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Thema: Wie lassen sich die verstärkt reflexivisch auftretenden unpersönliche Passivkonstruktionen erklären?Es kann sich beworben werden!

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Wie lassen sich die verstärkt reflexivisch auftretenden unpersönliche Passivkonstruktionen erklären?Es kann sich beworben werden!

     

  2. #2
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    Standard Reflexiv-Passiv

    Sprachsystem


    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Ihre Frage betrifft die Passivfähigkeit so genannter reflexiver Verben im Deutschen. Reflexive Verben bilden im Deutschen eine sehr heterogene Gruppe. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, diese große Gruppe in ihrer vollen Komplexität zu analysieren. Daher soll die erwähnte Vielfalt nur kurz veranschaulicht werden:

    (1) Peter kämmt sich.
    (2) Peter hält sich zurzeit in Gießen auf.
    (3) Peter beeilt sich immer.

    Die Beispiele sollen Ihnen zeigen, dass Verben mit sich ein unterschiedliches Verhalten aufweisen. So ist sich kämmen in Beispiel (1) nur eine reflexive Variante von kämmen (s. Peter kämmt seine Tochter). Bei (2) ließe sich rein formal zwar auch sagen, dass das Beispiel die sich-Variante von aufhalten repräsentiert. Die Bedeutungen sind dabei jedoch weit voneinander entfernt, sodass man hier eher von zwei unterschiedlichen Verben (aufhalten vs. sich aufhalten) sprechen sollte und nicht von zwei Varianten eines Verbs. Schließlich gilt für Beispiel (3), dass es gar kein Verb beeilen gibt, sondern nur sich beeilen.
    Ganz allgemein kann man Reflexivität im Zusammenhang mit (1) erklären: Für kämmen gilt die Formel: X kämmt Y, wobei X (grammatisch: das Subjekt) und Y (grammatisch: das Akkusativobjekt) unterschiedliche Personen bezeichnen (Peter kämmt seine Tochter). Nimmt man nun die sich-Variante, so kann man dort sehen, dass X (Peter) und Y (sich: auch Peter) die gleiche Person bezeichnen. M.a.W.: Die Rolle der handelnden Person (X) und die der betroffenen Person (Y ) fallen zusammen: Peter = sich. Die Beispiele (2) und (3) bzw. die kurzen Kommentare dazu zeigen jedoch, dass diese Beschreibung nicht allgemeingültig ist. Jedenfalls ist dieses hier knapp zusammengefasste Spezifikum dafür „verantwortlich“, dass oft behauptet wurde/wird, Reflexivität und Passiv würden nicht zusammenpassen.
    Früher hieß es (in grammatischen Arbeiten oder im DaF-Bereich) demnach, dass reflexive Verben grundsätzlich kein Passiv bilden. Umfragen, Tests und grammatische Analysen haben inzwischen jedoch gezeigt, dass eine solche pauschale Aussage nicht zu rechtfertigen ist. Denn einerseits beurteilen Sprecher des Deutschen passivische Formen reflexiver Verben unterschiedlich, d.h. es gibt Unterschiede sowohl zwischen einzelnen Sprechern als auch in dem Akzeptanzgrad einzelner Verben. Andererseits kann anhand der uns verfügbaren Ergebnisse zur Akzeptanz passivisch gebrauchter reflexiver Verben und mithilfe grammatischer Analysen argumentiert werden, dass zwar nicht das Passiv generell, aber das so genannte unpersönliche/subjektlose Passiv doch sehr wohl offen ist für reflexive Verben. Das subjektlose Passiv findet man typischerweise in Sätzen wie

    (4) Heute wird nicht gearbeitet.
    (5) In diesem Laden kann samstags bis 22 Uhr eingekauft werden.

    Für solche Sätze gilt, dass sie kein Subjekt enthalten und ihr Verb grundsätzlich intransitiv ist (arbeiten) oder intransitiv gebraucht wird (einkaufen). Der Begriff der Intransitivität wird in der Regel neben den der Transitivität gestellt. Transitiv nennt man Handlungsverben, für die das Schema X tut etwas gilt. Grammatisch heißt dies, dass sie sich mit einem Subjekt (handelnde Person) und einem Akkusativobjekt (der/die/das von der Handlung Betroffene) verbinden:

    (6) Peter schneidet das Fleisch.

    Zu solchen Sätzen bildet man das subjekthaltige Passiv, bei dem das Akkusativobjekt des Aktivsatzes (s. das Fleisch) als Subjekt erscheint:

    (7) Das Fleisch wird (von Peter) geschnitten.

    Intransitiv ist ein Verb oder die Verwendung eines gegebenen Verbs dann, wenn ein Akkusativobjekt in der Verbbedeutung entweder gar nicht vorgesehen ist (arbeiten) oder in einem gegebenen Kontext unwichtig erscheint und nur mitgedacht wird (einkaufen). Zu solchen Sätzen bildet man das oben gezeigte subjektlose Passiv.
    Das A und O der Passivbildung (ob transitiv oder intransitiv) ist semantischer Natur: Ein Passiv lässt sich grundsätzlich dann bilden, wenn das Subjekt des jeweiligen Verbs eine handelnde Person (genannt Agens) ist oder eine solche durch die Verbbedeutung angenommen werden kann. In einem zweiten Schritt ist dann Transitivität/Intransitivität insofern wichtig, als dieser Faktor entscheidet, ob ein subjekthaltiges oder subjektloses Passiv gebildet wird.
    Grammatische Analysen haben gezeigt, dass reflexive Verben bzw. die reflexive Verwendung bestimmter Verben (wenn auch in unterschiedlichem Maße, aber insgesamt doch) eher als intransitiv eingestuft werden kann. Man beachte dazu folgende Probe:

    (8a) Peter beobachtet sich im Spiegel.
    (8b) *Sich wird (von Peter) im Spiegel beobachtet.

    Das Sternchen deutet darauf hin, dass (8b) nicht möglich ist. Auf den ersten Blick sieht dabei sich in (8a) herkömmlichen Akkusativobjekten (s. Fleisch in (6)) ähnlich, es ist bloß kein Substantiv, sondern ein Pronomen, könnte man hinzufügen. Die Probe, also (8b), zeigt jedoch, dass eine zu (7) analoge Passivierung hier nicht möglich ist, denn sonst müsste sich als Subjekt möglich sein. Wäre (8a) genau so transitiv wie (6), so müsste das sich-Passiv oben gehen. Dem ist aber nicht so. Hinzu kommt, dass es zu dem sich keine Nominativform gibt, die aber zur Subjektrolle nötig wäre. Unterm Strich bleibt also für reflexive Verben nur die Möglichkeit zur Bildung eines subjektlosen Passivs, die wiederum von Verb zu Verb und/oder in Abhängigkeit von sonstigen (vor allem pragmatischen) Faktoren unterschiedlich gegeben sein kann (s. bei Sprachgebrauch weiter unten.)
     


    Sprachgebrauch


    In grammatischen Untersuchungen zu sich-Verben kann man oft lesen, dass die Passivierung solcher Verben grundsätzlich stark situationsgebunden ist und bspw. in Aufforderungssätzen möglich ist oder der gesprochenen Umgangsprache zugeordnet werden kann. Um solche Thesen zu überprüfen, braucht es umfangreiche (Kon-)Textanalysen, die hier nicht geleistet werden können. Ein kurzer Blick auf einige Daten zu sich bewerben (Google-Suchanfrage) zeigt jedoch, dass Aufforderung oder gesprochene Umgangssprache als Kriterien nicht ausreichen:

    (1) Wie kann sich beworben werden? (http://www.bundesfreiwilligendienst....willigendienst)

    (2) Auf der Webseite finden Sie detaillierte Informationen zum Wettbewerb. Bis zum 15. März 2015 kann sich beworben werden! (http://www.textil-mode.de/presse/det...der-ideen-2015)

    (3) Vom 19. bis 23. August findet in Wien ein kostenloses Technikcamp für Mädchen statt. Bis Ende Juni kann sich beworben werden. (http://femgeeks.de/aktivismus-online...agen-linkspam/)

    (4) Germanys next Topmodel - Es kann sich beworben werden (http://static.looki.de/forum/diskuss...en_341539.html)

    (5) Ab sofort kann sich beworben werden (http://www.wolfsburger-nachrichten.d...id1508721.html)

    (6) Ist jedenfalls keine gängige Praxis an den regulaeren US-Unis, da wird sich ganz normal beworben (http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Master: Wikipedia, 2011)

    Suchanfragen zu sich kümmern in COSMAS II, der Datenbank des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, zeigen u.a. folgende Belege:

    (7) Um die Gewässer und deren Uferzonen wird sich aber auch gekümmert. (Nordkurier, 28.07.2011)

    (8) Um den Nachwuchs wird sich liebevoll gekümmert, aber auch die erfahrene Reiterschaft fühlt sich wohl beim Zucht-, Reit- und Fahrverein Singhofen. (Rhein-Zeitung, 04.07.2005)

    Aus den Ergebnissen zu sich kümmern geht in der Tat eine Zunahme der Belege in den letzten 15 Jahren hervor (1996-2001: 11 Belege, 2002-2007: 22 Belege, 2003-2008: 19 Belege, 2009-2013: 30 Belege). Angesichts der insgesamt wenigen Belege und der Tatsache, dass nur ein Verb überprüft wurde, kann man jedoch nicht im Allgemeinen behaupten, dass reflexive Verben verstärkt im (subjektlosen) Passiv auftreten.
    Offensichtlich gilt, dass bei reflexiven Verben nur das ohnehin seltener vorkommende subjektlose Passiv möglich ist (s. Sprachsystem weiter oben) und unterschiedliche Verben sich dabei auch unterschiedlich verhalten können.
     

  3. #3
    Unregistriert Gast

    Standard "Man kann sich bewerben."

    "Es kann sich beworben werden." Ist standardsprachlich falsch, weil es grammatisch falsch ist.

    "Man kann sich bewerben."

    Es stiftet nur Verwirrung, alles grammatisch Falsche als "umgangssprachlich" zu bezeichnen (wie es der Duden tut), weil Umgangssprachen nicht standardisiert sind und es dort deshalb kein Richtig oder Falsch geben kann.

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