Prinzipiell wird das Flexionsverhalten des Verbs immer satzintern geregelt. Das bedeutet, dass ein Verb sich aus grammatischer Sicht nicht auf ein Objekt aus dem vorangegangen Satz beziehen kann bzw. sein Flexionsverhalten von diesem abhängig macht. Auf grammatischer Ebene muss ein Satz und das Kongruenzverhalten innerhalb dieses Satzes immer für sich betrachtet werden, da sich das Verb immer auf das Subjekt im neuen Satz bezieht. Aus diesem Grund handelt es sich bei Ihrem Beispiel primär um die Frage,
wie das Subjekt im zweiten Satz lauten sollte.
Dabei ergeben sich zwei Möglichkeiten:
Beispiel
(1) Hier kannst du dir eines unserer Fahrräder ausleihen. Sie bringen dich an jeden Ort.
(2) Hier kannst du dir eines unserer Fahrräder ausleihen. Es bringt dich an jeden Ort.
Der Unterschied in diesen beiden Varianten liegt in der
Wiederaufnahme durch die Pronomina, welche sich auf unterschiedliche Bestandteile aus dem vorangehenden Satz beziehen. Aus
textgrammatischer Sicht werden durch Wiederaufnahmen mithilfe von Pronomen Sätze auf der Oberfläche zu einem zusammenhängenden Text verknüpft. In diesem Fall ist auch eine satzüberschreitende Kongruenz möglich. Die Pronomina fungieren hier als Stellvertreter für Bestandteile aus dem vorhergehenden Satz und kongruieren mit diesem Wort hinsichtlich der Person, des Numerus und Genus. Man spricht hier von
grammatischer Kongruenz, da sie auf formalen Merkmalen beruht.
In Beispiel (1) bezieht sich das Pronomen
Sie auf den
Genitiv unserer Fahrräder. Wird der partitive Genitiv (=Anteils-Genitiv) aus der Nominalgruppe
eines unserer Fahrräder durch ein Pronomen im nächsten Satz wieder aufgenommen, so muss dieser im selben Numerus stehen, d.h. ebenfalls im Plural. Somit steht das Subjekt im zweiten Satz im Plural. Aufgrund der Kongruenzregel zwischen Subjekt und Prädikat, welche besagt, dass diese hinsichtlich des Numerus übereinstimmen müssen, steht das Prädikat
bringen dann ebenfalls im Plural.
In Beispiel (2) bezieht sich das Pronomen
Es auf den Kern der Nominalgruppe
eines. Bei Wiederaufnahme durch ein Pronomen im nächsten Satz muss der Kern der Nominalgruppe ebenfalls im selben Numerus stehen, also im Singular. In diesem Fall stehen dann sowohl das Subjekt als auch das Prädikat im Singular. Wie gesagt handelt es sich hierbei um die grammatische Kongruenz, die auf rein formale Aspekte Rücksicht nimmt.
Neben der grammatischen Kongruenz tritt zuweilen auch ein Phänomen auf, das als
semantische Kongruenz oder „Konstruktion nach dem Sinn“ bezeichnet wird. Hierbei findet die Abstimmung zwischen Pronomen und Bezugssubstantiv aufgrund der
Bedeutung des Substantivs statt. Konflikte zwischen grammatischer und semantischer Kongruenz entstehen dann, wenn sich die grammatischen Merkmale nicht mit der Bedeutung eines Substantivs decken. In Beispiel (2) muss sich in Ihrem Fall das wiederaufnehmende Pronomen grammatisch betrachtet auf den Kern der Nominalgruppe beziehen, also Singular
("eines" - "es"). Semantisch ist aber auch ein Bezug auf die pluralische Bedeutung des Attributs
("unserer Fahrräder") möglich.
Fazit: Sie sehen also, dass es sich hierbei nicht um ein Problem der grammatischen Entscheidung, die auf bestimmten grammatischen Regeln beruht, handelt, sondern eher um ein Entscheidungsproblem, das von der Aussageabsicht des Sprechers ausgeht. Da das Subjekt in Ihrem zweiten Satz aber in beiden Varianten ein Fahrrad aus Ihrem Angebot, egal ob eines oder das ganze Sortiment, ist, macht es auf semantischer Ebene keinen großen Unterschied, welche Variante Sie wählen, zumal die semantische Kongruenz hier zusätzlich Interpretationsspielräume zulässt.
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