem finiten Verb erschwert. Genau dies trifft auch auf Ihren Fall zu.

    Der Grund dafür, dass es Ihnen schwer fällt zu entscheiden, ob es ..., deren Anlass und Ablauf hier geschildert werden soll oder sollen heißen muss, liegt also nicht beim finiten Verb selbst, sondern beim Subjekt. Das Subjekt dieses Satzes besteht aus zwei Teilen (Wer oder was soll hier geschildert werden? - Deren Anlass und Ablauf), die durch die Konjunktion und miteinander verbunden sind. Der Dudengrammatik zufolge sind in diesem Fall Singular und Plural des finiten Verbs zulässig, da man den Satz grammatisch auf zweierlei Art und Weise deuten kann.

    Obwohl die einzelnen Subjektteile Anlass und Ablauf für sich genommen im Singular stehen, können sie zu einem Plural „zusammenaddiert“ werden (nach der Devise „eins plus eins ergibt zwei“). Wenn man das gesamte Subjekt dann als pluralisch auffasst, ist es naheliegend, auch das finite Verb in den Plural zu setzen. In diesem Fall würde also die Duden-Kongruenzregel II für Subjekte mit gereihten Subjektteilen zur Anwendung kommen, der zufolge es ..., deren Anlass und Ablauf hier geschildert werden sollen heißen müsste.

    Aber auch der Singular soll ist grammatisch begründbar: Man kann den Satz nämlich auch so betrachten, als ob er ursprünglich einmal aus zwei Sätzen bestanden hätte, die dann zu einem Satz zusammengezogen wurden. Der „Originalsatz“ könnte so ausgesehen haben:

    Beispiel

    Dieses Gut ist der Ausgangspunkt einer im Staatsarchiv M. dokumentierten Streitsache, deren Anlass [hier geschildert werden soll] und [deren] Ablauf hier geschildert werden soll.


    Das ist natürlich ziemlich umständlich, weshalb Sprecher und Schreiber dazu tendieren, Bestandteile, die in den beiden Nebensätzen vorkommen, einmal einzusparen (vgl. eckige Klammern im obigen Beispiel). Tut man dies, so bleibt vom ersten Teilsatz das Subjekt deren Anlass übrig, aber das finite Verb soll fällt zusammen mit dem übrigen Wortmaterial weg. In diesem Fall greift die Duden-Kongruenzregel III für Subjekte in zusammengezogenen Sätzen mit nur einem finiten Verb, die besagt, dass das finite Verb sich nach dem näher stehenden Subjekt richtet. Das wäre in Ihrem Satz Ablauf, der bekanntlich im Singular steht.

    Beispiel

    ..., deren Anlass und Ablauf hier geschildert werden soll
    ferneres Subjekt näheres Subjekt finites Verb


    Weiterhin spricht für den Singular des finiten Verbs, dass zwischen den beiden Subjektteilen Anlass und Ablauf ein enger inhaltlicher Zusammenhang besteht. Formal zeigt sich dieser enge Zusammenhang daran, dass die beiden Substantive sich das Pronomen deren teilen, das sich auf die Streitsache bezieht. Dadurch, dass die Streitsache im Text umfassend dargestellt werden soll, können ihr Anlass und ihr Ablauf sozusagen als „gedankliche Einheit“ angesehen werden, und die Betrachtung als „Einheit“ legt wiederum den Singular beim finiten Verb nahe.

    Fazit: Wie gezeigt wurde, sind in Ihrem Satz beide fraglichen Varianten möglich und „richtig“. Der Plural sollen lässt sich (vereinfacht ausgedrückt) mit der grammatisch-logischen Sichtweise begründen, dass zwei Singulare zusammengenommen einen Plural ergeben. Für den Singular soll spricht aus grammatischer Sicht, dass es sich dabei um das verbleibende von ursprünglich zwei finiten Verben aus zwei zusammengezogenen Sätzen handelt. Aus semantischer Sicht kann man die Subjektteile Anlass und Ablauf als gedankliche Einheit auffassen, die ihrerseits den Singular vom finiten Verb fordert. Welcher Betrachtungsweise Sie sich anschließen, bleibt letztlich Ihnen und Ihrem persönlichen Sprachgefühl überlassen.
     


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