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Sprachsystem
Der Imperativ von wissen wird nur selten gebildet, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass man jemandem kaum befehlen kann, etwas zu wissen. So spart z.B. die Dudengrammatik den Imperativ von wissen aus, obwohl sie die übrigen Formen dieses Verbs in einer Tabelle auflistet (das gilt auch für die Modalverben müssen, können usw., die in aller Regel keinen Imperativ bilden). Will man den Imperativ von wissen dennoch verwenden, benötigt man eine Regel zur Imperativbildung. Dabei gelangt man aber schnell zu der Feststellung, dass es keine allgemeingültige Regelung zur Bildung des Imperativs gibt und dass jede in den Grammatiken aufgestellte Regel Ausnahmen hat.
Peter Eisenberg erwähnt in seiner Grammatik eine Regel, der zufolge der Imperativ Singular identisch mit der 2. Person Singular eines Verbs sei, allerdings ohne die Personalendung –st.
Beispiel
2. Person Singular Imperativ du hol-st hol! du wirf-st wirf!
Demnach wäre weiß die Imperativform von wissen. Nicht angewendet wird die Regel bei starken Verben, die in der 2. Person Singular einen Umlaut haben (z.B. fahren – du fährst, aber nicht *fähr!), zu welchen wissen allerdings nicht gehört.
Die Grundregel der Dudengrammatik besagt dagegen, dass der Imperativ Singular identisch mit dem Verbstamm (= das, was übrig bleibt, wenn man vom Infinitiv die Infinitivendung –en abhängt) ist und um ein angehängtes –e erweitert sein kann.
Beispiel
Verbstamm Imperativ geh-en geh! fahr-en fahr(e)!
Folgt man diesem Muster, so müsste der Imperativ Singular von wissen wisse! lauten. Nicht anwendbar ist das Muster lediglich auf solche Verben, deren Verbstamm im Infinitiv ein –e– enthält, das in manchen Präsensformen aber zu –i(e)– wechselt (z.B. geben – du gibst, gib!), was bei wissen nicht der Fall ist.
Fazit: Der Sonderfall wissen wird von keiner der beiden Regeln zur Bildung des Imperativs grundsätzlich ausgeschlossen, so dass beide Formen möglich zu sein scheinen.
Sprachvariation
Während die Form wisse! wohl eher der älteren gehobenen (Literatur-)Sprache zuzurechnen ist, hat die Form weiß! anscheinend Einzug in die heutige Umgangssprache gehalten, wie der folgende Internetbeleg zeigt:
Beispiel
Wir sind ein paar Skatbrüder, die nach einem Spiel den Spielverlauf oft noch kommentieren. Wenn wir dann einem von uns vorwerfen, dass er irgendeine Kartenverteilung nicht wusste, und er ist der Meinung, dass er es nicht hätte wissen können, so sagt er "Weiss das mal!"
es muss doch jeder wissen was die antwort auf eure bescheuerte
es muss doch jeder wissen was die antwort auf eure bescheuerte[/QUOTE]
ich bin der wahre dumme joel
Das ist Unfug: Würde diese Regel auf "wissen" angewendet werden, gäbe es zwei Formen: wisse! und wiss! Und der Imperativ von "geben" bzw. "nehmen" ist nicht "gebe"/"nehme" sondern "gib"/"nimm". Die Eisenberger-Regel gefällt mir besser, allerdings finde ich "weiß!" einfach nur falsch.Zitat:
Die Grundregel der Dudengrammatik besagt dagegen, dass der Imperativ Singular identisch mit dem Verbstamm (= das, was übrig bleibt, wenn man vom Infinitiv die Infinitivendung –en abhängt) ist und um ein angehängtes –e erweitert sein kann.
Ich nehme an, dass der Imperativ von "wissen" einfach nur unregelmäßig ist.
Ihr, die euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr's immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
(Brecht)