Ergebnis 1 bis 2 von 2

Thema: Heißt es gewohnt oder gewöhnt?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Heißt es gewohnt oder gewöhnt?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Manchmal klingt gewohnt "besser" (bsp.: ich bin das so gewohnt), manchmal gewöhnt. Was ist richtig?

  2. #2
    Registriert seit
    03.07.2014
    Ort
    Gießen
    Beiträge
    271

    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Sie fragen, ob es sowohl die Form gewohnt als auch die Form gewöhnt gibt und wann welche verwendet wird.

    Bei gewohnt handelt es sich laut Duden Universalwörterbuch im Gegenwartsdeutschen um ein Adjektiv. Dieses ist entstanden aus dem Partizip II des mittelhochdeutschen Verbs gewonen. Das Adjektiv bedeutet „durch Gewohnheit üblich geworden; vertraut; bekannt“. Es tritt häufig in der Wendung „etwas gewohnt sein“ auf und bedeutet dann „etw. als Selbstverständlichkeit empfinden“, „an etw. gewöhnt sein“. Im Wahrig heißt es, dass gewohnt immer dann zu wählen ist, wenn man sagen möchte, dass jemand an etwas gewohnt ist bzw. es sich um eine adjektivische Verwendungsweise handelt.

    Bei gewöhnt hingegen ist auch im Gegenwartsdeutschen noch eine Herleitung von einem Verb möglich, es kann also als Partizip von gewöhnen betrachtet werden. Dieses bedeutet „durch Einübung, eingehende Beschäftigung, häufigen Umgang o. Ä. mit jmdm., etw. vertraut machen“. Im Wahrig heißt es, dass gewöhnt dann zu wählen ist, wenn man ausdrücken will, dass sich jemand an etwas gewöhnt hat.

    Betrachtet man diese zwei Varianten, dann lassen sich laut Duden 9 minimale Bedeutungsnuancen erkennen. Während gewohnt so viel bedeutet wie, dass etwas alltäglich ist und es auf einen gewissen Grad an Normalität verweist, macht gewöhnt deutlich, dass hier ein Prozess stattgefunden hat, der dazu beitrug, dass man sich mit etwas arrangiert hat.

    Im Duden 9 wird die Unterscheidung exemplarisch an dem folgenden Beispiel gezeigt:

    Beispiel

    (1) Sie ist an schwere Arbeit gewöhnt (worden).
    (2) Sie ist schwere Arbeit gewohnt.


    Während bei 1 explizit gemacht wird, dass sich mit der schweren Arbeit vertraut gemacht worden ist und man sich mit dieser arrangiert hat, wird in 2 deutlich, dass jemand Erfahrung mit schwerer Arbeit hat. Bei 1 wird außerdem deutlich, dass gewöhnt noch stärker verbale Eigenschaften trägt und so Teil eines verbalen Paradigmas ist. Das lässt sich daran erkennen, dass bei der Ergänzung mit worden gewöhnt ein Teil der Passivkonstruktion ist.

    Diese Bedeutungsunterscheidung kann jedoch nur minimal sein, da im Duden Universalwörterbuch angegeben wird, dass an etwas gewohnt sein synonym ist mit sich an etwas gewöhnt haben.

    Neben einem minimalen Bedeutungsunterschied gibt es jedoch Unterschiede in der Verwendungsweise. Gewöhnt wird i.d.R. mit der Präposition an verwendet:

    Beispiel

    Ich habe mich an das schlechte Wetter gewöhnt.


    Auch dies zeigt, dass gewöhnt tendenziell eher verbale Eigenschaften trägt, denn die Rektion von Präpositionen ist eine typische Eigenschaft von Verben. Die Kombination von gewohnt und der Präposition an funktioniert hingegen nicht. (Vgl. Duden 9, S. 412)

    Dafür wird gewohnt häufig mit zu-Infinitiv verwendet:

    Beispiel

    Ich war gewohnt, zu warten.


     


    Sprachgebrauch


    Für eine Untersuchung des Sprachgebrauchs wurde im Korpusrecherchesystem Cosmas II nach gewohnt und gewöhnt gesucht. Dazu wurden für gewohnt 132.288 Treffer und für gewöhnt 56.991 Treffer gefunden. Beide Varianten sind also hochfrequent, sodass sich daraus allein noch nicht viel zu ihrem Gebrauch ablesen lässt. Bei der weiteren Betrachtung wurden die jeweils ersten 50 Treffer genauer untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Erläuterungen den Sprachgebrauch in einzelnen Aspekten in angemessener Weise widerspiegeln. In den Treffern zeigte sich, dass gewöhnt vor allem in der Kombination mit der Präposition an bzw. dem Pronominaladverb daran verwendet wird. Tatsächlich wird gewöhnt dann verwendet, wenn gesagt wird, dass ein Prozess des Akzeptierens stattgefunden hat, wie das folgende Beispiel exemplarisch zeigt:

    Beispiel

    „Wenn wir heute vom Übergang des Buchs zum elektronischen Buch reden und ihn als Kulturverlust erleben, könnte man dagegenhalten, dass die Menschen dasselbe empfanden, als die Bücher aufkamen. Und dann haben sie sich doch daran gewöhnt.“ (ZWI14/FEB.00030 Zeit Wissen, 18.02.2014, S. 86; DAS ZEIT WISSEN-GESPRÄCH)


    Gewohnt wird hingegen häufig mit einem zu-Infinitiv - wie im folgenden Beispiel - verwendet:

    Beispiel

    „Die meisten sind es gar nicht mehr gewohnt, jemandem zuzuhören, der ohne PowerPoint eine Viertelstunde am Stück redet.“ (ZCA09/DEZ.00030 Zeit Campus, 01.12.2009, S. 60; Die Weihnachtspredigt halten)


    Gewohnt wird dabei in dem Sinne verwendet, dass etwas für eine Person alltäglich ist.

    Wenn gewohnt/gewöhnt in der Kombination mit einer Form von sein auftritt, dann scheint es hingegen keine eindeutigen Regeln zu geben, wann welche Variante zu wählen ist. Dies zeigen die folgenden Beispiele exemplarisch:

    Beispiel

    „Er ist damals 14 und als Sohn des späteren ersten Passauer Stadtrats der Grünen politische Diskussionen gewöhnt.“ (NEU08/JUL.00005 Neuland: Das Wirtschaftsmagazin der Regionen, 01.07.2008, S. 122-128)

    „Man tippt ja heute schon vieles an, vom Smartphone sind die Menschen das längst gewohnt.“ (ZWI14/APR.00024 Zeit Wissen, 15.04.2014, S. 72)


    Es lässt sich also erkennen, dass es für gewohnt/gewöhnt spezifische Gebrauchsbedingungen gibt, nämlich die, dass gewöhnt mit der Präposition an verwendet wird und gewohnt häufig mit dem zu-Infinitiv auftritt. An den letzten Beispielen wird jedoch ein Problem deutlich: Es ist nicht klar, ob gewohnt wirklich eindeutig ein Adjektiv ist und im Gegensatz dazu gewöhnt eindeutig ein Partizip. Die Grenzen zwischen der Verwendung von einem Partizip als Bestandteil eines Verbalkomplexes und einem Adjektiv mit einem Kopulaverb (in diesem Falle sein) sind fließend. Das liegt v.a. daran, dass die Funktion des Verbs seins sich nicht immer eindeutig unterscheiden lässt. Generell kann sein in unterschiedlichen Funktionen auftauchen und auf verschiedene Weise mit einem Partizip II kombiniert werden. Dann dient es entweder als Hilfsverb zur Tempus- bzw. Passivrealisierung oder zur Realisierung des Zustandsreflexivs. Wird sein hier als ein Hilfsverb klassifiziert, dann ist gewohnt/gewöhnt das Partizip II des Verbalkomplexes. Sein kann aber auch als Kopulaverb klassifiziert werden. Wird sein auf diese Weise klassifiziert, dann ist gewohnt/gewöhnt ein Adjektiv.

    Bezieht man diese Beispiele mit ein, dann zeigt sich, dass es keine klare Unterscheidung von gewohnt und gewöhnt gibt, denn die Grenzen zwischen Adjektiv und Partizip II sind in diesem Fall fließend. Man kann also nicht von einer klaren Unterscheidbarkeit sprechen, wie sie von einzelnen Nachschlagewerken suggeriert wird.
     


    Umfrage zum Umgang mit dieser Antwort

    War diese Antwort hilfreich für Sie? Wie gehen Sie damit um?
    Helfen Sie unserem Forschungsteam von der Universität Gießen dabei herauszufinden, wie eine solche Grammatik benutzt wird, welche Erläuterungen interessant sind und wie Sie damit umgehen. Durch die Beantwortung unseres Fragebogens tragen Sie dazu bei, die Qualität unserer Antworten und die Qualität von Grammatiken zu verbessern!

    Umfrage öffnen


  3. 22.10.2018 16:34

    Grund
    In neues Thema kopiert

Lesezeichen

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein