Ihre Frage bezieht sich auf den
Genitivus possessivus, also den Gebrauch des Genitivs um Besitzverhältnisse oder Zugehörigkeiten anzuzeigen. Sie möchten wissen, ob es möglich ist, den Genitiv in dieser Verwendung durch eine periphrastische Konstruktion mit der Präposition
von und einem Pronomen im Dativ zu ersetzen. Die Schwierigkeit hierbei besteht darin, dass jene Konstruktion als
Relativum eines Relativsatzes verwandt werden soll. Durch das Relativum
von denen muss also das Bezugselement im Relativsatz wiederaufgenommen werden. Ihre Beispiele lauten wie folgt:
Beispiel
(1) Die Leute, deren Häuser zerstört wurden, leben jetzt auf der Straße.
(2) Die Leute,
von denen die Häuser zerstört wurden, leben jetzt auf der Straße.
(3) Die Autoren, deren meiste Bücher schon gelesen wurden, ....
(4) Die Autoren,
von denen die meisten Bücher schon gelesen wurden, ....
Nun muss bestimmt werden, ob
von denen wie
deren geeignet ist, die Bezugselemente
die Leute und
die Autoren wiederaufzunehmen. Laut Duden 9 sind solche Konstruktionen aus
von + Dativ, um den Genitiv zu ersetzen, keine Seltenheit und finden sich nicht nur in der Umgangssprache. Die in dem entsprechenden Eintrag genannten Beispiele (5 bis 8) beziehen sich zwar nicht auf Relativsätze, wie es bei Ihren Sätzen der Fall ist, funktionieren aber prinzipiell nach dem gleichen Schema, was jedoch noch keine klare Auskunft darüber gibt, ob die Beispiele einfach auf Relativsätze übertragen werden können (vgl. Duden 9: 985-986, „von, 4“). Sicher ist hingegen, dass es sich bei der Variante
von + Demonstrativpronomen ebenfalls um ein relativisch gebrauchtes Pronomen handelt. Entsprechend liegt unabhängig von der Realisierung des Relativums ein Relativsatz vor.
Beispiel
(5) die Hälfte meines Vermögens (Duden 9: 986)
(6) die Hälfte von meinem Vermögen (ebd.)
(7) eine Schar fröhlicher Kinder (ebd.)
(8) eine Schar von fröhlichen Kindern (ebd.)
Seiner tendenziell eher sprachpflegerischen Ausrichtung entsprechend empfiehlt der Duden „Richtiges und gutes Deutsch“ zwar, aus stilistischen Gründen den Genitiv vorzuziehen, doch aus grammatischer Sicht ist gegen keine Variante etwas einzuwenden (vgl. Duden 9: 372, „Die verschiedenen Typen des Genitivattributs, 1.3.3“).
In einigen Fällen ist es aber sogar notwendig, die
von-Konstruktion zu verwenden. Zeigt beispielsweise ein allein stehendes Substantiv den Genitiv nicht eindeutig an (9) oder geht dem Substantiv ein unflektiertes Zahlwort voraus (10), muss die Umschreibung mit
von gewählt werden.
Beispiel
(9) die Meinungen von Kölnern (*die Meinung Kölner)
(10) die Einkäufe von fünf Urlaubern (*die Einkäufe fünf Urlauber)
In den Beispielen (9) und (10) wäre es grundsätzlich kein Problem,
die Meinung der Kölner und
die Einkäufe der fünf Urlauber zu schreiben, also den
bestimmten Artikel zur Genitivmarkierung zu benutzen. Allerdings liegt in diesen Fällen ein Bedeutungsunterschied hinsichtlich der
Definitheit (= Bestimmtheit) vor. So ist die
von-Konstruktion im Vergleich mit dem Genitivattribut unbestimmt.
Ihre Relativsatzbeispiele unterscheiden sich aber von (9) und (10), da sowohl jene mit
von + Pronomen als auch jene mit
deren definit sind. Bei (1) und (3) ist es nur so, dass Possession und Definitheit durch
deren in einem Wort kodiert werden. Hingegen sind in
von denen die Possession und Definitheit strukturell getrennt:
von denen drückt Possession aus und
die Definitheit. Unbestimmt wären die Beispiele nur durch Einsparung des Artikels (11), was ohnehin nur im ersten Fall möglich ist.
Beispiel
(11) Die Leute, von denen
_ Häuser zerstört wurden, leben jetzt auf der Straße.
In Beispiel (4) ist die Einsparung des Artikels nach dem Pronomen
denen nicht möglich. Hier folgt der bestimmte Artikel, was durch die Komparation des unbestimmten Zahlworts
viel bedingt wird. Jenes steht hier nämlich im Superlativ (
viel,
mehr,
meiste). Belässt man
viel im Positiv, seiner Grundform, wird der bestimmte Artikel nicht gebraucht (12). Dies liegt aber nicht zuletzt auch daran, dass
viel Eigenschaften von Adjektiven und Artikelwörtern besitzt.
Beispiel
(12) Die Autoren, von denen
viele Bücher schon gelesen wurden, ....
Da die Superlativform tatsächlich normalerweise nach Artikelwörtern steht, scheint die Variante ohne den bestimmten Artikel, also mit
deren tatsächlich markiert zu sein, insofern sie unüblich klingt. Woran genau das liegen mag, ist schwer festzumachen. Im Abschnitt zum Sprachgebrauch wird dieser Frage daher noch einmal korpusanalytisch nachgegangen.
Fazit: Aus grammatischer Sicht gibt es keine Notwendigkeit, das Genitivattribut der Konstruktion aus
von + Dativ vorzuziehen, da mit beiden Varianten Possession ausgedrückt werden kann. Dies ist auch zur Einleitung von Relativsätzen möglich. In solchen Fällen, in denen der Genitiv nicht eindeutig markiert werden kann, ist es sogar erforderlich, auf die
von-Konstruktion auszuweichen.
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