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Thema: Wann verwendet man das Hilfsverb haben und sein? Beispielsweise sagen ja Süddeutsche eher "Ich bin dort gestanen", statt hocheutsch "Ich habe dort gestanden".

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Wann verwendet man das Hilfsverb haben und sein? Beispielsweise sagen ja Süddeutsche eher "Ich bin dort gestanen", statt hocheutsch "Ich habe dort gestanden".

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Im Gespräch mit einem Schwaben.

  2. #2
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    Ort
    Gießen
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    85

    Standard Perfektbildung mit "haben" oder "sein"

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    Sprachsystem


    Bei Ihrer Frage geht es um die Verwendung der Hilfsverben sein und haben, die zur Bildung der zusammengesetzten Tempora Perfekt (auch: Präsensperfekt) und Plusquamperfekt (auch: Präteritumperfekt) benötigt werden. Die Perfektformen werden nämlich in Abhängigkeit von syntaktisch-semantischen Eigenschaften entweder mit sein oder haben im Präsens/Präteritum und dem Partizip II (=Partizip Perfekt Passiv) gebildet (vgl. Duden 4: 462 f.; Randnummer 656).

    Beispiel


    (1) Jonas ist/war hinausgegangen.
    (2) Jonas hat/hatte das Haus verlassen.


    Laut Dudengrammatik handle es sich bei der Perfektbildung mit haben um den Normalfall, während sein hauptsächlich bei „intransitiven Vorgangsverben ohne Genitivobjekt verwendet [wird], die eine Veränderung mit Bezug auf den Subjektaktanten bezeichnen“ (Duden 4: 464; Randnummer 659). Da diese Formulierung recht komplex ist, wird sie im Folgenden Stück für Stück erklärt.

    Intransitive Verben sind zunächst solche, die kein Akkusativobjekt neben dem Subjekt als Mitspieler im Satz verlangen. Dies wird hier noch weiter eingegrenzt, da die Verben mit sein auch kein Genitivobjekt fordern. Folglich bleiben nur Verben mit Dativobjekt oder ohne irgendein Objekt.

    Beispiel


    (3) Es ist/war ihm gut gelungen. Dativobjekt
    (4) Er ist/war eingezogen. kein Objekt


    Weiterhin ist die Rede von Vorgangsverben, was heißt, dass es sich um Verben handelt, die auf eine dynamische und somit nicht-statische Aktionsart verweisen, welche nicht von einem Agens (=Person, die als Täter fungiert) kontrolliert wird. Außerdem soll eine Veränderung des Subjektaktanten ausgedrückt werden. Sie beziehen sich also auf einen Vorgang, der den Zustand, in dem sich das Subjekt befindet, ändert. In Beispiel 5 wird der Vorgang des Schlafens verändert und in Beispiel 6 geht es um den Vorgang des Wachsens.

    Beispiel


    (5) Sie ist/war aufgewacht.
    (6) Sie ist/war gewachsen.


    Nachdem das Hilfsverb sein kurz sozusagen als regelhafte Ausnahme bei der Bildung von Perfektformen vorgestellt wurde, werden nun in der Reihenfolge der Dudengrammatik Beispiele für die Perfektbildung mit haben und sein gegeben (vgl. Duden 4: 464 f.; Randnummer 659).

    I. Perfektbildung mit haben

    a) Transitive Verben und transitive Bewegungsverben

    Beispiel


    (7) Ich habe sie begleitet.
    (8) Er hat sie gesehen.


    b) Reflexive Verben

    Beispiel


    (9) Er hat sich beeilt.
    (10) Wir haben uns verspätet.


    c) Intransitive Verben mit Genitivobjekt

    Beispiel


    (11) Sie hat sich ihrer Taten erinnert.


    Intransitive Verben mit Dativobjekt, die keine Orts- oder Zustandsveränderung des Subjektaktanten bezeichnen

    Beispiel


    (12) Er hat mir geholfen.


    Intransitive Verben ohne Kasusobjekt, die keine Orts- oder Zustandsversänderung des Subjektaktanten bezeichnen

    Beispiel


    (13) Sie hat lange gelernt.


    d) Die Verben: anfangen, beginnen, zunehmen, abnehmen, aufhören

    Beispiel


    (14) Er hat aufgehört zu stören.


    e) Modalverben

    Beispiel


    (15) Das hätte niemand gekonnt.


    II. Perfektbildung mit sein

    a) Intransitive Verben, die eine Veränderung mit Bezug auf den Subjektaktanten ausdrücken (aufstehen, erkranken, aufblühen usw.)

    Beispiel


    (16) Sie ist aufgestanden.
    (17) Sie ist erkrankt.


    b) Einige intransitive Vorgangsverben mit Dativobjekt wie [I]geschehen, passieren, zufallen[/B], bei denen das Subjekt nicht als Agens auftritt

    Beispiel


    (18) Etwas Schlimmes ist geschehen.
    (19) Die Tür ist zugefallen.


    c) Die Verben sein und bleiben

    Beispiel


    (20) Sie ist müde gewesen.
    (21) Er ist eine Woche geblieben.


    d) Die Partikelverben durchgehen und eingehen

    Beispiel


    (22) Wir sind alle Möglichkeiten durchgegangen.
    (23) Wir sind das Risiko eingegangen.


    Bewegungsverben haben eine Sonderstellung, da viele von ihnen das Perfekt sowohl mit haben als auch mit sein bilden können. Kommt allerdings noch eine Richtungsangabe hinzu, ist nur die Variante mit sein möglich (vgl. Duden 9: 441-443)

    Beispiel


    (24) Sie ist/hat geschwommen.
    (25) Sie ist ans Ufer geschwommen.
    (26) *Sie hat ans Ufer geschwommen.
    (27) Er ist/hat gefahren.
    (28) Er ist nach Köln gefahren.
    (29) *Er hat nach Köln gefahren.

     


    Sprachvariation


    Bei bestimmten Verben gibt es hinsichtlich der Bildung von Perfektformen mit haben oder sein regionale Unterschiede. Besonders betrifft dies einige Verben der Bewegung und Verben der Körperhaltung. Während im Norden die Variante mit haben benutzt wird, dominiert der Gebrauch von sein in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz (vgl. Duden 9: 443).

    Beispiel


    (1) Ich habe gesessen / gestanden / gelegen. Norddeutsch
    (2) Ich bin gesessen / gestanden / gelegen. Süddeutsch

     

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    Geändert von Dennis Koch (05.08.2014 um 12:42 Uhr)

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