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Thema: Ihr eitlen Ehren / du grosser Idiot

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard Ihr eitlen Ehren / du grosser Idiot

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Bach-Motett

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden

    Guten Tag,

    mein Kollege und ich (wir sind beide französische Übersetzer) stellen uns eine Frage, auf die wir leider keine Antwort gefunden haben. Er fragte mich (weil ich seit längerem in Deutschland lebe), ob "weg, weg, weg, weg, ihr eitleN Ehren" (Zeile aus einem Bach-Motett) korrekt sei. Da ich vor ein paar Jahren entdeckt hatte, dass man "Hallo ihr liebeN" schreibt, und die beiden Fälle analog sind, antwortete ich "ja". Er schlug mir zwei andere Beispiel vor, die mir unkorrekt vorkommen: *"Kommt doch herein, ihr schönE Damen!" / *"ihr gutE Leute seid so nett mit mir" (fiktive von ihm erdachten Beispiele).

    Warum überrascht es uns? Weil wir in der Schule lernten: DIE eitleN Ehren / eitlE Ehren. Ich dachte auch bis vor ein paar Jahren, dass es nach diesem Muster *"ihr altE Ehren"/*"Hallo ihr liebE" sein sollte. Das scheint einfach so zu sein, das kann ich akzeptieren (nach dem Muster "Hallo ihr liebeN").

    Allerding merkte mein Kollege an, dass es doch "geh, du großeR Idiot!" heisst. Wie kann man also vereinbaren, dass im Plural und im Singular nicht gleich dekliniert wird (also einmal nach dem Muster "ihr" statt "die" und einmal nach dem Muster ohne Artikel)?

    Wir würde uns sehr freuen, wenn Sie eine Erklärung dazu hätten!

    Schöne Grüße

    Eine französische Übersetzerin und Grammatikliebhaberin

  2. #2
    Registriert seit
    03.07.2014
    Ort
    Gießen
    Beiträge
    271

    Standard

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    In Ihrer Frage geht es darum, wie Anreden im Deutschen zu gestalten sind. Einen ersten Anhaltspunkt kann dazu der folgende Beitrag bieten: http://www.grammatikfragen.de/showth...ighlight=liebe

    Dort wird allgemein festgehalten, dass der Angeredete im Deutschen stets im Nominativ angesprochen wird. In zweierlei Hinsicht können nun Unsicherheiten auftreten:

    1. kann auf das Anredepronomen ein Adjektiv folgen. Dann stellt sich die Frage, ob für dieses die starke oder schwache Flexion zu wählen ist.

    2. kann nach dem Anredepronomen und dem ggf. auf das Anredepronomen folgenden Adjektiv ein vermeintliches Substantiv stehen, bei dem es sich jedoch um ein substantiviertes Adjektiv handelt. Auch hier stellt sich dann die Frage nach der starken und schwachen Flexion, denn substantivierte Adjektive werden wie Adjektive flektiert.

    Ihre Beispiele weisen genau diese Probleme auf. Sie stellen die Frage, ob nach einem Anredepronomen die starke oder die schwache Adjektivflexion zu wählen ist. Allgemein hängt die Wahl der Adjektivflexion vom syntaktischen Umfeld des Adjektivs ab: Steht vor ihm ein Artikelwort mit Endung, dann wird es schwach flektiert. Steht vor ihm hingegen kein Artikelwort mit Endung, so ist die starke Flexion zu wählen.

    Zur Beantwortung Ihrer Frage muss also nun geklärt werden, ob ihr bzw. du wie ein Artikelwort im Satz funktionieren oder eine andere Funktion aufweisen. In der Dudengrammatik heißt es dazu, dass nach ihr in der Verwendung als Anredepronomen die schwache Flexion dominiert, d.h. ihr würde sich grammatisch ähnlich wie ein Artikelwort verhalten. (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 1529/ Vgl. dazu auch Duden 9, S. 470f.) Dies würde angewendet auf ihre Beispiele für folgende Varianten sprechen:

    Beispiel

    Weg, ihr eitlen Ehren
    Hallo ihr Lieben
    Kommt doch herein, ihr schönen Damen
    ihr guten Leute seid so nett mit mir


    Anders verhält sich Ihr weiteres Beispiel:

    Beispiel

    du großer Idiot


    Laut Duden 9 wird nach dem Anredepronomen du die starke Flexion bevorzugt. (Vgl. Duden 9, S. 42) Dies wird am folgenden Beispiel illustriert:

    Beispiel

    du großer Held


    Dieses Beispiel funktioniert analog zu Ihrem, weswegen demnach auch bei Ihrem Beispiel die starke Flexion zu wählen sei.

    Sie verweisen in Ihrer Frage jedoch schon zu Recht darauf, dass die Flexion in diesem Fall vom Numerus abhängt. Während im Singular in der Regel die starke Flexion gewählt wird, wird im Plural eher die schwache Flexion gewählt, so der Duden 9. (Vgl. Duden 9, S. 42) Die Dudengrammatik hält entsprechend fest, dass nach ihr meistens die starke, nach du eher die schwache Flexion folgt. (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 1526)

    Beide Anredepronomen zählen jedoch zu den Wörtern, bei denen nicht klar ist, ob sie wirklich als Artikelwort fungieren. Das hat zur Folge, dass es zwar Tendenzen gibt, welche Flexion nach ihnen gewählt wird, jedoch unterliegen diese auch Schwankungen.

     

    Sprachgebrauch



    Um dies zu untersuchen, wurde eine Stichprobe mit Cosmas II, der digitalen Belegsammlung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), und Google erhoben. Anhand von konkreten Kombinationen wurde untersucht, ob nach dem Anredepronomen ihr stark oder schwach flektiert wird. Die Ergebnisse zeigen die folgenden Tabellen:


    Treffer in Google
    Hallo, ihr liebe Freunde ca. 2.070 Treffer
    Hallo, ihr lieben Freunde ca. 11.600 Treffer


    Treffer in Google
    Seid gegrüßt ihr liebe Gäste 0 Treffer
    Seid gegrüßt ihr lieben Gäste ca. 6.140 Treffer


    Treffer in Cosmas IITreffer in Google
    Hallo ihr beide ca. 9 Treffer ca. 45.600 Treffer
    Hallo ihr beiden ca. 231 Treffer ca. 247.000 Treffer


    Treffer in Cosmas IITreffer in Google
    Hallo ihr Liebe 0 Treffer ca. 32.100 Treffer
    Hallo ihr Lieben ca. 152 Treffer ca. 2.500.000 Treffer

    Daraus wird ersichtlich, dass sowohl bei Google als auch bei Cosmas II sich die Einschätzung des Dudens bestätigt, dass nach dem Anredepronomen ihr die schwache Flexion bevorzugt wird. Folgt man dieser Tendenz im Sprachgebrauch, dann würde Ihr Ausgangsbeispiel lauten:

    Beispiel

    Weg, ihr eitlen Ehren


    Hinweis zu Googledaten: Die Sprachgebrauchsdaten werden mit dem wissenschaftlich fundierten Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache Mannheim COSMAS II erhoben und durch Googlebefunde ergänzt. Die ergänzende Googlesuche ist notwendig, da in der Textsammlung des IdS (DeReKo = Deutsches Referenzkorpus), obwohl diese inzwischen 24 Milliarden Wortformen umfasst, die gefragten Varianten häufig nur relativ selten vorkommen. Bei Google finden sich häufig deutlich mehr Treffer, die Zahlen sind aber aus den folgenden beiden Gründen mit Vorsicht zu genießen:

    1. Google unterscheidet nicht zwischen "echten" Sprachgebrauchstreffern und metasprachlichen Diskussionen. Die Frage zu downgeloadet/gedownloadet in unserem Forum bspw. ist auch ein Treffer bei Google. Insgesamt betrachtet machen die metasprachlichen Diskussionen aber in aller Regel den deutlich geringeren Anteil an den Gesamttreffern aus.

    2. Google bemüht sich um personalisierte und schnelle Suchergebnisse, die Treffergenauigkeit steht hier also nicht im Vordergrund. Dennoch - und deshalb wird hier trotz der genannten Einschränkungen auf Google zurückgegriffen - lassen sich doch Eindrücke über allgemeine Gebrauchstendenzen gewinnen.

     

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