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Sprachsystem
Ihre Frage, ob es schmelzen oder schmilzen heißen muss, ist nicht unbegründet. Wird das Verb gebeugt, so hört man oft es schmilzt. Gelegentlich hört man jedoch auch so etwas wie Er schmelzt das Wachs. Somit liegt es nicht fern, sich zu fragen, wie der Infinitiv aussieht. Denn tatsächlich gibt es sowohl es schmilzt als auch es schmelzt. Das liegt daran, dass das Verb ursprünglich eine schwach flektierte Variante als auch eine stark flektierte Variante besitzt.
Ob das Verb nun schwach oder stark flektiert werden muss, hängt dabei von den Ergänzungen des Verbs ab. Sogenannte „transitive“ Verben verlangen ein Objekt im Akkusativ, „intransitive“ Verben stehen ohne Akkusativobjekt. Dem Duden Band 9 zufolge wird das Verb mit den schwachen Stammformen („schmelzte, geschmelzt“) ursprünglich transitiv (mit Akkusativobjekt), das Verb mit den starken Stammformen („schmilzt, geschmolzen“) intransitiv (ohne Akkusativobjekt) gebraucht.
Beispiel
(1) Er schmelzt das Eisen.
(2) Das Eis schmilzt.
Die unterschiedlichen Gebrauchsweisen sind durch die jeweiligen Bedeutungsunterschiede begründet. Das transitive Verb (Beispiel 1) wird im Sinne von „flüssig machen“, das intransitive im Sinne von „flüssig, weich werden“ (Beispiel 2) verwendet. Allerdings wird in der heutigen Sprachgesellschaft diese strenge Abhängigkeit von Flexionsverhalten und Bedeutung nicht mehr realisiert, sodass das Verb im Allgemeinen eher stark gebeugt wird, unabhängig von der transitiven/intransitiven Verwendung.
Demnach weist das Verb zwar zwei unterschiedliche Flexionsverhalten auf, allerdings zeigt ein Blick in das Duden Universalwörterbuch, dass es nur einen Infinitiv gibt („schmelzen“). Da in Ihrem Beispiel nach dem richtigen Infinitiv gefragt wird, muss es also Der Regen lässt den Schnee schmelzenheißen.
Wollen Sie in diesem Beispiel nicht den Infinitiv, sondern eine flektierte Form verwenden, so sind heutzutage beide Flexionsformen zulässig.
Beispiel
(3) Der Regen schmelzt den Schnee.
(4) Der Regen schmilzt den Schnee.
In Beispiel (3) handelt es sich um die ursprüngliche schwache Flexion bei transitiver Verwendung. Beispiel (4) verdeutlicht, dass in der heutigen Standardsprache auch die starke Form bei transitiver Verwendung zulässig ist.
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Sprachgeschichte
Die Ursache der Schwierigkeit des Verbs schmelzen beruht auf sprachhistorischen Entwicklungen. Denn laut dem Grimm Wörterbuch sind im deutschen Verb schmelzen zwei Verben, d.h. Verben mit ursprünglich unterschiedlichen Infinitiven, zusammengefallen. schmelzen ist ein gemeingermanisches Wort, dessen Ursprung in die Ursprache zurückreicht. So lautete der germanische Infinitiv für die intransitive Bedeutung „smeltan“ und für die transitive Bedeutung „smaltjan“. Nach und nach näherten sich diese Verben aneinander an. Im Althochdeutschen unterschieden sich diese Verben nur noch durch einen Vokal in der Endsilbe: smelzan (intransitiv) und smelzen (transitiv). Im Mittelhochdeutschen schließlich fielen die Verben gänzlich zu einem Infinitiv zusammen (smelzen).
Er schmelzt das Eisen. = aktiv (Agens nötig, der etwas tut)
vs.
Das Eis /Eisen /Material schmilzt. = passiv (das Material ist Patiens)
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