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Thema: "um schweren Verletzungen vorzubeugen" oder "um schwere Verletzungen vorzubeugen"?

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard "um schweren Verletzungen vorzubeugen" oder "um schwere Verletzungen vorzubeugen"?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Film

    Hallo,

    ich habe heute den Satz, "Bitte setzen sie ihren Schutzhelm auf, um schweren Verletzungen vorzubeugen", gehört. Irgendwie kann ich diesem Satz nicht wirklich eine Sinn zuordnen, da ich, "um schwere Verletzungen vorzubeugen",
    sagen würde. Google hat mir hierbei nicht viel weiter geholfen, da ich beide Satzteile finden kann.

    Ich hoffe mir kann jemand hierbei helfen und mir gegebenenfalls erläutern wie ich, "um schweren Verletzungen vorzubeugen", verstehen kann.

    Vielen Dank für eure Hilfe!

  2. #2
    Registriert seit
    04.07.2014
    Ort
    Gießen
    Beiträge
    85

    Standard Rektionsverhalten von "vorbeugen"

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem


    Ihre Frage betrifft die Rektion. Hierbei handelt es sich um die Eigenschaft von Präpositionen und Verben, den Kasus eines von ihnen abhängigen Wortes zu bestimmen. In Ihrem Beispiel geht es um das Rektionsverhalten der Verbs vorbeugen. Sie möchten wissen, welchen Kasus das Verb regiert. Davon hängt nämlich ab, wie die Nominalgruppe schwere(n) Verletzungen flektiert werden muss.

    Beispiel


    (1) Bitte setzen Sie Ihren Schutzhelm auf, um schweren Verletzungen vorzubeugen.
    (2) Bitte setzen Sie Ihren Schutzhelm auf, um schwere Verletzungen vorzubeugen.


    In (1) steht die Nominalgruppe im Dativ, was am Adjektiv schweren erkennbar ist, da an ihm als Kopf (= grammatisches Zentrum) der Nominalgruppe der Kasus markiert ist. In (2), der Variante, die Sie bevorzugen, steht die Nominalgruppe formal betrachtet im Nominativ oder Akkusativ. Laut der Beispiele des DUW (Deutsches Universalwörterbuch) zu den Verwendungsweisen von vorbeugen kann das Verb den Akkusativ regieren (vgl. DUW: 1939). Allerdings ist das nur in der Bedeutung von einen Körperteil vorbeugen der Fall (3).

    Beispiel


    (3) Sie geht zum Spiegel, beugt ihren Ober-körper vor und hält ihr Gesicht nahe vor den Spiegel (Internetbeleg).


    Bei Ihrem Satz geht es aber nicht darum, einen Körperteil vorzubeugen, also nach vorn zu beugen. Stattdessen hat das Verb hier eine übertragene Bedeutung und drückt aus, dass „etw. durch bestimmtes Verhalten od. bestimmte Maßnahmen“ (DUW: 1939) verhindert werden soll (4). Konkret wird also dazu aufgefordert, einen Schutzhelm zu tragen, um schwere Verletzungen zu verhindern. Bei dieser Bedeutung regiert das Verb den Dativ, sodass Variante (1) korrekt ist.

    Beispiel


    (4) Lediglich das Design beziehungsweise der Aufdruck wurde leicht variiert, um einer Verwechslung vorzubeugen (Internetbeleg).

     


    Sprachgebrauch


    Da Sie selbst die unklare Datenlage bei Ihrer Recherche mit Google angesprochen haben, folgt eine Übersicht zum Vorkommen der beiden Varianten aus Ihrem Beispiel (a = Akkusativ und b = Dativ). Außerdem wurde zur Ergänzung noch in zwei weiteren Anfragen das Adjektiv schwer, an dem ja der Kasus markiert ist, durch den definiten Artikel im entsprechenden Kasus ersetzt (c = Akkusativ und b = Dativ). Durchgeführt wurde die Recherche mit COSMAS II, der digitalen Belegsammlung des Instituts für deutsche Sprache (IDS), und mit der Suchmaschine Google. Bitte beachten Sie hinsichtlich der Nutzung von Google die am Ende dieses Abschnitts folgenden Hinweise.

    COSMAS IIGoogle
    (a) um schwere Verletzungen vorzubeugen 0 Treffer 62 Treffer
    (b) um schweren Verletzungen vorzubeugen 4 Treffer 481 Treffer
    (c) um die Verletzungen vorzubeugen 0 Treffer 1 Treffer
    (d) um den Verletzungen vorzubeugen 0 Treffer 111 Treffer

    Die Suchanfragen zeigen, dass die Treffer für die Dativvarianten (a und c) deutlich überwiegen, was das sprachsystematische Bild vom Rektionsverhalten von vorbeugen stärkt.

    Hinweis zu Googledaten: Die Sprachgebrauchsdaten werden mit dem wissenschaftlich fundierten Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache Mannheim COSMAS II erhoben und durch Googlebefunde ergänzt. Die ergänzende Googlesuche ist notwendig, da in der Textsammlung des IdS (DeReKo = Deutsches Referenzkorpus), obwohl diese inzwischen 24 Milliarden Wortformen umfasst, die gefragten Varianten häufig nur relativ selten vorkommen. Bei Google finden sich häufig deutlich mehr Treffer, die Zahlen sind aber aus den folgenden beiden Gründen mit Vorsicht zu genießen:

    1. Google unterscheidet nicht zwischen "echten" Sprachgebrauchstreffern und metasprachlichen Diskussionen. Die Frage zu downgeloadet/gedownloadet in unserem Forum bspw. ist auch ein Treffer bei Google. Insgesamt betrachtet machen die metasprachlichen Diskussionen aber in aller Regel den deutlich geringeren Anteil an den Gesamttreffern aus.

    2. Google bemüht sich um personalisierte und schnelle Suchergebnisse, die Treffergenauigkeit steht hier also nicht im Vordergrund. Dennoch - und deshalb wird hier trotz der genannten Einschränkungen auf Google zurückgegriffen - lassen sich doch Eindrücke über allgemeine Gebrauchstendenzen gewinnen.
     


    Sprachgeschichte


    Aus dem Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (DWB) geht ebenfalls hervor, dass vorbeugen je nach Bedeutung unterschiedliche Kasus regiert. Für den Gebrauch in der Bedeutung nach vorne beugen wird folgendes Beispiel angeführt, bei dem vom Verb der Akkusativ gefordert wird.

    Beispiel


    (5) „beugte seine linke schulter vor“ (Bode Tristram Schandi (1774) 2, 48)


    Hingegen für die als übertragen bezeichnete Bedeutung, also zu „bewirken, dasz etwas nicht eintritt, dasz etwas abgewehrt, vermieden wird“ (DWB: vorbeugen 2), heißt es, dass das Verb gewöhnlich den Dativ regiert (6 und 7). Jedoch wird auch ein Beispiel angeführt, das die Verwendung mit dem Akkusativ belegt (8), welche als lässig beschrieben wird.

    Beispiel


    (6) „(er hat) der hungersnoth vorgebeuget“ (Dannhauer catechismusmilch (1657) 5, 751)
    (7) „ich rette vielleicht ihr leben, da ich diesem unseligen duell vorbeuge“ (Schiller schr. 14, 172 G.)
    (8) „ein arzt, der einen schaden vorbeugt“ (Hippel lebensläufe (1878ff.) 3, 1, 402)


    Aus sprachhistorischer Perspektive scheint es demnach eine gewisse Varianz bei den Rektionseigenschaften von vorbeugen zu geben. Dennoch gilt der Dativ auch laut DWB als Regelfall, sodass der Gebrauch des Akkusativs eher als Abweichung angesehen werden kann.
     


    Fazit: Ihr Zweifel, ob das Verb vorbeugen den Dativ oder Akkusativ regiert, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass es je nach Bedeutung entweder den einen oder den anderen Kasus regiert. Im vorliegenden Beispiel ist aber klar die Verwendung des Dativs zu bevorzugen, da ausgesagt werden soll, dass das Aufsetzen eines Schutzhelms erforderlich ist, um schwere Verletzungen zu verhindern.

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    Geändert von Dennis Koch (20.10.2015 um 00:58 Uhr)

  3. #3
    Unregistriert Gast

    Standard

    Vielen Dank für die ausführliche und verständliche Antwort.

    Es ist interessant zu erkennen, dass sich mein Sprachgefühl wohl an der von ihnen aufgeführten Variante "um schwere Verletzungen zu verhindern" orientiert und ich mir das Rektionsverhalten von vorbeugen vorerst immer wieder bewusst machen muss.

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