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Thema: Es sind 30 Grad. / Es ist 30 Grad.

  1. #1
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    Standard Es sind 30 Grad. / Es ist 30 Grad.

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Meine Freundin lernt Deutsch und braucht Unterstützung

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden

    Manche sagen: "Es sind 30 Grad." und manche sagen "Es ist 30 Grad." Ich denke Hochdeutsch wäre "Es sind 30 Grad" und in manchen Regionen sagt man "Es ist 30 Grad". Im Duden steht als Beispielsatz "Es waren 30 Grad". Das sollte meine Vermutung bestätigen oder?

  2. #2
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    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    In Ihrer Frage geht es darum, in welchem Numerus das finite Verb sein stehen muss. Dabei gilt allgemein die Regel, dass ein finites Verb hinsichtlich des Numerus mit dem Subjekt übereinstimmen muss. Das bedeutet, dass bei einem Subjekt im Plural auch das finite Verb im Plural stehen muss. Steht hingegen das Subjekt im Singular, dann muss auch das finite Verb im Singular stehen. Das bedeutet für ihre Frage, dass geklärt werden muss, was das Subjekt in ihrem Satz und in welchem Numerus es steht.

    Dabei weist der Satz die typische Struktur von Kopulasätzen auf. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie u.a. mit dem Verb sein gebildet werden, welches in der Regel mit einer Nominalgruppe auftritt, die in Kasus und Numerus mit einem anderen Satzglied übereinstimmt und mit der Eigenschaften einem Gegenstand oder einer Person zugeschrieben werden. Typische Beispiele für diese Art von Sätzen sind:

    Beispiel

    1) Er ist ein intelligenter Junge.
    2) Sie sind intelligente Jungen.


    Beide Sätze weisen die Struktur auf, dass sie mit dem Subjekt beginnen (er/sie), dann eine flektierte Form des Verbs sein folgt und schließlich eine Nominalgruppe im Nominativ anknüpft. Dabei ist das jeweilige Subjekt kongruent hinsichtlich Kasus und Numerus mit der Nominalgruppe im Nominativ, mit der dem Subjekt Eigenschaften zugeschrieben werden:

    Beispiel

    1) Er (= Nominativ Singular Maskulinum) ist ein intelligenter Junge (= Nominativ Singular Maskulinum).
    2) Sie (= Nominativ Plural Maskulinum) sind intelligente Jungen (= Nominativ Plural Maskulinum).


    Das finite Verb ist in beiden Beispielen hinsichtlich des Numerus kongruent mit dem Subjekt:

    Beispiel

    1) Er (= Singular) ist (= Singular) ein intelligenter Junge.
    2) Sie (= Plural) sind (= Plural) intelligente Jungen.


    Analysiert man nun Ihren Beispiel Satz als Kopulasatz entstehen mehrere Schwierigkeiten:
    Ihr Satz funktioniert nicht ganz analog zu den vorherigen Beispielen. Ein Problem besteht darin, dass solche Kopulasätze Gleichsetzungssätze sind. Bei diesen stehen entweder beide Wortgruppen im Singular oder im Plural. In der Regel werden keine Dinge gleichgesetzt, die einen unterschiedlichen Numerus aufweisen. Eine Ausnahme dafür wäre jedoch das Beispiel:

    Beispiel

    Besonders Rechtschreibfehler (=Plural) waren ihm immer ein Gräuel (=Singular). (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 1632)


    Ihr Beispiel stellt genauso eine Ausnahme dar, denn auch bei Ihnen unterscheiden sich die Nominalgruppen im Numerus. Während es Singular ist, ist 30 Grad tendenziell eher im Plural (zur Numerus-Problematik bei 30 Grad folgt im kommenden Abschnitt eine Erläuterung).

    Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass an der Position im Satz, an der das Subjekt besonders häufig steht, das Wort es steht. Es verweist hier, anders als bei einem prototypischen es, auf nichts in der Welt, sodass man auch von einem unpersönlichen es spricht. Nun entsteht daraus die Schwierigkeit, dass es hier zwar an der Position im Satz steht, an der in der Regel das Subjekt steht, es aber inhaltlich nur bedingt das Subjekt sein kann, denn es referiert auf nichts in der Welt und so kann es auch keine Eigenschaften sinnvoll zugeschrieben bekommen. Es ist also nicht klar, ob es wirklich das Subjekt ist oder ob dies nicht vielmehr auf 30 Grad zutrifft. Daraus ergeben sich dann unterschiedliche Konsequenzen:

    Wenn es das Subjekt ist, dann müsste das finite Verb im Singular stehen, da es Singular ist. Dann würde es lauten:

    Beispiel

    Es ist 30 Grad.


    Ist hingegen 30 Grad das Subjekt, wird der Fall etwas schwieriger. Während das Wort Grad seiner Form nach nämlich auf den Singular hindeutet, deutet die Zahl 30 an, dass es sich hierbei um eine Mehrzahl handelt. In der Dudengrammatik heißt es hierzu, dass die Pluralflexion häufig bei Maß- und Mengenbezeichnungen unterlassen wird. (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 270) Das bedeutet, dass ein Wort zwar formal im Singular steht, eigentlich aber ein Plural gemeint ist. Deswegegen wird dafür plädiert, das Verb in den Plural zu setzen, wie die folgende Regel des Duden 9 zeigt: „Bei einer pluralischen Gradangabe muss auch das Verb im Plural stehen.“ (Vgl. Duden 9, S. 424) Demnach würde ihr Beispiel dann lauten:

    Beispiel

    Es sind 30 Grad.


    Es ist demnach nicht klar, mit welchem der beiden Nominative das Verb kongruent sein muss, da unklar ist, wer hier das Subjekt ist und in welchem Numerus dieses steht.

     



    Sprachgebrauch


    Um zu überprüfen, wie der Sprachbenutzer mit dieser Problematik umgeht, wurde bei Cosmas II, der digitalen Belegsammlung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), nach den folgenden zwei Kombinationen gesucht:

    1) Es + sind + Kardinalzahl + Grad
    2) Es + ist + Kardinalzahl + Grad


    Die Ergebnisse zeigt dabei die folgende Tabelle:


    Treffer in Cosmas II
    Es + sind + Kardinalzahl + Grad 14 Treffer
    Es + ist + Kardinalzahl + Grad 15 Treffer


    Die Ergebnistabelle zeigt ein zunächst relativ ausgeglichenes Verhältnis beider Varianten. Betrachtet man die Treffer jedoch genauer, dann ist auffällig, dass die Treffer für Variante zwei anders funktionieren. Dabei ist auffällig, dass der Singular nämlich nur dann gewählt wird, wenn hinter dem Wort Grad das Wort warm/kalt folgt. Dies zeigt exemplarisch der folgende Treffer:

    Beispiel

    Wir haben November, es ist 20 Grad warm und im Radio säuselt "Here Comes The Sun", die fast 40 Jahre alte Sonnenbeschwörung der Liverpooler Pop-Legenden. (M06/NOV.89066 Mannheimer Morgen, 18.11.2006; Vier Herbstzeitlosen)


    Die Wahl des Singulars lässt sich in diesem Fall dadurch erklären, dass sich hier die Wortgruppe warm/kalt nicht im Numerus von es unterscheidet und die Kardinalzahl + Grad lediglich ein Attribut darstellt. Dadurch unterscheiden sich diese Beispiele von Ihrem Beispiel. Betrachtet man nur die Treffer, die analog zu ihrem Beispiel funktionieren, wird stets der Plural gewählt.

    Da die Treffer bei Cosmas II jedoch relativ gering sind, empfiehlt sich eine Überprüfung des Sprachgebrauchs bei Google. Bei dieser Suche ergibt sich eine ähnliche Verteilung wie bei Cosmas II:


    Treffer bei Google
    Es sind 30 Grad. ca. 3.530 Treffer
    Es ist 30 Grad. ca. 3.790 Treffer


    Hier gibt es eine kleine Tendenz hin zur Wahl des Singulars. Betrachtet man die Treffer allerdings näher, ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei Cosmas II. Auch hier wird der Singular vor allem dann gewählt, wenn auf Grad ein Adjektiv wie warm oder kalt folgt.

    Hinweis zu Googledaten: Die Sprachgebrauchsdaten werden mit dem wissenschaftlich fundierten Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache Mannheim COSMAS II erhoben und durch Googlebefunde ergänzt. Die ergänzende Googlesuche ist notwendig, da in der Textsammlung des IdS (DeReKo = Deutsches Referenzkorpus), obwohl diese inzwischen 24 Milliarden Wortformen umfasst, die gefragten Varianten häufig nur relativ selten vorkommen. Bei Google finden sich häufig deutlich mehr Treffer, die Zahlen sind aber aus den folgenden beiden Gründen mit Vorsicht zu genießen:

    1. Google unterscheidet nicht zwischen "echten" Sprachgebrauchstreffern und metasprachlichen Diskussionen. Die Frage zu downgeloadet/gedownloadet in unserem Forum bspw. ist auch ein Treffer bei Google. Insgesamt betrachtet machen die metasprachlichen Diskussionen aber in aller Regel den deutlich geringeren Anteil an den Gesamttreffern aus.

    2. Google bemüht sich um personalisierte und schnelle Suchergebnisse, die Treffergenauigkeit steht hier also nicht im Vordergrund. Dennoch - und deshalb wird hier trotz der genannten Einschränkungen auf Google zurückgegriffen - lassen sich doch Eindrücke über allgemeine Gebrauchstendenzen gewinnen.

     

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  3. #3

    Standard Es ist 30 Grad warm.

    Ich würde mich so aus dem Dilemma befreien:

    Es ist 30 Grad warm.

    Es sind 30 Grad.

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