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Thema: Die Industrialisierung schaffte oder schuf neue Arbeitsplätze?

  1. #1
    aligru Gast

    Standard Die Industrialisierung schaffte oder schuf neue Arbeitsplätze?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Lehrbuch

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden, canoo, LEO

  2. #2

    Standard Starke und schwache Flexion von "schaffen"

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem

    Hier stellt sich die Frage, ob das Verb schaffen im gegebenen Zusammenhang – neue Arbeitsplätze schaffenstark oder schwach flektiert (konjugiert, gebeugt) wird. Für sich genommen gibt es schaffen nämlich in beiden Varianten, allerdings mit unterschiedlichen Bedeutungen.

    In der Bedeutung ‚erfolgreich zum Abschluss bringen, bewerkstelligen, bewältigen‘ wird schaffen schwach flektiert (ich schaffe – ich schaffte – ich habe geschafft). Ebenso in der umgangssprachlichen Bedeutung ‚bringen, tragen, transportieren, befördern‘ und in der im süddeutschen Raum verbreiteten Bedeutung ‚arbeiten‘. Die schwache Flexion ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Stammvokal in der Formreihe nicht verändert und das Partizip II auf –t endet.

    Beispiel



    (1) Er schaffte die Kurzdistanz in der einmaligen Weltrekordzeit von 9,79 Sekunden.
    (2) Nur noch eine halbe Stunde, dann ist endlich Feierabend und ein gutes Stück Arbeit geschafft.
    (3) Ich schaffte den ganzen Tag in meinem Büro und am Nachmittag gönnte ich mir eine Auszeit […]
    (4) Ins Krankenhaus schaffte es Mutter Mandy Schmidt (30) nicht mehr […] (Internetbelege)


    Stark flektiert (ich schaffe – ich schuf – ich habe geschaffen) wird schaffen dagegen, wenn es die Bedeutung ‚neu entstehen lassen, hervorbringen‘ hat. Bei starken Verben ändert sich in der Formreihe der Stammvokal und das Partizip II endet auf –en.

    Beispiel


    (5) Gott schuf die Katze, damit der Mensch einen Tiger zum Streicheln hat. (Victor Hugo)


    In Ihrem Fall passt vermutlich eher die letztgenannte Bedeutung, so dass die Variante schuf neue Arbeitsplätze vorzuziehen wäre.

    Das Duden-Universalwörterbuch unterscheidet daneben aber noch eine weitere Bedeutung ‚entstehen, zustande kommen lassen, zustande bringen‘, in der schaffen tendenziell als starkes Verb eingestuft wird, aber auch schwach vorkommt.

    Beispiel


    (6) In einigen Fällen lag das Problem auch in der Grafik-Hardware verborgen und das Herabsetzen der Grafik-Beschleunigung schuf Abhilfe.
    (7) Ein falsch behandelter Granitboden wirkte immer verschmutzt und ungepflegt, was Mietern und Objekteigner gleichermaßen missfiel. Ein Münchener Dienstleister schaffte Abhilfe. (Internetbelege)


    Wenn man für die Kombination neue Arbeitsplätze schaffen diese Bedeutung von schaffen annimmt, ist also auch die starke Form schuf zu bevorzugen, während die schwache Form schaffte aber nicht als falsch zu bewerten ist.
     


    Sprachgeschichte

    Die Brüder Grimm unterscheiden in ihrem Wörterbuch ebenfalls zwischen schaffen mit starken Formen und schaffen mit schwachen Formen, wobei sie für schaffe – schuf – geschaffen im Wesentlichen die Bedeutung ‚schöpfen‘ annehmen, während das Verb in allen anderen Bedeutungen die schwachen Formen aufweist. Andererseits stellen sie aber auch fest, dass sich die Formen etwa durch falsche Analogiebildungen immer wieder miteinander vermischten, d. h., dass besonders im Mittelhochdeutschen gelegentlich schwache Formen standen, wo von der Bedeutung her die starken zu erwarten gewesen wären, und umgekehrt. In Anbetracht dieser Schwankungen und gegenseitigen Einflussnahmen ist es kaum verwunderlich, dass auch heute noch Unsicherheiten bestehen, was die Wahl der passenden Form von schaffen betrifft.
     



    Sprachgebrauch

    In COSMAS II, der digitalisierten Zeitungssammlung des Instituts für deutsche Sprache, zeigt sich eine nahezu gleichmäßige Verteilung der beiden Flexionsarten von schaffen im Zusammenhang mit neue Arbeitsplätze bzw. Arbeitsplätze (41 Funde von schuf(en) = 53 % gegenüber 36 Funden von schaffte(n) = 47 %).

    Beispiel

    (8) Er vervielfachte die Gewinne, schuf Arbeitsplätze, brachte sein Unternehmen an die Weltspitze und ging mit ihm erfolgreich an die Börse.
    (9) Er schaffte Arbeitsplätze durch Deregulierung und Flexibilisierung. (Belege aus Cosmas II)


    Eine Google-Suche zeigt indes eine andere Tendenz: Hier zeichnet sich ein starker Trend von schaffen in Zusammenhang mit neue Arbeitsplätze bzw. Arbeitsplätze zur starken Form ab (41.720 Funde von schuf(en) = 87 % gegenüber 6.490 Funde von schaffte(n) = 13 %).
     


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