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Thema: Eine Frage zum Satbau

  1. #1
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    Standard Eine Frage zum Satbau

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    ZIT ONLINE (13.09.2014)

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Helbig & Buscha : Deutsche Grammatik (Ein Handbuch für den Ausländerunterricht)

    Eine Frage zum Satzbau und im Besonderen zur Kohärenz in der Konjugation bzw. Nicht-Konjugation der Verben.

    In ZEIT ONLINE 13.09.2014
    „ James Foley
    Eltern von US-GEISEL machen Regierung Vorwürfe“:
    Der Familie sei auch gesagt worden, sie solle sich nicht an die Medien wenden, sondern darauf zu "vertrauen, dass die Sache geregelt werde".

    Hauptsatz:
    Der Familie sei auch gefragt worden:
    Nebensätze:
    (1) sie solle sich nicht an die Medien wenden (nicht = Negationswort; nicht eingeleiteter Nebensatz)
    (2) sondern (Konjunktion) darauf zu vertrauen
    (3) dass (Subjunktion) die Sache geregelt werde

    Nebensätze (1) und (2) sind meines Erachtens durch die Konjunktion "sondern" gleichrangig miteinander verbunden, während Nebensatz (3) durch die Subjunktion "dass" dem Nebensatz (2) untergeordnet ist.
    Deswegen wundert es mich, dass das Verb in Nebensatz (1) "solle" in einer finiten Form (Konj. Präs.) steht, während das Verb in Nebensatz (2) "zu vertrauen" in einer infiniten Form (Inf. Präs. mit zu) realisiert ist. Ich habe den Satz zweimal lesen müssen, im sicher zu sein, dass ich wohl richtig verstanden hatte. Wäre es nicht logischer zu schreiben:
    (1) …, sich nicht an die Medien zu wenden, sondern darauf zu „vertrauen, dass…“.
    oder
    (2)…, sie solle sich nicht an die Medien wenden (a), sondern darauf vertrauen (b), dass…“.

    Im ersten Fall gäbe es also zwei Infinitive mit zu (sich zu wenden, zu vertrauen) abhängig vom Hauptsatz (sei gefragt worden). Im zweiten Fall gäbe es zwei Infinitive ohne zu (sich wenden, vertrauen) abhängig von solle - in (2a) explizit, in (2b) nicht explizit.

    Was halten Sie davon?
    Ich bedanke mich schon.
    Geändert von Michelvilvoorde (14.09.2014 um 11:20 Uhr) Grund: Korrekturen

  2. #2

    Standard Koordinierte Nebensätze

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Sie haben Ihren Beispielsatz bereits sehr gut analysiert und völlig richtig eingeschätzt, dass hier ein Probem vorliegt. Es ist richtig, dass die beiden Nebensätze 2 und 3 koordiniert sind und dass sie deshalb die gleichen formalen Eigenschaften aufweisen sollten.
    Prinzipiell kann auf verschiedenen grammatischen Ebenen eine Koordination erfolgen. Die folgenden Beispiele sollen dies illustrieren:

    Beispiel

    (1) Beim Be- und Entladen ist Vorsicht geboten.
    (2) Der geschickte und erfahrene Handwerker löste das Problem umgehend.
    (3) In Anwesenheit der Ehepartner und des Anwalts wurde eine Entscheidung getroffen.
    (4) Die Handwerker reparierten den Geschirrspüler und die Waschmaschine.
    (5) Am Abend gingen wir ins Kino und sahen einen Dokumentarfilm.
    (6) Wir gingen ins Kino, weil der Film uns empfohlen worden war und wir ihn unbedingt sehen wollten.


    Die koordinierten Teile sind hier jeweils fett hervorgehoben. In Beispiel (1) werden Wortteile koordiniert, in (2) Wörter, in (3) Gliedteile (Attribute), in (4) Satzkonstituenten (Satzglieder), in (5) Sätze und in (6) Nebensätze. Unabhängig vom Skopus der Koordination gilt für alle Beispiele: Die koordinierten Teile sind grammatisch identisch. Koordiniert werden also bspw. nicht ein Gliedteil und ein Satzglied oder ein Hauptsatz und ein Nebensatz, sondern die Koordination findet immer auf der gleichen grammatischen Ebene statt. Als grundlegende Eigenschaften der Koordination beschreibt Peter Eisenberg in seiner Grammatik deshalb die Identität der koordinierten Teile.

    Gegen dieses Grundprinzip verstößt das Beispiel aus ZEIT-Online nun genau in der Form, wie Sie es bereits analysiert haben: Koordiniert werden hier ein finiter so genannter 'uneingeleiteter Nebensatz' oder auch 'abhängiger Hauptsatz' und eine Infinitivkonstruktion. Damit sind die koordinierten Teile nicht grammatisch identisch. Die Identität kann in folgender Weise hergestellt werden:

    Beispiel

    (7) Der Familie sei auch gesagt worden, sie solle sich nicht an die Medien wenden, sondern sie solle darauf vertrauen, dass die Sache geregelt werde.
    (8) Der Familie sei auch geraten worden, sich nicht an die Medien zu wenden, sondern darauf zu vertrauen, dass die Sache geregelt werde.


    Für die beiden Varianten - koordinierte abhängige Hauptsätze vs. koordinierte Infinitivkonstruktionen - wurden nicht zufällig unterschiedliche Verben gewählt. Das Verb sagen erlaubt nicht die Realisierung der Ergänzung in Form einer Infinitivkonstruktion.
    Folglich ist der Satz in der in der ZEIT-online vorliegenden Form nicht korrekt.
     

  3. #3
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    Standard

    Vielen Dank für die Erläuterungen. Ich habe jetzt eine weitere Frage: Warum lässt das Verb "sagen" keine Ergänzung mit einer Infinitivkonstruktion zu?
    Geändert von Michelvilvoorde (19.09.2014 um 15:56 Uhr)

  4. #4
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    Vielen Dank für die Erläuterungen. Ich habe jetzt noch eine Frage: Warum lässt das Verb "sagen" keine Ergänzung in der Formeiner Infinitivkonstruktion zu?

  5. #5

    Standard

    Das ist leider schwer zu beantworten. Es ist prinzipiell so, dass nicht alle Verben alle formalen Realisierungsmöglichkeiten von Ergänzungen ermöglichen. Eine gute Quelle für Informationen zu einzelnen Verben bietet das "Elektronische Valenzwörterbuch" des Instituts für deutsche Sprache (E-VALBU). Dort werden "Belegungsregeln" für einzelne Verben angegeben. Zu 'sagen' in der Bedeutungsvariante 'etwas sprachlich zum Ausdruck bringen' werden also formale Realisierungsmöglichkeiten der Ergänzung angegeben:

    - Nominalgruppe im Akkusativ oder Pronomen

    Beispiel

    (1) Ich sage dir die Wahrheit/etwas/das.

    - dass-Satz:

    Beispiel

    (2) Er sagte mir, dass alle Bilder echt seien.

    - Hauptsatz:

    Beispiel

    (3) Er sagte mir, alle Bilder seien echt.

    - ob-Satz:

    Beispiel

    (4) Er konnte mir nicht sagen, ob die Bilder echt sind.

    - w-Satz:

    Beispiel

    (5) Er wollte mir nicht sagen, welche Bilder echt sind.


    Wir vermuten, dass handlungssteuernde Verben eher einen Infinitivsatz zulassen als reine Mitteilungsverben, vgl. bspw.:

    Beispiel

    (6) Er bat den Experten,eine Expertise über die Echtheit der Bilder auszustellen.
    (7) Er forderte ihn auf, die Herkunft der Bilder zu erläutern.
    (8) Er befahl ihm, alle Spuren zu beseitigen.


    Wird sagen in handlungssteuernder Funktion gebraucht, kann es - so die Autoren der Grammatik des Instituts für deutsche Sprache - eventuell auch mit Infinitivsatz vorkommen:

    Beispiel


    (9) Ich sagte ih, das doch möglich bald zu tun.


    Die Konstruktion wird dort aber als "stilistisch fragwürdig" bezeichnet (S. 1410).

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