Ihre Frage betrifft das grammatische Phänomen der
Koordinationsellipse. Dazu finden Sie eine vergleichbare Frage hier:
http://www.grammatikfragen.de/showth...ingular-stehen
Koordinationsellipsen bezeichnen Auslassungen innerhalb eines Satzes, bei denen gleichartige Satzbestandteile ausgespart werden. Zur Veranschaulichung ein Beispiel:
Beispiel
(1) Katharina putzt die Küche und Julian putzt das Wohnzimmer.
(1a) Katharina putzt die Küche und Julian [putzt] das Wohnzimmer.
In Beispielsatz 1 lässt sich erkennen, dass das finite Verb
putzt in beiden mit und koordinierten Teilsätzen realisiert ist. In Beispielsatz 1a hingegen wird im zweiten Teilsatz das finite Verb eingespart. Dies ist deswegen möglich, da die zwei finiten Verben identisch sind hinsichtlich der grammatischen Kategorien (wie z.B. Numerus, Tempus, etc.).
Nun ist die Frage, ob auch in Ihrem Beispielsatz eine solche Einsparung im zweiten Teilsatz möglich ist. Um dies zu prüfen, rekonstruieren wir ihren Beispielsatz:
Beispiel
(2) Im ersten Kapitel wird der Begriff „Märchen“ genauer definiert und [im ersten Kapitel werden] verschiedene Formen des Märchens erläutert.
Bei der Rekonstruktion Ihres Beispielsatzes fällt auf, dass wir hier in jedem Teilsatz jeweils einen zweigliedrigen Verbalkomplex vorliegen haben. Dieser besteht aus einer Form des Hilfsverbs
werden zur Realisierung des Passivs und dem Vollverb
definiert bzw.
erläutert.
Dabei stellt sich nun die Frage, ob es möglich ist, das Hilfsverb werden im zweiten Teilsatz einzusparen, da es nicht identisch mit dem wird des ersten Teilsatzes ist, da sie sich im Numerus unterscheiden. Während
wird nämlich im Singular steht, steht
werden im Plural. Ob hier eine Einsparung möglich ist, ist fraglich. In der Dudengrammatik heißt es hierzu, dass die
Beurteilung von solchen Einsparungen bei den Sprachbenutzern schwankt. Ein Teil der Sprachbenutzter hält solche Einsparungen demnach für unproblematisch, andere hingegen würden diese Form der Einsparung kritisieren oder eine Alternativvariante wählen. (Vgl. Dudengrammatik, Randnummer 1413)
Nimmt man diese Einsparung vor, dann findet sich in der Dudengrammatik die Regel, dass
sich das finite Verb in einem solchen Fall nach dem am nächsten stehenden Subjekt richtet. (Vgl. Randnummer 1614) In Ihrem Beispiel wäre das
der Begriff „Märchen“. Das am nächsten stehende Subjekt steht demnach im Singular:
Beispiel
(2a) Im ersten Kapitel wird der Begriff „Märchen“ genauer definiert und verschiedene Formen des Märchens erläutert.
Ihre Skepsis gegenüber der Formulierung scheint daher begründet zu sein. Wenn Sie den Satz mit Einsparung wählen wollen, dann müsste das finite Verb im Singular stehen. Alternativ wäre auch möglich auf die von ihnen vorgeschlagene Variante zurückzugreifen mit der Ausformulierung des Satzes, da mit dieser das Problem der Einsparung umgangen wird, womit sie auf der sicheren Seite wären.