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Thema: Wenn ich will, werdet ihr morgen in der Zeitung lesen, dass 90% der Bevölkerung mit meiner Politik zufrieden ist.

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Wenn ich will, werdet ihr morgen in der Zeitung lesen, dass 90% der Bevölkerung mit meiner Politik zufrieden ist.

    ....zufrieden ist oder sind?

  2. #2
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    Gießen
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    Standard Numerus bei Maß- und Mengenbezeichnungen

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

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    Ihre Frage fällt in den Bereich der Kollektiva (= Sammelbezeichnungen). Genauer bezieht sich Ihre Frage auf den Numerus bei Mengenangaben. Im nachstehenden Beispiel (1 und 2) besteht Unklarheit darüber, ob das Subjekt 90 Prozent der Bevölkerung im untergeordneten Satz im Singular oder im Plural steht:

    Beispiel


    (1) Wenn ich will, werdet ihr morgen in der Zeitung lesen, dass 90 Prozent der Bevölkerung mit meiner Politik zufrieden ist.
    (2) Wenn ich will, werdet ihr morgen in der Zeitung lesen, dass 90 Prozent der Bevölkerung mit meiner Politik zufrieden sind.


    Da eine ähnliche, bereits beantwortete Frage existiert, wird zunächst auf den nachstehenden Link verwiesen. Es ist empfehlenswert, die bereits vorhandene Antwort ebenfalls zu lesen, da jene zum Verständnis beitragen kann.

    http://www.grammatikfragen.de/showth...s+mengenangabe

    Wie in dem Fall, auf den der Link verweist, muss bestimmt werden, ob das Subjekt im Singular oder Plural steht, um das Prädikat kongruent (= im Numerus übereinstimmend) flektieren zu können. Gewöhnlich bereitet die kongruente Flexion von Subjekt und Prädikat keine Schwierigkeiten, wenn der Numerus eindeutig markiert ist (3 und 4).

    Beispiel


    (3) Prozente werden automatisch gerundet. (Internetbeleg)
    (4) Ein Prozent ist nichts anderes als ein Hundertstel. (Internetbeleg)


    In Beispiel (3) ist der Plural von Prozent klar durch die Endung -e markiert, sodass das Verb werden kongruent ebenfalls im Plural stehen muss. Bei Ihrem Beispiel ist dies komplizierter, weil 90 zwar impliziert, dass es sich um den Plural handeln muss, aber die Mengenangabe Prozent im Singular steht. Bei solchen Fällen spricht die Dudengrammatik von „Unterlassung der Pluralflexion“ (Duden 4: 175, Randnummer 270). Das bedeutet, dass die Maßangabe im Singular angegeben wird, obwohl sie pluralisch zu verstehen ist. Entsprechend der Bedeutung und entgegen der Form wird das Verb ebenfalls pluralisch flektiert.

    Auch bei anderen Maß- und Mengenbezeichnungen wird der Plural nicht am Substantiv markiert und ist dennoch pluralisch zu verstehen, was zur Folge hat, dass das finite Verb ebenfalls im Plural steht (5 und 6).

    Beispiel


    (5) Mehr als 50 Kilogramm Kokain sind aus einem besonders gesicherten Raum des Rauschgiftdezernats verschwunden […]. (Internetbeleg)
    (6) Vier Stunden waren nicht sehr viel Zeit, boten aber genug Platz für Überlegung und Sorgfalt. (Internetbeleg)


    Allerdings könnte bei Ihrem Beispiel das Genitivattribut der Bevölkerung, das 90 Prozent näher identifiziert, zusätzlich zum Zweifel beitragen. Hierzu findet sich ein Eintrag im Dudenband Richtiges und gutes Deutsch, aus dem hervorgeht, dass sich in einem Satz mit einem Subjekt aus Prozentangabe und Genitivattribut das Verb im Numerus gewöhnlich nach der Prozentangabe richtet (Duden 9: 761, „Prozent“). Wieder ist also entscheidend, ob das Subjekt entweder singularisch oder pluralisch gedacht wird. Der Numerus des Genitivattributs hingegen hat keinen Einfluss auf den Numerus des Verbs (7 und 8).

    Beispiel


    (7) Ein Prozent der Mitglieder stimmte ab. (Duden 9: 761)
    (8) Neunzig Prozent der Bevölkerung leben in Armut. (ebd.)


    Dass es sich bei dieser postulierten Vorschrift um keine Grundregel handeln kann, geht noch aus dem gleichen Lemma hervor, da Ausnahmen eingeräumt werden, von denen eine sogar auf unser Ausgangsbeispiel angewandt werden kann. Bei Sätzen mit Kopulaverben, also sein, werden und bleiben, sind der Gebrauch des Singulars oder des Plurals möglich, wenn die Prozentangabe ein Prozent übersteigt (vgl. Duden 9: 761, „Prozent“).

    Beispiel


    (9) 63 Prozent sind eine solide Mehrheit. (Duden 9: 761)
    (10) 54 Prozent ist ein überraschendes Ergebnis. (Duden 9: 761)


    Bei dieser Ausnahmereglung muss aber noch angemerkt werden, dass sie Ihrem Beispiel nicht ganz entspricht, da darin sowohl das Kopulaverb ist als auch das Genitivattribut der Bevölkerung auftritt. Der Fall ist demnach weniger klar, als der Eintrag des Grammatikduden vermuten lässt. Aus sprachsystematischer Sicht kann also nur festgehalten werden, dass es eine Tendenz gibt, bei Maß- und Mengenangaben die pluralisch zu verstehen sind, das finite Verb ebenfalls in den Plural zu setzen. Regelhafte Ausnahmen deuten aber darauf hin, dass dies nicht zwingend erforderlich ist.
     


    Sprachgebrauch


    Da sich von sprachsystematischer Seite gezeigt hat, dass verschiedene Varianten durchaus möglich sind, kann ein Blick auf den Sprachgebrauch einen besseren Eindruck zur tatsächlichen Verwendung vermitteln. Mithilfe des digitalen Korpus COSMAS II, der Belegsammlung des Instituts für Deutsche Sprache, wird die Häufigkeit der Treffer der Suchanfragen Prozent der Bevölkerung sind als Pluralvariante und Prozent der Bevölkerung ist als Singularvariante miteinander verglichen. Die ermittelten Resultate beziehen sich auf Belege aus dem Archiv der gesprochenen Sprache W:


    COSMAS II
    Prozent der Bevölkerung ist164 Treffer (ca. 10 %)
    Prozent der Bevölkerung sind1 506 Treffer (ca. 90%)

    Da lediglich 10 Prozent der Treffer beider Anfragen auf die Variante im Singular entfallen, bestätigt sich die Tendenz, dass der Plural aufgrund der pluralischen Bedeutung der Prozentangabe bevorzugt wird. Gleichzeitig sind 10 Prozent aber auch ein Anteil, der zeigt, dass es hinsichtlich dieses Zweifelsfalls durchaus Varianz gibt.
     

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