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Thema: Weglassung der Flexionsendung

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Weglassung der Flexionsendung

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Beim Lernen

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Ich habe mich an Herrn Dr. Bopp von Canoonet gewandt.

    Ist es standardsprachlich korrekt, die Endung "en" wegzulassen, um eine Verwechslung mit der Mehrzahlform zu vermeiden?

    Einige Beispiele:

    außer Carlas Arbeitskollege (statt des Dativs: Arbeitskollegen)
    auf Carlas Name (statt des Akkusativs: Namen)
    ein Fremder ohne Name (statt des Akkusativs: Namen)
    Mord an Dirigent (statt des Akkusativs: Dirigenten)

    Ich habe mich diesbezüglich an Herrn Dr. Bopp gewandt, weil ich dachte, dass er als promovierter Linguist mir weiterhelfen könnte. Aber ich wurde sowohl menschlich als auch fachlich enttäuscht. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie mir diese Frage beantworten könnten.

    Vielen herzlichen Dank im Voraus!

  2. #2

    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Das Weglassen der Flexionsendung tritt laut Duden-Grammatik – wie es auch Ihre Beispiele illustrieren – besonders im Dativ und Akkusativ Singular auf, wenn weder ein Artikel noch ein Adjektiv beim Substantiv steht und wenn zudem der gemeinte Singular mit dem gleichlautenden Plural verwechselt werden kann, was bei schwach flektierten Maskulina der Fall ist.
    Es müssen also mehrere Bedingungen zusammentreffen, damit das Weglassen der Flexionsendung nicht nur standardsprachlich korrekt ist, sondern für das Verständnis geradezu zwingend ist:

    - 1. Gefahr der Verwechselung von Singular und Plural bei schwach flektierten Maskulina
    - 2. Das Substantiv steht alleine – ohne Artikelwort und Adjektiv

    1. Verwechselungsgefahr

    Auch in Ihren Beispielen handelt es sich um schwach flektierte Maskulina. Das Thema „starke und schwache Flexion von Substantiven“ wird auf diesen Seiten erklärt:

    http://www.grammatikfragen.de/showth...en-Substantive

    http://www.grammatikfragen.de/showth...wach+flektiert

    Die in diesen Fällen bestehende Verwechselungsgefahr, auf die Sie sich beziehen, resultiert hier also daraus, dass sich der Singular und der Plural teilweise dieselben Wortformen teilen.

    Singular Plural
    Nominativ (der) Kollege (die) Kollegen
    Akkusativ (den) Kollegen (die) Kollegen
    Genitiv (des) Kollegen (der) Kollegen
    Dativ (dem) Kollegen (den) Kollegen

    2. Das Substantiv steht allein – ohne Artikelwort und Adjektiv

    Tritt das betreffende Substantiv – wie in Ihren Beispielen – ohne Artikelwort und Adjektiv auf, wird es laut Duden tendenziell nicht flektiert. Steht es alleine, ist das Substantiv Hauptmerkmalträger. Das bedeutet, dass man an diesem aufgrund einer Flexionsendung die grammatischen Eigenschaften der Nominalgruppe ablesen kann. Grundsätzlich gibt es im Deutschen die Tendenz, dass das am weitesten links stehende Wort der Nominalgruppe Hauptmerkmalträger ist – also meistens das Artikelwort (Beispiel 1).

    Beispiel

    Beispiel 1: Singular vs. Plural

    1a. den netten Kollegen vs. die netten Kollegen
    1b. ohne den schönen Namen vs. ohne die schönen Namen
    1c. den alten Dirigenten vs. die alten Dirigenten


    In allen Beispielen identifiziert die Flexionsendung des Artikelworts Kasus und Numerus. Die Artikelwörter sind jeweils die Hauptmerkmalträger. Fehlt das Artikelwort, kann die Aufgabe des Hauptmerkmalträgers auch vom Adjektiv realisiert werden (Beispiel 2).

    Beispiel

    Beispiel 2:

    ohne eigenen Namen vs. ohne eigene Namen


    In Beispiel 2 können aufgrund der Flexionsendung des Adjektivs der Kasus (Akkusativ) und der Numerus (Singular oder eben Plural) identifiziert werden. Sind jedoch weder Artikelwort noch Adjektiv vorhanden, bleibt nur das Substantiv, um die grammatischen Informationen durch die Flexionsendung auszudrücken.

    In den benannten Fällen ist jedoch gerade die Unterscheidung von Singular und Plural nicht möglich, wenn sich beide grammatischen Kategorien dieselben Wortformen in einem Kasus teilen. Deshalb gelingt das Ausdrücken der grammatischen Information hinsichtlich des Numerus am besten, indem in einem Fall eine Flexionsendung vorhanden ist (Plural), die dann im Singular ‚fehlt‘. Auch das Fehlen der Flexionsendung drückt hier also eine grammatische Information aus.

    Trifft also beides (1. schwache Flexion des maskulinen Substantivs und 2. das Fehlen von Artikelwort und Adjektiv) zusammen, ist das ‚Weglassen‘ der Flexionsendung sozusagen obligatorisch. Die Dudengrammatik spricht davon, dass die schwache Kasusendung gewöhnlich wegfalle.

     


    Sprachgebrauch


    Die Dudengrammatik nennt als Ausnahmen zu diesem Trend Konstruktionen mit Konjunktionalphrasen (Beispiel 3) und feste Wendungen (Beispiel 4).

    Beispiel

    Beispiel 3:

    Ganz Afrika feierte ihn als Helden.


    Beispiel

    Beispiel 4:

    Die Zustellung muss per Eilboten erfolgen.


    Grundsätzlich kann man wohl davon ausgehen, dass das gesicherte Verständnis in einem sprachlichen Kontext der formal richtigen grammatischen Flexion übergeordnet werden muss. Ist hingegen das Verständnis gesichert, können auch Fälle gefunden werden, in denen dennoch flektiert wird: In der Wochenzeitschrift „DIE ZEIT“ und in „DIE ZEIT online“ (DWDS-Korpus) lassen sich 6 Beispiel für die Konstruktion „ohne + Präsidenten“ finden, wobei jeweils der Singular gemeint ist (Beispiele 5a und 5b).

    Beispiel

    Beispiel 5:

    5a. Aber das dürfte kaum geschehen - und so würde Serbien trotz Wahlen ohne Präsidenten bleiben.

    5b. Drei Viertel des Etats (1997 waren es 396 Millionen Mark) finanziert der Bund, der deshalb auch 120 Stimmen im Stiftungsrat hat, ein Viertel die Bundesländer, die zwar nur 80 Stimmen haben, ohne deren Majorität aber etwa bei der Wahl eines Präsidenten der STPK nichts zu machen ist. Seit Anfang dieses Jahres ist die Stiftung ohne Präsidenten.


    Diesen 6 Beispielen stehen etwa 5 Fälle gegenüber, in denen auf ohne Präsident folgt (Beispiel 6).

    Beispiel


    Beispiel 6:


    Der Libanon ist nach vierzehn Kriegsjahren eine Ruine, ein Staat ohne Präsident, ein Land ohne Regierung, ein Volk, zersplittert in Clans,…


    Das steht auch in Einklang mit der Regel, dass das Substantiv flektiert wird, wenn das Artikelwort oder das Adjektiv Hauptmerkmalträger ist und die grammatischen Informationen somit eindeutig ausgedrückt werden, was die Verwechselungsgefahr ausschließt (Beispiel 7).

    Beispiel

    Beispiel 7:

    7a. außer Carlas nettem Arbeitskollegen
    7b. auf Carlas früheren Namen
    7c. Mord an dem alten Dirigenten


     
    Geändert von Volker Emmrich (06.04.2013 um 01:14 Uhr)

  3. #3
    Alexandria Gast

    Standard Weglassung der Flexionsendung

    Guten Tag, Herr Emmrich!

    Vielen herzlichen Dank für diese ausführliche Erklärung. Ich weiß nicht, wer Ihre Antwort mit nur zwei Sternen bewertet hat, aber das ist wirklich eine Frechheit. Von mir bekommen Sie die volle Punktzahl, denn ich bin mit dieser Antwort sehr zufrieden. Sie sind der Einzige, der mir diese Frage so hervorragend beantwortet hat.

    Allerdings habe ich noch zwei Fragen:

    1. Sie schreiben: Trifft also beides zusammen, ist das Weglassen der Flexionsendung sozusagen obligatorisch. Die Dudengrammatik spricht davon, dass die schwache Kasusendung gewöhnlich wegfalle.

    Ist die Weglassung nun zwingend oder sind beide Formen standardsprachlich korrekt?

    außer Carlas Arbeitskollege/Arbeitskollegen
    auf Carlas Name/Namen
    ein Fremder ohne Name/Namen
    ohne Ninas Arbeitskollege/Arbeitskollegen

    2. Warum ist in folgenden Beispielen die Weglassung richtig?

    Als Mensch mag ich ihn nicht.
    Als Student konnte man ihn nicht bezeichnen.

    In diesen Sätzen ist durch "ihn" erkennbar, dass es sich um eine einzige Person handelt. Hier bestehet die Verwechslungsgefahr nicht. Meiner Meinung nach dürfte dann nur die gebeugte Form richtig sein.

    Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie nach dieser großartigen Antwort mit zwei weiteren Fragen belästigen muss. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir auch diese beantworten würden.

    Mit ganz lieben Grüßen

    Alexandria

  4. #4
    Unregistriert Gast

    Standard

    Lieber Herr Emmrich,

    haben Sie mich vergessen?

    Wieso kann man sich eingetlich auf niemanden hundertprozentig verlassen?

  5. #5

    Standard

    1. Standardsprachlich anerkannt sind - sofern die Bedingungen erfüllt sind - beide Formen. Die zentrale Frage ist hier jedoch weniger die nach der standardsprachlichen Norm, sondern die nach der Verständlichkeit im Kontext: Soll eine bestimmte Aussage abgesichert werden - der Sprecher/Schreiber möchte sicherstellen, dass der Bezug zum Singular klar wird - ist das Weglassen der Flexionsendung für das gewünschte Verständnis zwingend. Natürlich könnte man hier alternativ jedoch auch mit Artikelwörtern oder Adjektiven arbeiten und so die Aussage absichern.

    2. Die Frage, warum die Flexionsendung in diesen Beispielen - es handelt sich um Konjunktionalphrasen mit als - gewöhnlich weggelassen wird, lässt sich auf der Basis des Dudens (Band 4 und 9) nicht beantworten. Allgemein gilt jedoch (Duden 4): Wenn eine Konjunktionalphrase/-gruppe (z.B. als...) eine Nominalphrase/-gruppe (z.B. ...Student) enthält, übernimmt diese den Kasus von einer Bezugsphrase (Kongruenz im Kasus). In dem Satz "Ich sehe ihn als Student(en)..." muss also Student im Akkusativ stehen, da auch die Bezugsphrase ihn im Akkusativ steht.
    Die von Ihnen angeführten Beispiele werden in der Duden-Grammatik (Band 4) als Sonderfall angeführt: Substantive, die den Genitiv, Dativ und Akkusativ Singular eigentlich mit der Endung-en bilden, sind meist endungslos, wenn ihnen kein flektiertes Wort (z.B. Artikelwort oder Adjektiv) vorangeht. Die im älteren Deutsch allein übliche flektierte Form findet sich vor allem noch, wenn die Konjunktionalphrase ihrer Bezugsphrase folgt: Ihm als Assistent/Assistenten.... Die Konstruktion "Als Assistenten gefiel ihm" ist laut Duden (Band 9) seltener.

    Bezieht man diesen Umstand auf die Frage, warum das Weglassen der Flexionsendung hier häufiger zu finden ist, könnte man vermuten, dass das Weglassen auch mit der Schwierigkeit, die Aussage zu verstehen, zusammenhängt. Geht der Bezugsphrase (z.B. ihn) die Konjunktionalphrase (z.B. als Studenten) voran, erfasst der Leser zuerst die Wortgruppe "als Studenten" und könnte zuerest ein Verständnis der Äußerung entwerfen, in dem vom Plural ausgegangen wird. Dieses Verständnis bleibt bestehen, bis es aufgrund der Bezugsphrase (ihn) berichtigt werden kann. Das könnte das Verstehen erschweren - vor allem, wenn zwischen Konjunktionalphrase und Bezugsphrase mehr Text/Zeit liegt.

    Beispiel

    Beispiel:
    Als Studenten des Studiengangs Literaturwissenschaft im sechsten Semester beauftragt Prof. Müller, der leider kurzfristig erkrankt ist, den Fachschaftsvorsitzenden (ihn), die neuen Studenten zu begrüßen.

  6. #6
    Unregistriert Gast

    Standard

    Vielen, vielen Dank, Herr Emmrich. Ich glaube, Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir geholfen haben.

    Danke nochmals!

    Mit schönen Grüßen

    Alexandria

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