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Thema: ..un stellte schmunzelnd fest, dass das dünne Blech an zu glühen fing...

  1. #1
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    Standard ..un stellte schmunzelnd fest, dass das dünne Blech an zu glühen fing...

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Bei der Lektüre von "Der Engel schwieg." (Heinrich Böll)

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    trifft nicht zu

    Ich hätte eher "...,dass das dünne Blech zu glühen anfing..." erwartet.

  2. #2

    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Laut Duden (Band 9) sind Konstruktionen wie „Man wird uns entdecken, wenn der Hund an zu bellen fängt.“ nicht korrekt. Vielmehr müsse es heißen „...wenn der Hund zu bellen anfängt“ oder „...wenn der Hund anfängt zu bellen.“

    Ihre Frage betrifft erstens die Gruppe der Partikelverben und zweitens die Gruppe der Verben, die ein zweites Verb als Ergänzung verlangen können. Anfangen liegt nämlich in der Schnittmenge beider Gruppen.

    Anfangen als Partikelverb:

    Anfangen ist ein Partikelverb. Das kann hier daran festgemacht werden, dass Erstglied (= nichtverbaler Bestandteil an-) und verbales Zweitglied (= -fangen) morphologisch (Beispiel 1) und syntaktisch (Beispiel 2) trennbar sind.

    Beispiel

    Beispiel 1: Mir wurde geraten, bald mit der Arbeit anzufangen.


    Beispiel

    Beispiel 2: Er fängt noch heute mit der Arbeit an.


    In Sätzen mit Verbletztstellung – d.h. Nebensätzen – (Beispiele 3a, 3b) oder mit Zweitstellung des Finitums und Endstellung des infiniten Partikelverbs (Beispiele 4a, 4b, 4c) tritt die Partikel fast immer unmittelbar vor dem finiten Verb auf.

    Beispiel

    Beispiel 3:
    3a: ..., weil Karl jetzt einschläft.
    3b*: ..., weil Karl ein jetzt schläft.


    Beispiel

    Beispiel 4:
    4a: Hans ist gern/noch nicht abgefahren.
    4b*: Hans ist ab gern gefahren.
    4c*: Hans ist ab noch nicht gefahren.


    Ausnahmen zu dieser Regel bestehen in zwei Fällen:

    Erstens:
    Wenn der nichtverbale Bestandteil durch einen anderen Ausdruck spezifiziert wird (Beispiel 5).

    Zweitens:
    Wenn eine kontrastive Fokussierung vorliegt (Beispiel 6).

    Beispiel

    Beispiel 5: Andrew Halsey ist auf dem Weg von Kalifornien nach Australien weit ab vom Kurs gekommen.

    Beispiel


    Beispiel 6: Ich weiß, dass die Sonne auf im Osten und unter im Westen geht.


    Beide Ausnahmen treffen auf Ihr Beispiel nicht zu. In Ihrem Beispielsatz sollte anfangen bzw. anfing nach den Regeln des Standarddeutschen also nicht getrennt werden.

    Anfangen regiert einen zu-Infinitiv

    Anfangen kann (neben vielen anderen Verben) ein zweites Verb als Ergänzung verlangen. Es regiert das zweite Verb. Da das zweite Verb ein Infinitiv ist, spricht man auch von Infinitivrektion. Dieser zu-Infinitiv – in Ihrem Beispielsatz zu glühen – kann dem regierenden Verb (anfing) vorangehen oder nachfolgen. Die von Ihnen formulierte Variante wird also in der Standardsprache als korrekt angesehen. Das gilt auch für die Variante mit nachgestelltem zu-Infinitiv:..., dass das dünne Blech anfing zu glühen.

    Anfangen ist also ein Partikelverb, das deshalb in Nebensätzen ‚zusammen‘ am Satzende steht. Da es aber auch zu den Verben gehört, die einen zu-Infinitiv regieren, ist der zu-Infinitiv der finiten Form von anfangen direkt voranzustellen oder muss auf sie folgen.

     


    Sprachgebrauch


    Die Formulierung Bölls würde so im Standarddeutschen wohl nicht als korrekt erachtet werden. In der Wochenzeitschrift „DIE ZEIT“ und in „DIE ZEIT online“ (DWDS) lassen sich nur 5 Belege für an + zu + Infinitiv + Finite Form von fangen finden (Beispiel 7).

    Beispiel

    Beispiel 7:
    Früher benötigten 350 festangestellte Schneeschaufler zwölf Wochen - wenn es nicht plötzlich wieder an zu schneien fing. (DIE ZEIT, 28.06.1985, Nr. 27)


    Für die Konstruktion anfängt/anfing + zu + Infinitiv lassen sich hingegen schon 232 Belege finden.
    (Beispiel 8)

    Beispiel

    Beispiel 8:
    Die deutsche Nationalmannschaft sollte erst einmal wieder ganz neu gehen lernen, bevor sie anfängt zu spielen, oder mit den Worten von Fußballfan Günter Grass rückwärts krebsen, um voranzukommen. (DIE ZEIT, 16.09.2004, Nr. 38)


    Für die Konstruktion zu + Infinitiv + anfängt/anfing können sogar 329 Belege gefunden werden. (Beispiel 9)

    Beispiel

    Beispiel 9:
    Ich mag es, wenn ich auf einer Rolltreppe die Erste bin und die Treppe unter mir zu laufen anfängt. (DIE ZEIT, 10.03.2009)


    In einem Roman Bölls kann man wohl von sprachlicher Kreativität ausgehen. Ähnliche Formulierungen findet man übrigens auch in Hermann Löns „Der Wehrwolf“ (Beispiel 10), in einem Gedicht/Lied in Joseph Freiherr von Eichendorffs „Viel Lärmen um Nichts“ (Beispiel 11) und in einigen anderen Werken.

    Beispiel

    Beispiel 10:
    Das merkte Wulf, als Drewes an zu reden fing.


    Beispiel

    Beispiel 11:
    Heut im Traum sah ich sie wieder,
    Und von allen Bergen ging
    Solches Grüßen zu mir nieder,
    Daß ich an zu weinen fing.

     

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