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Thema: Ich habe gehört, dass es Verben gibt, die nicht in Perfekt, sondern in Imperfekt verwendet werden. Z.B. "finden" im Sinn von "meinen" oder "gehen", wenn ein Fenster auf die Straße geht. Wo kann man die volle Liste von s

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Ich habe gehört, dass es Verben gibt, die nicht in Perfekt, sondern in Imperfekt verwendet werden. Z.B. "finden" im Sinn von "meinen" oder "gehen", wenn ein Fenster auf die Straße geht. Wo kann man die volle Liste von s

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    In einem Gespräch mit einem Deutschen.

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Im Internet habe ich leider nichts gefunden.

  2. #2
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    Standard Verben, die eher im Präteritum als im Perfekt verwendet werden

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    In Ihrer Frage geht es um die Verwendung von Verben im Imperfekt (auch: Präteritum) trotz ansonsten durchgängiger Nutzung des Perfekts. Sie möchten also wissen, wie es sein kann, dass bestimmte Verben scheinbar nicht ins Perfekt gesetzt werden.

    Bei dieser Thematik könnte ebenfalls der folgende Link hilfreich sein, welcher die Verwendung unterschiedlicher Tempora erklärt und sich dabei schwerpunktmäßig auf Perfekt und Präteritum bezieht:

    http://www.grammatikfragen.de/showth...refixid=tempus

    Aus sprachsystematischer Sicht sind der Bildung von Verben im Perfekt (auch: vollendete Gegenwart, Präsensperfekt) erst einmal fast keine Grenzen gesetzt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen stellt es nämlich kein Problem dar, das jeweilige Vollverb ins Partizip II (=Partizip Perfekt Passiv) zu setzen und ihm weiterhin das [B]Hilfsverb[B] sein oder haben in flektierter (=gebeugter) Form, im Präsens voranzustellen.

    Beispiel


    (1) Sie ist gerannt.
    (2) Er hat gewartet.


    Nicht nur mit Vollverben wie in den Beispielen (1) und (2) sondern auch mit den Prädikativverben (auch: Kopulaverben) sein, werden, bleiben, mit vielen infinitivregierenden Verben wie den Modalverben dürfen, können, mögen/möchte, müssen, sollen, wollen sowie mit Funktionsverben können Formen im Perfekt gebildet werden (vgl. Duden 4: 463).

    Beispiel


    (3) Er ist besser gewesen.
    (4) Keiner hätte das gekonnt.
    (5) Sie hat sich in Bewegung gesetzt.

    Ebenso lassen sich auch die von Ihnen genannten Vollverben gehen und finden in allgemeineren Kontexten sowohl im Präteritum als auch im Perfekt verwenden, ohne dass sich weitere Unterschiede feststellen ließen.

    Beispiel


    (6) Ich ging ins Kino.
    (7) Ich bin ins Kino gegangen.
    (8) Er fand den Schlüssel.
    (9) Er hat den Schlüssel gefunden.


    Hingegen bei etwas gut/schlecht finden im Sinne von ‚beurteilen‘ und das Fenster geht auf die Straße im Sinne von ‚es zeigt zur Straße hin‘ handelt es sich um idiomatisierte Ausdrücke, also feststehende Wendungen, die stark konventionalisiert sind.

    Beispiel


    (10) Er hat den Auftritt gut gefunden.
    (11) Er fand den Auftritt gut.
    (12) Das Fenster ist auf die Straße gegangen.
    (13) Das Fenster ging auf die Straße.


    Dass die Sätze (10) und (12), obwohl sie grammatisch richtig sind, ein verändertes Tempusverhalten aufweisen, liegt entsprechend an ihrem Status als idiomatische Ausdrücke. Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass diese spezifischen Verben bevorzugt im Präteritum benutzt werden, was auch auf einige andere zutrifft. Hier wären vor allem die Verben haben und sein sowie die Modalverben zu nennen.

    Ein überzeugender Erklärungsansatz für dieses Phänomen hängt mit der Neigung der deutschen Sprache zur Klammerbildung zusammen. Als Satzklammer bezeichnet man einen aufgespalteten Verbalkomplex, der sozusagen eine Klammer um andere Satzabschnitte bildet. Diese Satzabschnitte stehen dann als Mittelfeld zwischen dem finiten Verb der linken Klammer und dem infiniten Verbteil der rechten.

    Beispiel


    (14) Er hat den Tisch mit seiner Schwester abgeräumt.


    Ist nun schon ein mehrteiliges Verb vorhanden, gibt es die Satzklammer nicht nur in zusammengesetzten Tempora, sodass das Perfekt nicht notwendig ist, um der Neigung zur Klammerbildung zu entsprechen.

    Beispiel


    (15) Sie hatte in dieser Angelegenheit recht.
    (16) Sie hat in dieser Angelegenheit recht gehabt.
    (17) Er musste noch Butter und Mehl kaufen.
    (18) Er hat noch Butter und Mehl kaufen müssen.


    Es wird demnach immer dann von den Perfektformen abgesehen, wenn sich aus ihnen besonders komplizierte mehrteilige Prädikate ergäben (vgl. Duden 9: 753; Lemma Präteritum).

    Fazit: Hinsichtlich der Bildung von Verben im Perfekt gibt es nahezu keine Beschränkungen. Wann nun aber das Perfekt verwendet wird, scheint mit der Bildung von Satzklammern zusammenzuhängen, die im Deutschen den Normalfall darstellen. Gibt es in einem Satz bereits eine Satzklammer, weil ein mehrteiliges Prädikat vorliegt, würde die Konstruktion durch die Perfektform nur noch komplexer. In diesen Fällen wird das Präteritum bevorzugt.
     


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    Geändert von Dennis Koch (17.08.2014 um 01:51 Uhr)

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