Sprachsystem
Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.
In Ihrer Frage geht es um den Vergleich zweier Verbalkomplexe. Sie wollen wissen, was der Unterschied zwischen den folgenden beiden Varianten ist:
Beispiel
1) konnte machen
2) kann gemacht haben
Ein Unterschied besteht zunächst auf grammatischer Ebene. In beiden Varianten liegt eine flektierte (gebeugte) Form des Verbs können vor. Bei können handelt es sich um ein sogenanntes Modalverb. Modalverben zeichnen sich hinsichtlich ihrer Bedeutung dadurch aus, dass sie ein besonderes Verhältnis vom Sprecher zur Welt bzw. von seiner Aussage zur Welt artikulieren. Wesentlich für Modalverben ist darüber hinaus, dass sie häufig einen Infinitiv an sich binden, wie es auch in Ihrem Beispiel der Fall ist. Analysiert man nun ihre Beispiele, dann sieht man zum einen, dass sie im unterschiedlichen Tempus stehen und zum anderen, dass der Infinitiv unterschiedlich realisiert wird:
Beispiel
1) konnte (= 3. Pers. Sg. Präteritum Indikativ Aktiv) machen = (Infinitiv Präsens)
2) kann (= 3. Pers. Sg. Präsens Indikativ Aktiv) gemacht haben (= Infinitiv Perfekt)
Entscheidend für das Tempus eines Verbalkomplexes bestehend aus Modalverb und Infinitiv ist das Tempus des Modalverbs. In Ihrer ersten Variante steht der Verbalkomplex daher im Präteritum, während er in der zweiten Variante im Präsens steht. Außerdem verbindet sich in Ihren Beispiel das Modalverb jeweils mit unterschiedlichen Infinitiven: Während im Beispiel 1 der Infinitiv Präsens gewählt wird, wird im Beispiel 2 der Infinitiv Perfekt gewählt.
Neben diesem grammatischen Unterschied gibt es auch einen Unterschied hinsichtlich der Bedeutung. Modalverben können auf zwei Weisen verwendet werden: Entweder sie werden deontisch oder epistemisch verwendet. Unter dem deontischen Gebrauch versteht man die Verwendung von Modalverben, bei denen mit ihnen eine Aussage unabhängig vom Sprecher über die Wirklichkeit getätigt. Es wird also angegeben, ob etwas der Fall ist, ob etwas möglich / notwendig / erlaubt oder erwünscht ist. In den folgenden Beispielsätzen wird das Modalverb in diesem deontischen Gebrauch verwendet:
Beispiel
Man darf in öffentlichen Gebäuden nicht mehr rauchen.
Er wollte sie gerade nach dem Weg fragen, aber sie drehte sich plötzlich um.
Im Gegensatz dazu ist beim epistemischen Gebrauch der Sprecher relevant. Mit dem Modalverb lässt sich bei diesem Gebrauch angeben, dass man sich auf die Aussage eine anderen bezieht, deren Wahrheitsgehalt man selbst nicht sicher beurteilen kann. Außerdem kann mit dem Modalverb ausgedrückt werden für wie wahrscheinlich man etwas hält.
Beispiel
Er soll das Bild gemalt haben.
Es wurde bei einem Maler ein Bild bestellt. Der Maler müsste das Bild jetzt fertig haben.
Es wurde bei einem Maler ein Bild bestellt. Der Maler dürfte das Bild jetzt fertig haben.
In dem ersten dieser Beispiele wird angegeben, dass jemandem berichtet wurde, dass jemand ein Bild fertig gemalt haben soll. Ob dies jedoch wirklich der Fall ist, weiß der Sprecher nicht sicher. In den weiteren beiden Beispielsätzen wird angegeben für wie wahrscheinlich der Sprecher es hält, dass der Maler ein Bild fertiggestellt hat.
Betrachtet man Ihr Beispiele vor diesem Hintergrund so lässt sich sagen, dass in der Variante 1 das Modalverb deontisch gebraucht wird. Es wird ausgedrückt, dass jemand in der Vergangenheit die Fähigkeit oder die Erlaubnis hatte etwas zu tun. Das bedeutet, dass ein für wahr gehaltener Zustand in der Vergangenheit beschrieben wird. Anders verhält es sich mit Ihrer zweiten Variante. Dort wird das Modalverb epistemisch gebraucht. Der Sprecher äußert hier eine Vermutung über etwas, was in der Vergangenheit geschehen sein könnte. Das bedeutet, dass sich hier der Sprecher nicht sicher ist, ob die hinter dem Pronomen er stehende Person die Handlung wirklich ausführen konnte oder nicht. Das heißt, dass in Beispiel 1 eine Aussage über etwas Faktisches getroffen wird, während in Beispiel 2 lediglich eine Vermutung über etwas Geschehenes geäußert wird.
Dabei korreliert der epistemische Gebrauch häufig mit dem Infinitiv Perfekt, was die folgenden Beispiele exemplarisch veranschaulichen:
Beispiel
Er will davon nichts gewusst haben.
Sie soll krank gewesen sein.
Sie müsste das gewusst haben.
Dass ein epistemischer Gebrauch vorliegt bei einem Modalverb + Infinitiv Perfekt ist jedoch nicht notwendigerweise der Fall, sondern es handelt sich hierbei eher um Tendenzen.
Geändert von Jacqueline Weiß (16.07.2017 um 15:10 Uhr)
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