Geändert von Hannah Brill (29.04.2017 um 18:49 Uhr)
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Sprachsystem
Ihre Frage betrifft den Kasus der Nominalgruppe der eine Dieb im Satz Er zog den/dem einen Dieb am Haar, womit es sich um eine Frage in Bezug auf die Valenz handelt. Unter Valenz wird die Fähigkeit eines Verbs verstanden, einen Satz hinsichtlich seiner Konstituenten zu strukturieren. Dabei sind die semantischen Rollen bezüglich ihres Kasus durch die Valenz des Verbs festgelegt. Das bedeutet für den Beispielsatz Er zog den/dem einen Dieb am Haar, dass das Subjekt er sowie die Objekte den/dem einen Dieb und am Haar vom Verb ziehen abhängig sind.
Die konkrete Frage lautet nun, ob die Nominalgruppe der eine Dieb im Dativ (dem einen Dieb) oder im Akkusativ (den einen Dieb) stehen muss. Nach der Dudengrammatik (Duden 4) wird bei bestimmten Verben, wie unter anderem bei dem Verb ziehen, der „Besitzer“ eines Körperteils durch eine Nominalphrase im Dativ ausgedrückt, der als sogenannter Pertinenzdativ bezeichnet wird.
In diesem Fall lautet der Satz Er zog dem einen Dieb am Haar.
Allerdings kann das Pertinenzelement auch im Akkusativ realisiert sein. Daher ist auch der Satz Er zog den einen Dieb am Haar möglich.
Auch laut dem elektronischen Valenzwörterbuch E-valbu kann das Verb ziehen sowohl mit Pertinenzakkusativ als auch mit Pertinenzdativ stehen.
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Sprachgebrauch
Eine Analyse des Sprachkorpus vom Institut für deutsche Sprache liefert für die Ergänzung (…) für das Beispiel „zieht … an den Haaren“ folgende Belege, wobei ausschließlich die Formen berücksichtigt sind, bei denen zu ziehen die drei Ergänzungen Subjekt, präpositionales Objekt (an den Haaren) und Perzinenzdativ/-akkusativ (…) realisiert sind.
Pertinenzdativ: 5 BelegePertinenzakkusativ: 14 BelegeBrunhild springt auf und geht Kriemhild an die Kehle, die zieht ihrer Widersacherin an den Haaren, im Nu raufen sie sich kreischend auf dem Fußboden… (die tageszeitung 2008)Er zieht mich an den Haaren, schlägt zu. (Braunschweiger Zeitung 2007)
Fazit: Nach der Dudengrammatik ist der Pertinenzdativ die ursprüngliche Konstruktion, um den Besitzer eines Körperteils auszudrücken. Der Pertinenzakkusativ ist hingegen eine Form, die unter bestimmten Bedingungen alternativ gebraucht werden kann, in einigen Fällen sogar gebraucht werden muss. Für den vorliegenden Beispielsatz sind aus grammatischer Perspektive aber beide Formen möglich, da für die Ergänzung beim Verb ziehen sowohl die Dativ- als auch die Akkusativform gebraucht werden kann. Die Analyse des Sprachgebrauchs zeigt ebenfalls, dass in der geschriebenen Sprache beide Formen verwendet werden. Die Trefferzahl ist jedoch zu gering, um auf eine Tendenz bezüglich des Gebrauchs der Formen schließen zu können.
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