Zur Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, verschiedene Arten von Eigennamen zu unterscheiden, denn je nach Art des Eigennamens verhält es sich unterschiedlich mit dem Genitiv–s. Der Grammatikduden unterscheidet zwei Arten von Eigennamen. Die erste Art bilden diejenigen Eigennamen mit
festem Artikelgebrauch. Beispiele für Eigennamen mit festem Artikel sind Flussnamen. Bei ihnen wird der Genitiv durch eine entsprechende Endung markiert:
Beispiel
der Neckar -> des Neckars
der Nil -> des Nils
In diese Kategorie fällt der Name Martin jedoch nicht. Er gehört zur zweiten Art von Eigennamen, nämlich zu denjenigen, die ohne Artikel verwendet können. Sie stehen nur in bestimmten Konstruktionen mit Artikel, was als
sekundärer Artikelgebrauch bezeichnet wird. Zu diesen zählen insbesondere Personennamen, Geographische Eigennamen und Firmennamen. Beispiele dafür wären folgende Eigennamen:
Beispiel
Anna, Martin
Lübeck, Australien
Apple
Neben dieser Differenzierung von verschiedenen Eigennamen ist die Betrachtung der
Nominalgruppenflexion hilfreich. Diese ist deshalb relevant, weil die Bestandteile der Nominalgruppe aufeinander abgestimmt werden, d.h sie müssen in Kasus, Numerus und Genus übereinstimmen. Ihre Frage wirft das Problem auf, ob an jedem Bestandteil der Nominalgruppe die grammatikalischen Kategorien realisiert sein müssen oder nicht.
Ob artikellose Eigennamen das Genitiv-s haben müssen, ist abhängig von ihrer
Stellung in der Nominalgruppe. Wird der Eigenname als ein vorangestelltes Genitivattribut verwendet, dann muss das Genitiv-s stehen:
Bei Ihrem Beispiel ist der Fall jedoch etwas anders. Hier ist das Genitivattribut nachgestellt und das
Genitiv-s kann stehen, es muss aber nicht. Ihre eine Variante des Beispiels lautet:
Beispiel
das Buch
des Martin
s
Es lässt sich hier sowohl am Artikel, als auch am Eigennamen selbst ablesen, dass es sich um eine Nominalgruppe handelt, die im Genitiv Singular Maskulinum steht. Das heißt an jedem Bestandteil der Nominalgruppe werden die grammatikalischen Merkmale realisiert.
Geläufig ist aber auch Ihre andere Variante des Beispiels:
Beispiel
das Buch
des Martin
Hier lassen sich die grammatischen Merkmale nur am Artikel erkennen, da das Genitiv-s nicht am Eigennamen markiert ist. Diese Tendenz, grammatische Merkmale nur an einem Bestandteil der Nominalgruppe zu markieren, wird als
Monoflexion bezeichnet.
Und auch Ihr Beispiel zu Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ scheint ein Indiz dafür zu sein, dass das Genitiv-s immer häufiger weggelassen wird. Im Original von 1774 heißt der Titel des Briefromans noch „Die Leiden des jungen Werthers“, wobei der Name Werther noch mit dem Genitiv-s gekennzeichnet ist. In der 2. Auflage des Romans wurde das Genitiv-s getilgt und der Titel lautete nun „Die Leiden des jungen Werther“. Es lässt sich also erkennen, dass dieser Zweifelsfall nicht erst seit Kurzem auftritt.
Es ist demnach möglich, das Genitiv-s bei Eigennamen wegzulassen, wenn Eigennamen, die im Regelfall artikellos gebraucht werden, mit einem Artikel stehen, der Merkmalsträger ist.