Relativsätze beziehen sich auf ein Element des übergeordneten Satzes. Dieses Bezugselement wird im Relativsatz von einem relativen Satzglied (d.h. ein Relativpronomen mit relativer Funktion) wieder aufgenommen.
Beispiel
Beispiel 1: Jeder fürchtet sich vor
Egon, der als Schläger bekannt ist.
(Die Nominalgruppe „Egon“ wird im Relativsatz mit „der“ wieder aufgenommen. Das Relativpronomen hat hier die relative Funktion des
Subjekts im Relativsatz.)
Beispiel 2: Jeder fürchtet sich vor
Egon, den ich eigentlich nett finde.
(Die Nominalgruppe „Egon“ wird im Relativsatz mit „der“ wieder aufgenommen. Das Relativpronomen hat hier die relative Funktion des
Akkusativ-Objekts im Relativsatz.)
Beispiel 3: Jeder fürchtet sich vor
Egon, dem ich auch nicht nachts begegnen will.
(Die Nominalgruppe „Egon“ wird im Relativsatz mit „der“ wieder aufgenommen. Das Relativpronomen hat hier die relative Funktion des
Dativ-Objekts im Relativsatz.)
Wenn sich ein Relativpronomen als Subjekt eines Relativsatzes (vgl. Beispiel 1) auf ein Personalpronomen der 1. Oder der 2. Person oder auf die Höflichkeitsform Sie bezieht, wird normalerweise die passende Nominativform des Personalpronomens in den Relativsatz eingefügt:
Beispiel
Wir, die wir unsere Verbündeten stets unterstützt haben, werden nun im Stich gelassen.
In diesen Fällen kongruiert das finite Verb des Relativsatzes mit dem Personalpronomen, nicht mit dem Relativpronomen.
Beispiel
Was denken Sie, der
Sie die Ereignisse live miterlebt
haben?
*Was denken Sie, der Sie die Ereignisse live miterlebt hat?
Die mit dem Sternchen versehenen Sätze sind ungrammatisch, also grammatisch falsch.
Beispiel
Ich, die
ich mein Bestes versucht
habe, konnte das Ziel nicht erreichen.
*Ich, die ich mein Bestes versucht hat, konnte das Ziel nicht erreichen.
Diese Reaktion von Relativsätzen auf die Einbettung von Personalpronomen der 1. Und 2. Person (ich, wir, du, ihr) finden sich in den von Ihnen formulierten Beispielen.
Klassisch ins Schema passen beispielsweise Beispiel c/d und Beispiel f/g:
Beispiel
du biederer Zeuger von vier schulpflichtigen Kindern,
der du der Baß, die dunkle Orgel des Kirchenchors bist, was hast du deiner Frau angetan,...
Das Relativpronomen „der“ im Relativsatz (unterstrichen) bezieht sich auf eine Pronominalgruppe mit Personalpronomen der 2. Person (
Du biederer Zeuger) im übergeordneten Satz. Daher wird das Personalpronomen im Nominativ (hier: du) in den Relativsatz eingefügt.
Anhang 60
Auf dieselbe Weise funktioniert Ihr Beispiel f,g)
Beispiel
ihr zwei verständnisvollen Mädchen,
die ihr zusammen in einem Zimmer schlieft und uns das andere überließt:...
Das Relativpronomen „die“ im Relativsatz (unterstrichen) bezieht sich auf eine Pronominalgruppe mit Personalpronomen der 2. Person (
Ihr verständnisvollen Mädchen) im übergeordneten Satz. Daher wird das Personalpronomen im Nominativ (hier: ihr) in den Relativsatz eingefügt.
Anhang 61
In Beispiel e
Beispiel
Oh,
ihr kleinen Diebe werdet auch wieder brav werden.
gibt es keinen Relativsatz: Das Personalpronomen der 2. Person „ihr“ ist lediglich durch eine Nominalgruppe (kleinen Diebe) erweitert. Dies kann zur direkten Ansprache genutzt werden. Auch hier besteht die Kongruenz zwischen dem finiten Verb (werdet) und dem Personalpronomen ihr.
Beispiel
*Oh, ihr kleinen Diebe werden wieder brav werden.
Du verwöhnte Göre wirst jetzt dein Zimmer aufräumen.
*Du verwöhnte Göre wird jetzt ihr Zimmer aufräumen.
Ohne Personalpronomen: Die verwöhnte Göre wird jetzt ihr Zimmer aufräumen.
In Beispiel b
Beispiel
Oh,
Feldwebel,
der du sonntags so schön den Baß im Hochamt sangst, was hast du deiner Frau angetan?
wird eine direkte Anrede an den Feldwebel formuliert. Grammatisch handelt es sich um einen
Anredenominativ (eine Nominalgruppe im Nominativ, die als Anrede genutzt wird). Neben Namen sind u.a. auch Rollen- oder Berufsbezeichnungen möglich.
Beispiel
Denise, du hast schon wieder gewonnen!
Sehr geehrter Herr Müller, wir gratulieren Ihnen herzlich zu Ihrem Erfolg.
Wir gratulieren Ihnen herzlich zu Ihrem Erfolg, Frau Meier.
Nimm deine Waffe, Soldat.
Herzlich Willkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Übertragen auf Ihr Beispiel könnte man „Feldwebel“ wie folgt mit Pronomina (du) oder Namen (Johannes) ersetzen, um das Prinzip des Anredenominativs zu verdeutlichen.
Oh,
du,
der du sonntags so schön den Bass im Hochamt sangst, ….
Oh,
Johannes,
der du sonntags so schön den Bass im Hochamt sangst, …
Der
Anredenominativ wird im Relativsatz wieder aufgegriffen. Das Relativpronomen „der“ (im Relativsatz unterstrichen) bezieht sich auf eine Nominalgruppe im übergeordneten Satz, die als direkte Anrede verstanden werden kann (Feldwebel). Daher wird das Personalpronomen im Nominativ in den Relativsatz eingefügt.
Eine große Besonderheit liegt in Beispiel A:
Beispiel
blonde und gute, biedere Reservefeldwebelsfrau, westfälischer Dialekt und die ausgepackte Wurst und das ängstliche Gesicht, das meinen bunten Schlafanzug für den einer Hure hält,
die ich doch genauso ehelich wie sie das Unabänderliche genieße:...
Hier liegt kein klassischer Relativsatz vor. Es gibt kein Element aus dem übergeordneten Satz, auf das sich der Relativsatz beziehen könnte. Stattdessen findet hier eine stilistische Umschreibung eines konzessiven Adverbials in Form eines Relativsatzes statt. Der Sinn der Aussage wäre wie folgt zu umschreiben:
Beispiel
blonde und gute, biedere Reservefeldwebelsfrau, westfälischer Dialekt und die ausgepackte Wurst und das ängstliche Gesicht, das meinen bunten Schlafanzug für den einer Hure hält,
obwohl ich doch genauso ehelich wie sie das Unabänderliche genieße:...
Etwas, das hier aussieht wie ein Relativsatz, ist hier also in funktionaler Perspektive keiner.
Fazit: Die von Ihnen genannten Beispiele B; C, D; F, G beruhen alle auf der Grundregel, dass, wenn sich das Relativpronomen eines Relativsatzes auf ein Personalpronomen des übergeordneten Satzes bezieht, dieses Personalpronomen auch im Relativsatz realisiert wird.
Beispiel A ist von dieser Regel ausgeschlossen, da es keinem grammatischen, sondern einem literarisch-stilistischen Prinzip folgt.