Der Beispielsatz „Peter, du bist abgeholt!“ steht im sogenannten
Zustandspassiv. Im Gegensatz zu der von Ihnen angeführten Alternative „Du wirst abgeholt.“ wird das Passiv nicht mit dem Hilfsverb „werden“ gebildet, sondern mit dem Hilfsverb „sein“. Man spricht auch von dem
sein-Passiv. Diese Passivform wird verwendet, um einen Zustand auszudrücken:
Der Garten ist zerstört. (Beispiel aus der Dudengrammatik/ Duden Band 4)
Die Tür ist geöffnet.
Prinzipiell ist jedes transitive Verb, also ein Verb, welches ein Akkusativobjekt fordert, in der Lage, das sein-Passiv zu bilden. Folglich ist das sein-Passiv auch bei dem Verb „abholen“ möglich, um auszudrücken, dass etwas oder jemand bereits abgeholt ist:
1. Der Müll ist bereits von der Müllabfuhr abgeholt.
Der Tisch ist von dem Käufer schon abgeholt.
Es wird deutlich, dass durch diese Passivkonstruktion ein
Resultat ausgedrückt wird. Es wird deutlich, dass der Müll beziehungsweise der Tisch nicht mehr vorhanden sind. Im direkten Vergleich mit dem werden-Passiv wird der Unterschied noch deutlicher:
2. Der Müll wird gerade von der Müllabfuhr abgeholt.
Der Tisch wird von dem Käufer abgeholt.
Das werden-Passiv drückt einen Vorgang aus, welcher noch nicht abgeschlossen ist. Demnach sind sowohl der Müll als auch der Tisch noch präsent.
Für ihr Beispiel ist daher zu unterscheiden, in welchem Kontext der Satz „Peter, du bist abgeholt“ auftritt.
Die Variante „Peter, du bist abgeholt“ impliziert ein Resultat. Wenn der Sprecher damit ausdrücken möchte, dass der Abholvorgang abgeschlossen ist, so ist der Beispielsatz durchaus zutreffend (vgl. Bsp. 1). Möglicherweise ist der Abholvorgang für den Sprecher dann abgeschlossen, wenn die abholende Person eingetroffen ist. Es läge folglich für den Sprecher nahe, dass das Kind kurz darauf den Kindergarten verlassen wird. Da die Kindergärtnerin in diesem Fall allerdings das Kind direkt anspricht, erscheint kein Zustand, sondern ein Vorgang ausgedrückt zu werden, weshalb Sie den Satz möglicherweise problematisch finden.
Eine zweite Lesart hingegen wäre, dass der Sprecher das Erscheinen der abholenden Person ankündigen und dem Kind mitteilen möchte, dass es nun abgeholt wird. Hier liegt das werden-Passiv näher, also die Variante „Peter, du wirst abgeholt“. Dadurch wird explizit ausgedrückt, dass das Kind unmittelbar abgeholt wird, sich aber noch im Kindergarten befindet.
Je nachdem, was Sie ausdrücken möchten und in welchem Kontext der Satz steht, sind beide Passivformen prinzipiell möglich. Da es sich aber hier wahrscheinlich um einen Vorgang handelt, ist die Variante „Peter, du wirst abgeholt“ naheliegender.
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