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Thema: Was stimmt nun: "am" Anfang oder "auf" Anfang

  1. #1

    Standard Was stimmt nun: "am" Anfang oder "auf" Anfang

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Beim lesen von irgendwelchen Artikeln im Internet

    Ich lese immer öfter in irgendwelchen Artikeln im Internet die Formulierung ..."auf Anfang". Vor allem. "Alles auf Anfang", statt wie ich es kenne: "Wir sind wieder ganz am Anfang". Gut, ich kenne die Formulierung: "Ich habe die Frau auf Anfang 30 geschätzt". Doch dabei bezieht sich das Wörtchen "auf" eben auf "schätzen" => [schätzen auf].
    Es gibt wohl eine Fernsehserie oder ein Film, der den Titel trägt: "Alles auf Anfang", ist dieser etwa der Grund, dass mal wieder die Deutsche Sprache verbogen wird, oder liege ich komplett daneben und die Formulierung "Alles auf Anfang" ist völlig korrektes Deutsch? Und wenn ja, seit wann?

    Für eine kompetente Antwort wäre ich dankbar.

    Gruß Tom

  2. #2

    Standard "auf Anfang" vs. ""am Anfang"

    Da Herkunft und Verwendung eines Ausdrucks nicht zur Grammatik im engeren Sinn gehören, wird hier auf unser übliches Antwortschema mit den Icons verzichtet. Wir möchten Sie dennoch bitten, unseren kurzen Fragebogen zur Bewertung unserer Antwort auszufüllen.

    Die Wahl der Präposition macht in diesem Zusammenhang schon einen gewissen Unterschied aus. Zwar ist den beiden Konstruktionen Alles auf Anfang und Ich stehe wieder ganz am Anfang von ihrer Bedeutung her grundsätzlich gemeinsam, dass man mit seiner Tätigkeit eigentlich schon einmal weiter war, aber durch irgendetwas wieder (mehr oder weniger freiwillig) an den Anfang zurückgebracht wird. Wenn man allerdings wieder am Anfang steht, befindet man sich in diesem Moment in einem Zustand der Stase, d. h. man bewegt sich (noch) nicht. Bei alles auf Anfang könnte man dagegen ein Handlungsverb einsetzen, um zu verdeutlichen, dass es hier um die Tätigkeit des etwas wieder an den Anfang Stellens geht, die dem wieder am Anfang Stehen vorausgeht (z. B. alles auf Anfang (zurück-)stellen/(zurück-)setzen/(zurück-)spulen). Da es sich hier also um zwei verschiedene Konstruktionen mit verschiedenen Sinnrichtungen handelt, kann man keinesfalls sagen, dass eine von ihnen "richtig" und die andere "falsch" ist.

    Die Wendung Alles auf Anfang stammt aus dem Filmjargon, wo sie immer dann zum Einsatz kommt, wenn z. B. ein Schauspieler einen Hänger hat oder die Aufnahme aufgrund sonstiger Pannen unterbrochen werden muss. Dann wird die ganze Szene „auf Anfang“ gesetzt und noch einmal von vorn gespielt. Weil sie so schön griffig ist, wird die Wendung inzwischen auch gern als Titel für Zeitungsartikel gewählt oder innerhalb von Artikeln verwendet.

    Beispiel

    „In Wahrheit ist es daher eine Illusion, dass sich im Nahen Osten gleichsam die Reset-Taste drücken, alles auf Anfang zurücksetzen lässt.“ (Hannoversche Allgemeine, Juni 2009)


    Eine solche Übernahme von Wörtern und Wendungen aus einzelnen Gruppensprachen in die Gemeinsprache kann als Ausdruck von Kreativität gelten und stellt ein völlig normales Sprachwandelphänomen dar.

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  3. #3

    Standard unzlässige Satzverstümmelung?

    OK. Was gemeint sein könnte, hatte ich schon verstanden. Mir ging es schon um Grammatik im Sinne von richtig oder falsch! Wenn dieses "auf" so zu verstehen ist, wie Sie schreiben, im Sinne eines "Zurücksetzen", müßte es dann nicht korrekt: "...(alles) auf den Anfang (setzen)" heißen? Grammatikalisch wäre dann das Weglassen des Wörtchens "den" eine unzlässige Satzverstümmelung und genau so hört es sich für mich an. "Alles auf Anfang" mag ja als Regieanweisung im Film eine Art "Terminus Technikus" sein, doch scheint es mir als normales Sprachkonstrukt grammatikalisch nach wie vor falsch!

  4. #4

    Standard

    Erst durch Ihre Rückfrage ist uns klar geworden, dass es sich bei Ihrer Frage nicht nur um eine Frage nach der Übertragbarkeit eines Ausdrucks aus dem Filmjargon in die Standardsprache handelt, sondern dass Sie auch ein grammatisches Problem in der Nichtrealisierung des bestimmten Artikels in alles auf Anfang sehen. Besten Dank für die Präzisierung.

    Sprachsystem

    Mit der Frage, ob es heißen darf alles auf Anfang und nicht heißen muss alles auf den Anfang bewegen wir uns im Themengebiet Artikelgebrauch. Sie nehmen an, dass der definite (bestimmte) Artikel hier obligatorisch sei. Grundsätzlich gibt es aber auch die Möglichkeit, Determination/Bestimmung nicht explizit auszudrücken. In der Dudengrammatik sprechen die Autoren diesbezüglich von "Konstruktionen ohne Artikel", gebräuchlich ist aber auch der Terminus Nullartikel. Es gibt durchaus einige Konstruktionen, in denen der Nullartikel der Normalfall ist, beispielsweise:

    Beispiel

    [1] Ohne Kaffee werde ich morgens nicht wach. (Beispiel aus der Dudengrammatik)

    Beispiel

    [2] Er bleibt Junggeselle. (Beispiel aus der Dudengrammatik)


    Den Verzicht auf den Artikel in Beispiel 1 erklären die Autoren der Dudengrammatik dadurch, dass dem Substantiv Kaffee das semantische Merkmal "zählbar" fehlt; bei Beispiel 2 berufen sie sich auf die Angabe der Zugehörigkeit zu einer sozial etablierten und anerkannten Gruppe.
    Zwar treffen diese Erläuterungen nicht auf das Beispiel alles auf Anfang zu, möglicherweise könnte die Neigung zum Nullartikel hier aber dadurch erklärbar sein, dass das Wort Anfang in Verbindung mit Zeitangaben quasi selbst die Funktion einer näheren Bestimmung übernehmen kann wie in den folgenden Beispielen:

    Beispiel

    [3] Zuletzt verschob sich der geplante Umzug noch einmal um ein Jahr auf Anfang 2014. (Beispiel aus COSMAS II)

    Beispiel

    [4] Stadtsprecher Ralf Schmidt terminiert den Beginn nun auf Anfang November. (Beispiel aus COSMAS II)


    Den bisherigen Ausführungen konnten Sie entnehmen, dass Konstruktionen mit Nullartikel prinzipiell möglich sind. Folglich ist es nicht möglich, Ihre Frage nach dem Richtig oder Falsch im Sinne der Grammatik pauschal zu beantworten: Das grammatische System des Deutschen kennt sowohl Konstruktionen mit als auch Konstruktionen ohne Artikel. Wenn das System mehrere Möglichkeiten zulässt, ist es prinzipiell die Aufgabe der Sprachgemeinschaft, den Gebrauch zu regeln. Als Mitglied der Sprachgemeinschaft können Sie selber aufgrund Ihres richtig-vs.-falsch-Gefühls für den Gebrauch oder die Vermeidung einer Konstruktion sorgen. Es ist aber nicht möglich, die von Ihnen gefühlte Satzverstümmelung sprachsystematisch zu begründen.
     


    Sprachvariation

    Im ersten Versuch der Beantwortung Ihrer Frage haben wir bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei alles auf Anfang um eine Wendung aus dem Bereich der Filmproduktion handelt. Sie vertreten die Auffassung, dass dies noch nicht die Verwendung "als normales Sprachkonstrukt" rechtfertige. Dass eine Konstruktion aus einem eingegrenzten Verwendungsrahmen (in unserem Fall: der Filmjargon) in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen kann, ist aber ein völlig normaler Sprachwandelvorgang, der sich auf die einfache Formel bringen lässt: Warum soll eine Konstruktion, die sich in einem Bereich bewährt hat, nicht auch nützlich für den allgemeinen Sprachgebrauch sein?
     


    Sprachgebrauch

    Da es keine Normierungsinstanz für sprachliche Zweifelsfälle gibt (etwa: ein "Sprachministerium"; amtlich geregelt ist nur die Rechtschreibung, mehr nicht!) regelt der Sprachgebrauch die Frage nach dem richtig oder falsch. Das Bestehen von Zweifelsfällen - wie beispielsweise Ihr aktueller Unmut gegenüber der Konstruktion - ist dabei häufig ein Indiz für aktuelle Sprachwandelprozesse. Die folgenden Zeitungsbelege illustrieren, dass sich die Konstruktion inzwischen offensichtlich tatsächlich zunehmender Beliebtheit erfreut:

    Beispiel

    [5] Alles zurück auf Anfang: Die Basketball-Bundesliga-Partie zwischen den Phantoms Braunschweig und Alba Berlin am kommenden Samstag ist von 20 Uhr wieder auf die ursprünglich vorgesehene Anfangszeit 19 Uhr zurückverlegt worden. (Beispiel aus COSMAS II, Braunschweiger Zeitung 2010)

    Beispiel

    [6]Eine Stunde lang stritten sie drinnen aufgeregt, widerspenstig, verärgert, sprach- und fassungslos – 25 Minuten berieten sie draußen inständig, aber vergeblich: Am Ende war alles wieder auf Anfang bei der aufgewühlten, von Ratlosigkeit geprägten, nahezu ungeordneten Debatte, die sich die Mitglieder des Stadtrates gestern Abend rund um die Stadtwerke-Affäre lieferten. (Beispiel aus COSMAS II, Braunschweiger Zeitung 2010)

     
    Geändert von Melanie Löber (07.06.2011 um 10:18 Uhr)

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