Sie fragen, ob der folgende Satz zulässig ist:
Beispiel
Ich habe mein Auto im Schnee stecken.
Sie haben ja bereits ausführlich die Dudengrammatik zitiert und dadurch das Verb
haben in dieser Verwendung richtig als ein
a.c.i.-Verb (accusativus cum infinitivum) eingeordnet, also als ein solches Verb, bei dem sich auf den als Objekt fungierenden Akkusativ einer übergeordneten Proposition ein Infinitiv bezieht, mit dem wiederum eine Aussage über das Akkusativobjekt getroffen wird:
Beispiel
Er hat seine Schwester bei sich wohnen. -> Die Schwester wohnt bei ihm.
Ich habe meine Koffer noch am Bahnhof stehen. -> Die Koffer stehen noch am Bahnhof.
Das Objekt kann also - wie Weinrich sagt - als Subjekt des Infinitivs aufgefasst werden bzw. - wie es in der Dudengrammatik formuliert wird, als Subjektaktant des untergeordneten Verbs.
Die Frage ist nun, bei welchen Verben eine solche Konstruktion möglich ist, also
welche Verben die Infinitiv-Position der a.c.i.-Konstruktion besetzen können.
Laut Dudengrammatik muss es sich um ein
intransitives, atelisches Positionsverb handeln.
Ihre Frage ergibt sich offenbar dadurch, dass Sie
stecken als ein Verb ansehen, das diese Bedingungen erfüllt, aber dennoch Zweifel in Bezug auf das Beispiel hegen.
Der Schlüssel zur Beantwortung der Frage liegt m.E. in der Einschätzung des atelischen Charakters des Verbs bzw. der Proposition. Sie haben ja bereits die Begriffsbestimmung der Dudengrammatik zitiert. Wichtig ist hier m.E. in Bezug auf dynamische Vorgänge, dass diese
keinen Kulminations- oder Endpunkt voraussetzen, denn ein Kulminations- bzw. Endpunkt ist das Charakteristikum eines telischen, also begrenzten Vorgangs.
Entscheidend ist aus meiner Sicht der Hinweis von Cathrine Fabricius-Hansen (der Autorin des Verbkapitels der Dudengrammatik), dass die
Aktionsart eines Verbs nicht immer "ein für alle Mal festgelegt" ist, sondern eher "als ein
Potenzial aufzufassen" (§ 567). So ist bspw.
Wein trinken atelisch,
eine Flasche Wein trinken hingegen telisch.
In diesem Sinne würde ich einen Satz wie
Beispiel
Mein Auto steckt im Schnee.
auch eher als telisch auffassen. Natürlich kann das Auto theoretisch über einen längeren Zeitpunkt im Schnee stecken, aber das Stecken im Schnee ist ja gerade der Endpunkt eines Vorgangs des Durch-den-Schnee-Fahrens oder des Einschneiens des Parkplatzes. Ich würde wohl auch nicht sagen
Beispiel
*Ich habe mein Haus brennen
.
Die Brenndauer des Hauses ist schließlich zeitlich begrenzt, der Satz impliziert ja quasi, dass das Haus abbrennt oder zumindest bis zu dem Zeitpunkt brennt, bis die Feuerwehr eintrifft.
Interssant ist schließlich noch, dass die Dudengrammatik
haben + a.c.i. in die Nähe von
Kausativkonstruktionen wie etwa mit
lassen rückt:
Beispiel
Ich lasse mein Auto am Bahnhof stehen.
Ich lasse mein Haus brennen.
Ich lasse mein Auto im Schnee stecken.
In diesen Fällen führt offenbar
lassen zu einer atelischen Lesart: Ich tue nichts dagegen, dass mein Haus brennt oder mein Auto im Schnee steckt, ich führe also keinen Endpunkt des Vorgangs herbei:
Beispiel
Mein Haus brennt. -> Ich lasse es brennen.
Mein Auto steckt im Schnee. -> Ich lasse es stecken.
Eine solche Anhebung zur Atelizität kann
haben hingegen offenbar nicht leisten:
Beispiel
*Mein Haus brennt. -> Ich habe es brennen.
*Mein Auto steckt im Schnee. -> Ich habe es stecken.
Fazit: Wir haben es offenbar mit einer komplexen Gemengelage zu tun, die sich vor allem aus dem Zusammenspiel der Dynamik der Interpretationsmöglichkeiten von Vorgängen als telisch oder atelisch sowie der Qualität des a.c.i.-Verbs ergibt.
Lesezeichen