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Satzanalyse
Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
Lektüre: "Der Spion, der aus der Kälte kam"' John le Carré (Deutsch: Sabine Roth)
Mit folgendem Nachschlagewerk versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen:
Trifft nicht zu
"..., und nun mochte er ihren Blick nicht mehr erwidern, bevor er starb - mochte sie die Verachtung nicht sehen lassen, [...], die sich auf seinen Zügen spiegelte."
Mein Problem: "sie", welche Funktion, welcher Kasus?
Ich sehe "sie" (= Liz, die Freundin) als Subjekt des Infinitivs "sehen" und/oder als Objekt des Infinitivs "lassen" und halte demnach "sie" für einen Akkusativ.
"Er" wäre dann logisches Subjekt von "mochte lassen".
Der Satz würde dann, meiner Meinung nach, bedeuten: Was mochte "er" (= Leamas, der Spion) nicht? Er wollte nicht [...] erwidern und auch nicht lassen, dass "sie" (Liz) die Verachtung sieht.
Noch eine kleine Frage: ist "lassen" Objekt von mochte, oder soll mann lassen betrachten als Prädikat zusammen mit "mochte"
Ich sehe auch: "mochte... - mochte..." als zwei gleichrangige Hauptsätze.
Ich bedanke mich schon im Voraus
Michel
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Satzanalyse
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Ihre Fragen bezüglich des Beispielsatzes „…, und nun mochte er ihren Blick nicht mehr erwidern, bevor er starb – mochte sie die Verachtung nicht sehen lassen, […], die sich auf seinen Zügen spiegelte“ betreffen drei Aspekte, die im Folgenden betrachtet werden sollen: 1) Status von sie
2) Verbalkomplex mochte sehen lassen
3) Hierarchie im Satz
Zu 1) Status von sie
Der Status von sie ergibt sich durch die Konstruktion im Teil „mochte sie die Verachtung nicht sehen lassen“. Das Subjekt ist, wie im vorherigen Teil, er (Er mochte sie […] nicht sehen lassen). Wegen der Komplexität der Formulierung, die unter Punkt 2) näher erläutert wird, soll nun das Beispiel Er lässt sie sehen betrachtet werden, anhand dessen die Konstruktion und der Status von sie ebenfalls deutlich werden.
Lassen gehört zu den Verben, mit denen ein Akkusativ mit Infinitiv (a.c.i.) konstruiert werden kann. Nach der Dudengrammatik wird dabei ein Satzglied, das in einem einfachen Satz dem Subjekt entspricht, durch eine Infinitivkonstruktion zum Akkusativ.
Beispiel
(A)
Sie (Subjekt)
sieht (Prädikat).
(B)
Er (Subjekt)
lässt (a.c.i.-Verb)
sie (Akkusativ)
sehen (Infinitiv).
Sie wird hier zum Akkusativ, obwohl sie das Subjekt des ersten Satzes (A) ist. Dies kann zur Verunsicherung bezüglich des Status von sie im zweiten Satz (B) geführt haben. Laut dem Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle bestehen teilweise Schwankungen im Kasus des Akkusativs, wobei eine Tendenz zum Nominativ zu erkennen ist. Ob sie Nominativ oder Akkusativ ist, lässt sich aufgrund formal übereinstimmender Formen am Wort selbst nicht erkennen, jedoch ist die Tendenz zum Nominativ eher bei Verbindungen mit sein oder werden der Fall, weshalb an dieser Stelle von einem Akkusativ ausgegangen werden kann.
Zu 2) Verbalkomplex mochte sehen lassen
Wie im obigen Beispiel kann sehen lassen als Verbalkomplex angesehen werden, der mit lassen ein infinitregierendes Verb und mit sehen eine davon regierte infinite Form enthält. Lassen ist im Beispiel Er lässt sie sehen finit, im Satz mochte sie nicht sehen lassen hingegen infinit. Dies ist dadurch zu erklären, dass es sich bei mochte sehen lassen um einen dreiteiligen Verbalkomplex handelt, bei dem das Vollverb (sehen) von einem infiniten Verb (lassen) regiert wird, das seinerseits von einem infinitregierenden Verb in finiter Form (mochte) abhängt. Mochte ist dabei eine Form des Modalverbs mögen, das laut der Dudengrammatik die Aussage dahingehend modifiziert, dass keine unmittelbare Aussage über die Wirklichkeit getroffen wird, sondern einen Sachverhalt in Relation zu einem bestimmten Redehintergrund stellt. Die Verben mochte sehen lassen bilden also einen Verbalkomplex, der gemeinsam das Prädikat im Satz darstellt.
Zu 3) Hierarchie im Satz
Mit „nun mochte er ihren Blick nicht mehr erwidern, bevor er starb“ und „[er] mochte sie die Verachtung nicht sehen lassen, […], die sich auf seinen Zügen spiegelte“ besteht der Satz aus zwei Teilsätzen, die formal als Hauptsätze klassifiziert werden können, da beide Teilsätze über die für Hauptsätze typische Verbzweitstellung verfügen (weitere Informationen zur formalen Klassifikation von Hauptsätzen sind folgender Antwort zu entnehmen: https://grammatikfragen.de/showthrea...bletztstellung)
Der Gedankenstrich, der die zwei formalen Hauptsätze verbindet, könnte den eingeschobenen Teil als Parenthese, also als selbstständige Einheit kennzeichnen, die syntaktisch nicht in den Trägersatz integriert ist. Eine solche Parenthese kann jedoch nicht eindeutig anhand des vorliegenden Abschnitts identifiziert werden, da der an den Abschnitt anschließende Teil nicht betrachtet wird. Der Gedankenstrich könnte ebenfalls als Markierung einer sogenannten asyndetischen Koordination, einer Aneinanderreihung ohne Konjunktion, interpretiert werden.
Ihre Klassifizierung als zwei gleichrangige Hauptsätze kann damit bestätigt werden.
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Satzglieder
"Sie hatte versagt, und nun mochte er ihren Blick nicht mehr erwidern, bevor er starb, mochte sie die Verachtung nicht sehen lassen, die Furcht vielleicht auch, die sich auf seinen Zügen spiegelte."
Le Carré: Der Spion, der aus der Kälte kam.
Sie > Subjekt (Wer?)
hatte versagt, > Prädikat
und > (Position 0 zwischen 2 Sätzen)
nun > Temporaladverbiale (Wann?)
mochte > Prädikat 1, 1. Teil
er > Subjekt (Wer?)
ihren Blick > Akkusativobjekt (Wen oder was?)
nicht mehr erwidern, Prädikat 1, 2.Teil
bevor er starb, > Temporaladverbiale (Wann?)
mochte > Prädikat 2, 1. Teil
sie > Akkusativobjekt (Wen?)
die Verachtung > Akkusativobjekt (Wen oder was?)
nicht sehen lassen, > Prädikat 2, 2. Teil
die Furcht vielleicht auch, die sich auf seinen Zügen spiegelte. > Akkusativobjekt (Wen oder was?)
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