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Thema: Wie analysiere ich den folgenden Satz hinsichtlich seiner Satzglieder?

  1. #1

    Standard Wie analysiere ich den folgenden Satz hinsichtlich seiner Satzglieder?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Satzgliedanalyse des Märchens mit dem Fokus auf Attribute

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    http://www.linguistik-online.org/13_01/hentschel.html

    Meine Frage bezieht sich auf den folgenden Satz, den ich gerne für didaktische Zwecke zur Satzgliedanalyse (Fokus: Attribute) nutzen würde:

    Es war einmal ein altes Schloß in einem großen dicken Wald, darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein, das war eine Erzzauberin. (Grimms "Jorinde und Joringel)

    Elke Hentschel (vgl. http://www.linguistik-online.org/13_01/hentschel.html) geht davon aus, dass das "Es" im folgenden Beispiel als Prädikativum trotz Subjektposition bewertet wird. Dies würde für die Analyse bedeuten: Es = Prädikativum; ein altes Schloß = Subjekt (inkl. Adj.attribut).
    Wie wäre in diesem Fall mit den nachfolgenden Konstituenten zu verfahren? Handelt es sich bei "in einem großen dicken Wald" um ein Präpositionalattribut (ink. Adj.attribut) auf das ein Attributsatz folgt?

    Der Satz bereitet mir großes Kopfzerbrechen, weswegen hier konstruktives Feedback sehr erwünscht ist und mit großem Dank aufgenommen werden würde!

  2. #2
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    Standard Satzanalyse

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

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    Bei Ihrer Frage geht es um den Satzgliedstatus des es in der Märchenformel es war einmal X und um den der weiteren Konstituenten im gegebenen Satz. Es lohnt sich, die Analyse des es von der der anderen Komponenten des Satzes zu trennen. Dementsprechend gehen wir zunächst auf das es ein, dann auf die anderen Konstituenten.

    Was das es angeht, so würden wir in diesem Fall nicht von einem Prädikativum sprechen. Dabei muss angemerkt werden, dass dieses es in dem von Ihnen erwähnten Aufsatz von Elke Hentschel nicht explizit als Prädikativum bezeichnet wird. In der Tat wird aber eine solche syntaktische Analyse durch die Kontextualisierung und die Argumentation dort nahegelegt. Aus unserer Sicht sind dabei folgende Punkte zu berücksichtigen:

    1. Das es steht zwar in der typischen Subjektposition, nämlich im so genannten Vorfeld, ist aber in der Tat kein Subjekt, vgl. folgende Proben:

    (1) In einem großen dicken Wald war *es einmal ein altes Schloss.
    (2) Es *war einmal zwei alte Schlösser.

    Das Sternchen deutet darauf hin, dass die angeführten Sätze in dieser Form grammatisch nicht akzeptabel sind. Die Tests zeigen, dass es im Gegensatz zu Subjekten bei Umstellung wegfallen muss (s. (1)) und – ebenfalls im Gegensatz zu Subjekten – mit dem finiten Verb nicht kongruiert (s. (2)). Klar ist also, dass in dem von Ihnen angeführten Beispiel, wie Sie selbst schreiben, ein altes Schloß Subjekt ist.

    2. Aus 1 folgt nicht, dass es Prädikativum ist. Es als Prädikativum kommt vor in Sätzen wie:

    (3) Bist du es? (Beispiel von Elke Hentschel)
    (4) Peter ist nett, Paul ist es nicht.

    Für Prädikative gilt im Allgemeinen, dass sie Eigenschaften zum Ausdruck bringen, die dem jeweiligen Subjekt zugeschrieben werden (s. nett in Peter ist nett). Dies gilt für das es im Märchenbeispiel nicht. Außerdem sind prädikativische es-Formen wie die oben angeführten so genannte phorische Satzteile. Das bedeutet, dass sie eine wichtige textgrammatische Funktion erfüllen, indem sie auf vorangehende Elemente verweisen. So nimmt bspw. es in (4) auf nett Bezug. Auch dieses Merkmal liegt beim Märchen-es nicht vor. Schließlich lässt sich sagen, dass prädikativisches es nicht vorfeldfähig ist, vgl.:

    (5) *Es bist du?
    (6) Peter ist nett, *es ist Paul nicht.

    Daraus folgt u.E., dass es in Ihrem Beispiel kein Prädikativum sein kann.

    3. Das Märchen-es erinnert stark an Beispiele folgenden Typs (s. Kapitel 6 in dem Aufsatz von Elke Hentschel):

    (7) Es kamen gestern zwei alte Frauen zu uns.
    (8) Es waren gestern zwei alte Frauen bei uns.

    Dieses es wird in der Forschungsliteratur (u.a.) als Vorfeld- oder expletives es bezeichnet. Wir halten auch satzeinleitendes es für einen guten Terminus. Die Funktion dieses es besteht darin, das Subjekt des jeweiligen Satzes zu rhematisieren. Das bedeutet, dass das Subjekt als die neue, wichtige Information (als Rhema) erscheinen kann. In Ihrem Satz ist diese Information eben ein altes Schloß bzw. seine Existenz.
    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das es in Ihrem Beispiel keinen Satzgliedstatus hat (und so auch kein Prädikativum ist), sprich aus dem Rahmen der traditionellen Satzgliedanalyse fällt. Trotzdem ist es syntaktisch (Vorfeld-Position) und textgrammatisch (Rhematisierung, Textsorte) sehr wohl analysierbar. Das es in Ihrem Märchenbeispiel ist also ein satzeinleitendes es, das stark an die Textsorte Märchen gebunden und in diesem Sinne auch formelhaft ist.

    Die zweite Komponente Ihrer Fragestelltung betrifft den syntaktischen Status von in einem großen dicken Wald im Zusammenhang mit dem darauf folgenden Satz. Die Analyse als Präpositionalattribut halten wir für möglich. Wie Attribute bezieht sich in einem großen dicken Wald auf Schloß und erweitert es. Möglich ist aber auch eine Analyse, die hier von einem Lokaladverbial ausgeht, denn Attribute müssen in der Regel bei ihrem Bezugsnomen bleiben, wenn sie im Satz umgestellt werden. Sie können also nur zusammen mit dem ihnen übergeordneten Bezugsglied bspw. an den Satzanfang bewegt werden. Im vorliegenden Fall ist jedoch folgende Version möglich:

    (9) In einem großen dicken Wald war einmal ein altes Schloß.

    Dieser Test spricht für die Analyse von in einem großen dicken Wald als Lokaladverbial.
    Was den auf in einem großen dicken Wald folgenden (und auch den letzten) Teil angeht, so ist zu berücksichtigen, dass darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein und das war eine Erzzauberin keine Attributsätze sind, weil sie keine Nebensätze darstellen. Nebensätze sind unter syntaktischem Aspekt nicht-selbstständige Sätze, die man in der Regel daran erkennt, dass ihr finites Verb am Endes des Satzes steht. Die Einheiten darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein und das war eine Erzzauberin sind jedoch syntaktisch selbstständig, ihr finites Verb steht jeweils an zweiter Stelle (nach darinnen bzw. das). Attributsätze (konkret: Relativsätze) wären sie in folgender Form:

    (10) Es war einmal ein altes Schloß in einem großen dicken Wald, in dem eine alte Frau, die eine Erzzauberin war, ganz allein wohnte.

    In (10) sind zwei Relativsätze fett gesetzt: in dem eine alte Frau [...] ganz allein wohnte und darin eingebettet die eine Erzzauberin war. Wie aus (10) ersichtlich, erscheinen in entsprechenden Attributsätzen Relativpronomina (dem in der Präpositionalgruppe in dem bzw. die), die die Letztstellung des Finitums (war und wohnte) fordern. Die Ähnlichkeit zwischen den (syntaktisch selbstständigen) Sätzen in Ihrem Beispiel (darinnen wohnte… bzw. das war…) und den fett gesetzten Attributsätzen in (10) ist textgrammatischer Natur: Sowohl darinnen und das als auch dem (in in dem) und die weisen einen phorischen Charakter auf (s. oben bei es), indem sie vorangehende Einheiten (Schloß und Frau) wiederaufnehmen.
     

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    Geändert von Dániel Czicza (13.04.2015 um 20:41 Uhr)

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