Jede der drei Varianten wird mit einem übergeordneten Verbzweitsatz („Hauptsatz“) eingeleitet („ich weiß nicht“), auf den ein untergeordneter, indirekter Fragesatz („ob sie beginnt“) folgt. Dieser wird durch die Subjunktion „ob“ eingeleitet.
Das Verb „beginnt“ fordert eine weitere Ergänzung, die durch eine Infinitivphrase realisiert werden kann. An dieser Stelle äußert sich Ihr Zweifel: Wie ist mit der Infinitivphrase umzugehen?
Infinitivkonstruktionen, die von einem übergeordneten Verb gefordert werden, können entweder als ein eigenständiges Prädikat auftreten oder mit dem übergeordneten Verb ein gemeinsames Prädikat bilden.
Beispiel für eine Infinitivkonstruktion, die als eigenständiges Prädikat auftritt: | Beispiel für eine Infinitivkonstruktion, die mit dem übergeordneten Verb ein gemeinsames Prädikat bildet: |
Otto behauptet, [ein Geräusch zu hören]. | Anna scheint immer noch zu schlafen. |
Wenn eine Infinitivkonstruktion als eigenständiges Prädikat auftritt, bezeichnet man sie wegen ihrer Gemeinsamkeiten mit Nebensätzen als nebensatzwertig (kurz:
satzwertig). In der Fachliteratur nennt man sie dann „
inkohärent“, weil sie aus der Struktur des übergeordneten Verbs ausgeklammert sind.
Gegenteilig bezeichnet man Infinitivkonstruktionen, wenn sie mit dem übergeordneten Verb ein gemeinsames Prädikat bilden, als
nicht satzwertig und „
kohärent“, weil sie in die Struktur des übergeordneten Verbs eingebettet sind und somit einen Verbalkomplex bilden.
Manche übergeordnete Verben sind an eine Konstruktionsweise (ob kohärent oder inkohärent) gebunden. Beispielsweise lässt sich eine Infinitivkonstruktion, die vom Verb „scheinen“ gefordert wird, nur inkohärent (also nicht satzwertig) realisieren.
Bei vielen anderen Verben kann die regierte (=geforderte) Infinitivkonstruktion jedoch dahingehend variieren, ob sie satzwertig oder nicht satzwertig ist. Wir zeigen dies beispielhaft an den Verben „versuchen“ und „beginnen“:
versuchen
a. Der Kommissar hat den Fall zu lösen versucht.
b. Der Kommissar hat versucht, den Fall zu lösen.
a. Als der Kommissar den Fall zu lösen versuchte,….
b. Als der Kommissar versuchte, den Fall zu lösen,…
beginnen
a. Julia hat wieder in der Gaststätte zu arbeiten begonnen.
b. Julia hat wieder begonnen, in der Gaststätte zu arbeiten.
a. Als Julia wieder in der Gaststätte zu arbeiten begann, …
b. Als Julia wieder begann, in der Gaststätte zu arbeiten
In a) handelt es sich jeweils um einen
nicht satzwertigen und somit
kohärenten Infinitiv. Das ist besonders gut an der Stellung des Infinitivs zu erkennen: Der untergeordnete Infinitiv steht am Satzende (in der rechten Satzklammer) vor dem übergeordneten Verb („versucht“/ „begonnen“). Dies entspricht der Sequenzierung der verbalen Bestandteile innerhalb eines Verbalkomplexes.
In b) handelt es sich jeweils um einen
satzwertigen und somit
inkohärenten Infinitiv. Die Infinitivgruppe ist hier (im Nachfeld) ausgegliedert. Charakteristisch für den inkohärenten Infinitiv ist, dass neben dem Infinitiv selbst („zu lösen“/ „zu arbeiten“) auch all seine Satzglieder („den Fall“/ „in der Gaststätte“) ausgegliedert werden.
Die bisher dargestellten theoretischen Grundlagen lassen sich nun auf Ihre drei Konstruktionsbeispiele anwenden.
In 1)
Beispiel
Ich weiß nicht, ob sie in dieser Fabrik zu arbeiten beginnt.
haben Sie einen
nicht satzwertigen und
kohärenten Infinitiv konstruiert. Der Infinitiv bildet mit dem übergeordneten Verb („beginnt“) einen gemeinsamen Verbalkomplex und ein Prädikat.
Anhang 83
In 2)
Beispiel
Ich weiß nicht, ob sie beginnt, in dieser Fabrik zu arbeiten.
ist die Infinitivphrase (der Infinitiv „zu arbeiten“ samt seinem Satzglied, dem Lokaladverbial „in dieser Fabrik“) ausgeklammert und bildet ein eigenständiges Prädikat. Es handelt sich also um einen
satzwertigen bzw.
inkohärenten Infinitiv.
Anhang 84
Sowohl die kohärente (1) als auch die inkohärente (2) Konstruktion sind aus standardsprachlicher Perspektive in ihrer syntaktischen Struktur grammatisch wohlgeformt, also korrekt.
In 3)
Beispiel
Ich weiß nicht, ob sie in dieser Fabrik beginnt zu arbeiten.
wurde der reine Infinitiv ausgeklammert. Von einem kohärenten Infinitiv kann aufgrund der Abfolge der verbalen Bestandteile zunächst nicht ausgegangen werden. Jedoch spricht wiederum gegen den inkohärenten Infinitiv, dass seine Satzglieder (das Lokaladverbial „in dieser Fabrik“) nicht mit ausgeklammert wurden. In diesem Fall liegt eine „Vermischung“ bzw. „Verschränkung“ der Varianten 1 (kohärent) und 2 (inkohärent) vor.
Die Duden-Grammatik fasst diese Mischkonstruktion unter den kohärenten Infinitiv (vgl. Duden-Grammatik, §1319). Allerdings ist hier zu beachten, dass diese Konstruktion „standardsprachlich nicht voll anerkannt“ ist (Duden-Grammatik, §1319).
Anhang 85