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Thema: Funktionieren die Formen "dem sein" und "der ihr"?

  1. #1

    Standard Funktionieren die Formen "dem sein" und "der ihr"?

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    Erlernen des Dänischen sin/sit - hans/hendes- Problem

    Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
    Duden

    Im Dänischen ist es möglich eine Unterscheidung zu machen, ob der 3.Ps.sg etwas selbst gehört oder einer anderen. Mir ist aufgefallen, dass im Bayerischen zumindest diese Unterscheidung auch gemacht werden kann. Doch ist diese ein umgangssprachliches Phänomen in ganz Deutschland oder mehr ein dialektales?
    Zur Veranschaulichung ein Beispiel:
    "Sie ist ihre (eigene) Schokolade" vs. "Sie ist der ihre (-> nicht ihre eigene) Schokolade"

  2. #2
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    Gießen
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    Standard Possession im Deutschen

    Sprachsystem


    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    In Ihrem Beispiel geht es um die Frage, wie Possession im Deutschen, also Besitzverhältnisse, ausgedrückt werden können. Als Möglichkeit dafür nennen Sie das Possessivpronomen ihr, wie im Beispielsatz:

    Beispiel


    Sie isst ihre Schokolade.


    Durch das hier als Artikel verwendete Pronomen ihr wird ausgedrückt, dass die Schokolade von der Person gegessen wird, der sie auch gehört. Dies lässt sich daran erkennen, dass sich die Possessivpronomen hinsichtlich der Person nach der Bezugsperson richten. Das entsprechende Possessivpronomen zu sie ist ihr.

    Allerdings ist auch die Lesart denkbar, dass hier eine fremde Schokolade gegessen wird, denn ihre könnte sich genauso gut auf eine dritte, hier nicht genannte weibliche Person beziehen. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn man den Satz kontextualisiert:

    Beispiel


    Susanne rastet aus. Ihre kleine Schwester hat schon wieder ihre Schokolade gegessen.


    Der Satzkontext legt es hier nahe, dass die kleine Schwester die Schokolade von Susanne isst und nicht ihre eigene. Dies ließe sich damit begründen, dass sich Susanne darüber ärgert, dass ihre kleine Schwester ihr die Schokolade wegisst. Allerdings wäre auch hier die Interpretation denkbar, dass sich Susanne darüber ärgert, dass die kleine Schwester ihre eigene Schokolade isst, bspw. weil die kleine Schwester aufgefordert wurde, generell weniger Süßigkeiten zu essen. Auf wen sich ihre bezieht lässt sich also nicht sicher sagen, da von der grammatischen Form eine weibliche Person in der 3. Sg. in Frage kommt, was in diesem Beispiel sowohl Susanne als auch ihre kleine Schwester sein kann. Selbst in einem größeren Zusammenhang wird die Personenreferenz also nicht immer eindeutig. Klarer wird diese, wenn man entweder den Handelnden oder das Pronomen durch eine andere Person ersetzt:

    Beispiel

    Daniel isst ihre Schokolade.


    Hier ist es deutlich, dass ihre sich nur auf eine weitere Person beziehen kann, da ihre nicht hinsichtlich des Genus mit Daniel übereinstimmt.

    Um dieser Problematik aus dem Weg zu gehen, führen Sie die folgende Formulierung ein und fragen, wie bei dieser die Besitzverhältnisse zu deuten sind:

    Beispiel


    Sie isst der ihre Schokolade.


    Bei der ihre Schokolade handelt es sich um eine sogenannte Dativ-Possessiv-Konstruktion. Solche Konstruktionen bestehen zunächst aus einer Konstituente im Dativ (hier: der), mit der der Besitzer angegeben wird. Darauf folgt ein Possessivpronomen, das einem Substantiv vorangeht (hier: ihre Schokolade). (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 2028) Es stellt sich nun die Frage, worauf sich das Pronomen der bezieht.

    Auch hier bleibt das Problem bestehen, dass die Bezüge nicht eindeutig sind. Der kann sich hier auch wieder auf den Essenden beziehen oder auf eine andere weitere weibliche Person. Aus grammatischer Perspektive lässt sich hier keine sichere Aussage über die Bezugsperson treffen, sodass die eigentliche Bedeutung erst im Äußerungskontext deutlich wird.

    Darüber hinaus verweisen Sie schon selbst darauf, dass solche Dativ-Possessiv-Konstruktionen vor allem in Dialekten verbreitet sind. Sie werden laut Dudengrammatik in den regionalen Umgangssprachen und – wie bereits genannt – in Dialekten verwendet, nicht jedoch in der geschriebenen Sprache. (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 2028)

    Demnach gibt es hinsichtlich der Bedeutung keinen Unterschied zwischen Ihren Beispielsätzen. Beide Sätze sind insofern mehrdeutig, als dass sich das Possessivum ihr bzw. der sowohl auf den Essenden als auch auf eine weitere Person beziehen kann. Das heißt letztendlich, dass die von Ihnen angeführte Unterscheidung aus dem Dänischen im Standarddeutschen nicht möglich ist.

    Will man diese Mehrdeutigkeit im Deutschen umgehen, gibt es jedoch verschiedene lexikalische und grammatische Möglichkeiten, mit denen die Besitzverhältnisse eindeutig ausgedrückt werden können:

    Eine erste Möglichkeit haben Sie bereits selbst eingeführt, nämlich das Zurückgreifen auf die Verwendung des Adjektivs eigen. Durch dieses kann im Deutschen hervorgehoben werden, dass etwas der dritten Person selbst gehört und nicht einer weiteren Person. In diesem Fall würde Ihr Beispiel lauten:

    Beispiel

    Sie isst ihre eigene Schokolade.


    Eine weitere Möglichkeit wäre die Verwendung einer Präpositionalgruppe mit von + Substantiv. Damit lässt sich besonders gut angeben, dass etwas jemand anderem als der bereits beschriebenen Person gehört:

    Beispiel

    Sie isst die Schokolade von Peter.


    Außerdem würde sich auch die Verwendung eines Genitivattributs eignen, um den Besitzer der Schokolade anzugeben:

    Beispiel

    Sie isst Peters Schokolade.


    Mit einer Dativ-Possessiv-Konstruktion kann also für die dritte Person keine Eindeutigkeit der Besitzverhältnisse gewährleistet werden. Allerdings bietet das Deutsche einige Verwendungsweisen, die diese Eindeutigkeit herstellen können, wie Genitivattribute, die Verwendung von von + Substantiv und die des Adjektivs eigen.

     

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