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Thema: Hauptsatz passiv / Nebensatz aktiv – ist das erlaubt?

  1. #1
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    Standard Hauptsatz passiv / Nebensatz aktiv – ist das erlaubt?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Im Internet und im TV

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Diverse (mehrere vergebliche Google-Suchen)

    Ich höre im TV und lese im Internet regelmäßig Satzkonstruktionen, die für mich falsch klingen, weil sie passiv beginnen und aktiv enden oder umgekehrt. Beispiele:

    "Die Fenster werden isoliert, um Heizkosten zu sparen."

    "Die Welt ist zu vielfältig, um sie nur von einer Seite zu betrachten."

    Ich habe hier das Gefühl, daß nach dem Komma etwas nicht stimmt. Da scheint mir plötzlich eine Person im Mittelpunkt zu stehen, die schon am Anfang hätte erwähnt werden müssen. "Jemand" spart Heizkosten, also müßte es doch heißen:

    "Jemand isoliert seine Fenster, um Heizkosten zu sparen." oder, wenn es passiv sein soll:

    "Die Fenster werden isoliert, um…" – Und ab hier wüßte ich nicht mehr weiter. Ich würde auf das "Um zu" verzichten und stattdessen sagen:

    "Die Fenster werden isoliert, DAMIT Heizkosten gespart werden."

    Schön finde ich das nicht, aber es stört mich weniger als der Satz ganz oben.

    Geht das einigen von Ihnen auch so? Treiben zahllose Journalisten Schindluder mit der Grammatik oder habe ich da einen Knick in meiner Wahrnehmung? Vielen Dank schon einmal und Grüße!

  2. #2

    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Ihre Frage ist berechtigt. Das Problem liegt darin, dass in Sätzen wie Ihrem Beispiel

    Beispiel

    (1) Die Fenster werden isoliert, um Heizkosten zu sparen.


    zwei Möglichkeiten der Vermeidung des logischen Subjekts kombiniert werden, sodass die Frage berechtigt ist, wo hier sozusagen der Handelnde bleibt. Um das Problem zu erklären, müssen wir zunächst die Grundstruktur der zugrundeliegenden Aussagen mit Handelnden erklären:

    Beispiel

    (2) Ein Bauarbeiter isoliert die Fenster.
    (3) Der Mieter spart Heizkosten.


    In (2) und (3) ist das Prädikat ein Handlungsprädikat (isolieren und sparen), d.h., es drückt eine Handlung aus im Sinne von "x tut etwas". Zu einer Handlung gehört auch ein Handelnder, man bezeichnet ihn in der Grammatik als 'Agens'. In (2) und (3) wird das Agens genannt (Bauarbeiter, Mieter), in (1) hingegen nicht.
    Passivstrukturen kommen in aller Regel ohne die Nennung eines Agens aus wie in (1). Sie haben dann zwar ein Subjekt (hier: Die Fenster), dieses Subjekt ist aber sozusagen "nur" das grammatische Subjekt und nicht das logische Subjekt, d.h., es bezeichnet nicht den Handelnden. Theoretisch kann das Agens aber auch in Passivsätzen genannt werden:

    Beispiel

    (4) Die Fenster werden von Bauarbeitern isoliert.


    In (1) ist es aber offenbar nicht wichtig, wer die Akteure sind - dies ist häufig der Anlass dafür, ein Passsiv zu verwenden. Es ist sozusagen die grammatikalisierte Struktur für Handlungen ohne Handelnde.
    Infinitivkonstruktionen haben per definitionem kein Subjekt, folglich sind auch sie als Strukturformate für den Verzicht auf die Nennung eines Agens geeignet.
    Für Infintivkonstruktionen gilt deshalb in vielen Fällen, dass für sie das Subjekt des übergeordneten Satzes mit gilt. In der Dudengrammatik heißt es, dass man sich das Subjekt "semantisch dazu denkt" (§ 1323). So funktioniert einer der von Ihnen genannten Alternativvorschläge:

    Beispiel


    (5) Jemand isoliert seine Fenster, um Heizkosten zu sparen.


    Hier gilt: Derjenige, der die Fenster isoliert, ist auch derjenige, der die Heizkosten spart.
    Das muss ja aber allerdings auf (1) nicht unbedingt zutreffen, d.h., es ist nicht zwingend, dass logisches Subjekt des Passivsatzes und logisches Subjekt des Infinitivsatzes in (1) identisch sind, wie die "Auflösung" in (2) und (3) gezeigt hat.

    In der Dudengrammatik wird darauf hingewiesen, dass Sätze wie (1) "nicht selten" anzutreffen sind (§ 1323). Auch hier wird wieder erwähnt, dass man sich das Subjekt "hinzudenkt". Dabei heißt es, dass diese Konstruktion "allerdings von manchen Deutschsprachigen abgelehnt" werde.

    Offenbar gehören Sie zu denjenigen, die diese Konstruktion ablehnen. Wie Sie unseren Erläuterungen sowie der Einschätzung der Dudengrammatik entnehmen können, kann man aber Ihr Unmutsgefühl nicht sprachsystematisch begründen. Es gibt keine Regel, die besagt, dass sich Infinitivkonstruktionen immer auf das Subjekt des übergeordneten Satzes beziehen müssen, weil sie selbst kein Subjekt haben. So kann sich eine Infinitivkonstruktion bspw. ja auch auf ein Objekt des übergeordneten Satzes beziehen:

    Beispiel


    (6) Der Mieter bat den Handwerker, die Fenster zu isolieren.


    In Ihrem Beispiel

    Beispiel

    (7) Die Welt ist zu vielfältig, um sie nur von einer Seite zu betrachten.


    ist das Subjekt des übergeordneten Satzes kein Agens und kommt deshalb nicht als logisches Subjekt der Infinitivkonstruktion in Frage. In der Dudengrammatik heißt es, man müsse sich in solchen Fällen als Subjekt das Indefinitpronomen man dazu denken.

    Es ist u.E. kein Zufall und durchaus legitim, dass in der Dudengrammatik immer wieder darauf verwiesen wird, dass man sich in subjektlosen Strukturen ein Subjekt dazu denken muss. Und das ist eine Aufgabe, die wir als Rezipienten von Sätzen auch beherrschen. Das kann man sowohl negativ bewerten im Sinne von "Vom Leser wird verlangt", aber auch positiv im Sinne von "Der Leser wird als dazu in der Lage angesehen, die Bezüge selbst herzustellen". Wir nehmen an, dass Sätze wie (1) vor allem deshalb häufig anzutreffen sind, weil es in der Fach- und Wissenschaftssprache sehr verbreitet ist, auf die Nennung eines Agens zu verzichten, damit der Eindruck einer intersubjektiven Gültigkeit erreicht werden kann.
    Natürlich haben Sie als Schreiber von Texten immer die Möglichkeit, die Bezüge transparenter zu gestalten. Es gibt aber keine "Sprachpolizei", die Sätze wie (1) verbietet.
     

  3. #3
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    Standard

    Vielen Dank für Ihre Antwort, Frau Henning. Meine 5 Sterne-Wertung wurde beim ersten Versuch nicht angenommen. Ich hoffe, es klappt, wenn ich diese Zeilen abschicke.

    Das "Dazudenken" des Handelnden ist für mich das kleinere Problem. So hätte ich keine Schwierigkeiten mit einem Satz wie:

    "Zur Senkung der Heizkosten wurden die Fenster isoliert."

    Und auch die folgende Konstruktion erscheint mir grammatikalisch stimmig, wenn auch stilitstisch sehr unschön:

    "Die Fenster wurden isoliert, damit Heizkosten gespart werden können."

    Es ist nur dieses verteufelte "Um zu", das mir bei (1) und (7) aufstößt. Aber jetzt weiß ich wenigstens, daß ich, laut Duden, damit nicht allein stehe.

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