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Thema: es scheint unaufhaltbar oder heißt es: es scheint unaufhaltbar zu sein

  1. #1
    Unregistriert Gast

    Standard es scheint unaufhaltbar oder heißt es: es scheint unaufhaltbar zu sein

    Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
    innerhalb einer Diskussion, in der ich die erste Version gebrauchte

  2. #2

    Standard "scheinen" mit oder ohne zu-Infinitiv

    Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.

    Sprachsystem

    In Ihrer Frage geht es um die Verwendung des Verbs „scheinen“. Sie haben hier zwei Verwendungsweisen gegenübergestellt, welche im Folgenden erläutert werden.
    Die erste Variante lautet „Es scheint unaufhaltbar“. Laut §577 der Dudengrammatik (Duden Bd. 4) kann das Verb „scheinen“ wie ein Prädikativverb verwendet werden. Zu den Prädikativverben zählen ebenfalls „sein“, „werden“, „bleiben“ und „dünken“. Das bedeutet, dass sich das Verb „scheinen“ mit einem Prädikativ verbindet und mit diesem gemeinsam das Prädikat des Satzes bildet:
    Anna ist Lehrerin.
    Anna blieb krank.
    Der Kranke schien zufrieden.
    Es scheint unaufhaltbar.
    Als Prädikativ können prinzipiell Substantive oder Adjektive dienen. Da es sich bei „unaufhaltbar“ um ein Adjektiv handelt, ist ihr Ausgangsbeispiel grammatisch unproblematisch.
    Zu Unsicherheiten kommt es möglicherweise, da das Verb „scheinen“ auch mit einem erweiterten Infinitiv (zu-Infinitiv) auftreten kann. Somit verbindet sich „scheinen“ mit einer zu-Infinitiv und bildet mit diesem gemeinsam einen Verbalkomplex. Als Verbalkomplexe bezeichnet man ein Prädikat, welches sich aus mehreren Verben zusammensetzt. In diesem Fall wird „scheinen“ analog zu Verben wie „brauchen“, „haben“ und „pflegen“ verwendet:
    Du brauchst nichts zu sagen.
    Was hat das zu bedeuten?
    Es scheint zu regnen.
    Es scheint unaufhaltbar zu sein.
    Demnach ist auch die Variante mit einem zu-Infinitiv möglich.

    Das Duden-Universalwörterbuch führt diese verschiedenen Verwendungsweisen ebenfalls auf. Neben „scheinen“ im Sinne von „strahlen“ (Bsp. aus DUW: Die Lampe schien ihm ins Gesicht) wird „scheinen“ auch im Sinne eines vermittelten Eindrucks verwendet:
    etwas scheint (jemandem) irgendwie (Bsp. aus DUW: diese Erklärung scheint mir plausibel)
    etwas scheint (jemandem) zu + Infinitiv (Bsp. aus DUW: die Lage scheint sich zuzuspitzen)
    Folglich kann das Verb „scheinen“ sowohl ohne zu-Infinitiv als auch mit zu-Infinitiv verwendet werden.
     



    Sprachgebrauch

    Da das Verb „scheinen“ auf zwei verschiedene Weisen verwendet werden kann, soll im Folgenden anhand einer Sprachgebrauchsanalyse mit Cosmas II, einem Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache (kurz: DeReKo), herausgefunden werden, ob es eine Tendenz für eine der Verwendungsweisen im Sprachgebrauch gibt.
    Es wurde gesucht nach „scheinen + Adjektiv“. Diese Suche ergab insgesamt 8927 Treffer. Es wurde eine Stichprobe von 200 Treffern analysiert, um eine Aussage über die Verteilung treffen zu können. Für die ersten 200 Treffer gab es insgesamt 63 Treffer, in welchen „scheinen“ mit einem zu-Infinitiv vorkam (Variante II):
    Die Sektionsmitglieder scheinen langlebig und vereinstreu zu sein. (Beleg aus DeReKo: St. Galler Tagblatt)
    Die Lichtverhältnisse schienen optimal zu sein. (Beleg aus DeReKo: Braunschweiger Zeitung)

    Hingegen gab es 87 Treffer für „scheinen“ ohne „zu-Infinitiv“ (Variante I):
    Alte Mauern scheinen unüberwindbar, sie geben ein Gefühl von Schutz und Sicherheit. (Beleg aus DeReKo: St. Galler Tagblatt)
    Die glorreichen Zeiten von Ambri scheinen definitiv vorbei. (Beleg aus DeReKo: St. Galler Tagblatt)
    Ausgehend davon, dass circa 6700 Treffer einem der beiden Suchmuster entsprechen, ergeben sich für „scheinen mit zu-Infinitiv“ rund 2800 Treffer und für „scheinen ohne Infinitiv“ etwa 3900 Treffer. Diese Verteilung zeigt, dass es eine Tendenz gibt, dass „scheinen“ etwas häufiger als Prädikativverb auftritt.
     


    Fazit
    Aus sprachsystematischer Perspektive sind beide Varianten zu begründen und sind folglich grammatisch unproblematisch. Der Sprachgebrauch zeigt für Ihr Ausgangsbeispiel eine leichte Tendenz zu „Es scheint unaufhaltbar“, wobei auch die Variante „Es scheint unaufhaltbar zu sein“ Verwendung findet. Sie können daher zwischen beiden Varianten frei wählen.

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